Unklarheit über die Streichung der Ruhetage im Staatsexamen
Alle Bundesländer (?) und baden-württembergischer Sonderweg
Die Diskussion um die Streichung von Ruhetagen während des juristischen Examens geht weiter. Einige Bundesländer haben beschlossen, diese Tage während der Prüfungsphase zu streichen, was bei Studierenden und Experten für Unklarheit sorgt.
Unklarheit um Ruhetage im Jura Staatsexamen: Neue Entwicklungen und Begründungen
Es wurde bereits vielfach diskutiert und auch hier im Karrieremagazin kritisierte ich erst kürzlich, dass die Ruhetage im Examen in Baden-Württemberg gestrichen wurden. Nun gibt es neue Entwicklungen und damit viel Unklarheit: neue Begründungen, angebliche Streichung der Ruhetage in 14 weiteren Bundesländern und einen kleinen Hoffnungsschimmer in Baden-Württemberg.
Kurzer Rückblick: Kontroverse um Abschaffung der Ruhetage bei juristischem Staatsexamen in Baden-Württemberg
Doch was war passiert? Das Landesjustizprüfungsamt (LJPA) in Baden-Württemberg gab im Januar 2023 bekannt, dass bei zukünftigen Prüfungen im Rahmen des ersten juristischen Staatsexamens die Ruhetage schrittweise abgeschafft werden.
Begründet wurde dies damit, dass es Schwierigkeiten geben würde, passende Räumlichkeiten zu finden. Diese Begründung ist aus meiner Sicht und der vieler weiterer Kommentatoren nur ein Vorwand, um Gelder für die Miete (sofern private Räumlichkeiten angemietet wurden) der Räume zu sparen. Die Nachteile dieser neuen Regelung sind immens: Höhere körperliche Belastungen (Stichwort Sehnenscheidenentzündungen) oder auch erhöhter psychischer Druck sind die Folge.
In der Folge der Berichterstattung haben verschiedene juristische Verbände und Vereinigungen öffentlich widersprochen und auch die studentische Meinung war klar gegen die Entscheidung gerichtet. Erst schien jedoch überhaupt keine Bewegung in die Sache zu kommen und das LJPA schien an dem Plan festhalten zu wollen, nun gibt es aber offenbar doch neue Entwicklungen, die ein merkwürdiges Licht auf den gesamten Vorgang werfen.
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Im Landtag: Die Anfrage an das Ministerium für Justiz und Migration
Die Geschichte um die Ruhetage setzte sich im Landtag in Baden-Württemberg fort. In Baden-Württemberg regiert eine Grün-Schwarze Koalition. Zwei Landtagesabgeordnete der SPD stellten eine Anfrage beim Ministerium für Justiz und Migration über die Vorgänge.
In einer Meldung bei beck-aktuell vom 23. Februar 2023 [1] findet sich die (bisherige) Absicht durch das Ministerium bestätigt: Wieder wurde das Raumargument genannt.
Die anderen Argumente sind m.E. aber eindeutig vorgeschoben. Wieso das Anmieten von Räumlichkeiten für drei Tage so erhebliche Probleme darstellen soll, erschließt sich nicht.
Schließlich sei es immer schwieriger, auch vor dem Hintergrund des E-Examens, adäquate Räumlichkeiten anzumieten. Außerdem sei das Examen dann kürzer, womit auch die Belastung sinke und schließlich sei einer der Ruhetage ja sowieso umstritten. In Bayern gäbe es außerdem keine Ruhetage.
Letzteres ist zutreffend, wobei Bayern aber auch nicht als das Musterbeispiel für gute Prüfungsbedingungen gilt. Die anderen Argumente sind m.E. aber eindeutig vorgeschoben. Wieso das Anmieten von Räumlichkeiten für drei Tag so erhebliche Probleme darstellen soll, erschließt sich nicht. Insbesondere, da das LJPA – wie bereits in meinem vorherigen Beitrag erwähnt – Routine im Anmieten haben sollte.
Fragwürdige Argumente
Zusätzlich besteht das Problem der unpassenden Räumlichkeiten schon länger (z.B. wurden Examina Räumen mit – bekanntermaßen – defekten Lampen geschrieben) und diese Räume werden auch nicht besser, wenn man sie kürzer anmietet.
Auch dass die Belastung sinke, wenn man die Ruhetage streiche, ist ein etwas fragwürdiges Argument. Ich selbst habe zwar keine Probleme während des Examens gehabt, aber anderen taten die Ruhetage gut, bei einigen Mitprüflingen war die Sehnenscheidenentzündung tatsächlich ein Problem.
Am Ende kritisierten auch die Fragesteller die Entscheidung. Boris Weihrauch (SPD Landtagsfraktion BW): „Anders als bei anderen Studiengängen steht und fällt die berufliche Zukunft mit der einen Note im Staatsexamen. Die sechs jeweils mehrstündigen Klausuren in einer sehr kurzen Taktung gelten ohnehin als außerordentlich beanspruchend.“
Der Fairness halber sei gesagt, dass die SPD von 2011 bis 2016 (davor war Baden-Württemberg Jahrzehnte CDU oder aus einer Koalition CDU und FDP regiert) selbst den Justizminister stellte und auch nicht für eine Reduzierung der Belastung gesorgt hat.
Der RCDS trifft die Justizministerin und eine überraschende Ankündigungen
Kürzlich gab der Ring Christlich-Demokratischer Studenten Heidelberg (RCDS) und der RCDS Baden-Württemberg, bekannt, dass er sich mit der Ministerin für Justiz und Migration, Marion Gentges (CDU), getroffen habe.
Aus Transparenzgründen sei hier erwähnt, dass der RCDS der CDU/ CSU sehr nahesteht und seine Mitglieder auch häufig Parteimitglieder der Partei bzw. der jeweiligen Jugendorganisation sind. Der RCDS wird häufig als Parteivertretung der CDU/CSU an der Universität wahrgenommen, auch wenn er ’nur‘ eine „befreundete Organisation“ der Partei ist.
Dieser Besuch förderte Erstaunliches zu Tage. So soll laut der Ministerin die Streichung der Ruhetage in allen Bundesländern (außer in Bayern, da gibt es ohnehin keine) erfolgen. Dies ist eine große Neuigkeit.
In meinen Recherchen zu diesem Beitrag konnte ich dazu keine weiteren Informationen finden. Die Streichung in anderen Ländern ist ebenso kritisch wie eine isolierte Entscheidung in Baden-Württemberg. Für zukünftige Examenskandidaten sind dies keine guten Neuigkeiten. Auch die „neue“ Begründung für die Streichung der Ruhetage überrascht. Wie der Pressemitteilung zu entnehmen ist, habe die Streichung den Zweck „die Vergleichbarkeit der Prüfungsbedingungen zu verbessern und den Klausuren-Ringtausch zwischen den Bundesländern zu ermöglichen.“
Für zukünftige Examenskandidaten sind dies keine guten Neuigkeiten.
Keine Rede ist mehr von Räumen oder Belastungsreduzierung. Es erstaunt aber auch, dass man von den geplanten Streichungen in 14 anderen Bundesländern bisher noch nichts gehört oder gelesen hat.
Es stellt sich tatsächlich die große Frage, warum diese Begründung nicht bereits vom LJPA in seiner damaligen Pressemitteilung angeführt wurde, wenn die Möglichkeit des Ringtausches doch der Hintergrund der Entscheidung gewesen sein soll?
Warum führen das LJPA und das Ministerium anlässlich der Anfrage der Abgeordneten das Raumargument an? Wieso sind die Pläne der anderen Bundesländer, die ja schon die Planung für 2023 betreffen, nicht bekannt? Gibt es solche Pläne tatsächlich?
Wenn der Ringtausch tatsächlich der Grund ist, hätte das Ministerium, das als Teil der Exekutive gegenüber dem Landtag zur Auskunft verpflichtet ist, das angeben müssen. Ist es damit seiner Informationspflicht vielleicht nicht nachgekommen?
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Der Ringtausch ist nicht neu
Aber auch die „neue“ Argumentation kann nicht überzeugen. Der Ringtausch meint den Austausch der Klausuren unter den Bundesländern. Sachverhalte werden ausgetauscht, um (am gleichen Tag) die gleiche Klausur zu schreiben und die Vergleichbarkeit der Examina zu erhöhen. Dabei sind aber Änderungen am Sachverhalt möglich (um z.B. den Prüfungsstoff anzupassen).
Ein Ringtausch ist nicht neu und war auch bisher bereits möglich. Mir wurde aus sicherer Quelle berichtet, dass meine erste Klausur im Zivilrecht auch in Bremen geschrieben wurde (allerdings gab es bei mir in Baden-Württemberg eine Zusatzfrage mit dazugehörigem Sachverhalt). Und das war kein Einzelfall.
Warum nun die Streichung der Ruhetage notwendig sein soll, um dies (weiterhin) zu ermöglichen, erschließt sich mir nicht und es drängt sich der Verdacht auf, dass es sich hier einfach im einen anderen Vorwand handelt. Der Ringtausch hat bereits stattgefunden und wird nicht erst „ermöglicht“.
Auch stellt sich die Frage, wie die Prüfungsbedingungen durch die Streichung besser verglichen werden sollen, wenn die Ruhetagregelungen in allen Bundesländern bis auf Bayern ähnlich oder gleich sind? In dieser Hinsicht waren die Bedingungen in 15 Bundesländern eindeutig vergleichbar und der Ringtausch aktiv gelebt.
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Baden-Württembergischer Sonderweg und zukünftige Entwicklungen
Die Ministerin für Justiz und Migration, Marion Gentges, kündigte im Gespräch mit dem RCDS an, dass es einen baden-württembergischen „Sonderweg“ geben werde und die Ruhetage nicht gestrichen würden.
Das ist positiv. Positiv ist auch, dass verschiedene Verbände und Vereinigungen einhellig gegen die Streichung der Ruhetage waren.
Drei Punkte sollten zu denken geben:
- Streichung der Ruhetage in anderen Bundesländern: Sollten die Ruhetage in anderen Bundesländern tatsächlich gestrichen werden sollen, wäre das schlimm. Man kann nur hoffen, dass die studentische Reaktion wieder so lautstark und eindeutig ausfällt, dass es nicht dazu kommt.
- Wechsel der Begründungen: Warum wurde der Ringtausch und die bessere Vergleichbarkeit nicht zuvor vom LJPA oder dem Ministerium, insbesondere bei der Anfrage der Landtagsabgeordneten genannt? Die Entscheidungen und ihre Begründung sollen und müssen transparent und offen kommuniziert werden. Es besteht kein Grund für Geheimhaltung.
- Schwache Argumentation: Die bisherigen Begründungen können in keiner Form überzeugen. Weder die Räumlichkeitenfrage noch der Ringtausch können aus meiner Sicht die Entscheidung auch nur ansatzweise rechtfertigten oder tatsächlich als zutreffendes Argument gewertet werden. Dies führt direkt wieder zu Punkt 2, eine transparente Begründung der Entscheidungen muss erfolgen.
Ungeachtet dessen, ist die baden-württembertische Entscheidung im Sinne der Prüflinge und die Ruhetage in Baden-Württemberg bleiben erhalten. Gleiches wird hoffentlich auch in anderen Bundesländern der Fall sein.
Dass es überhaupt jemals so eine Entscheidung gegeben hat, wirft kein gutes Licht auf LJPA und das Ministerium und nur den studentischen und weiteren fachlichen Initiativen ist es zu verdanken, dass der Schaden zumindest erstmal abgewendet werden konnte.
Dr. Michael Hördt, M.C.L. (Mannheim/ Adelaide) studierte Jura an der Universität Heidelberg mit Praktika in Zürich und Dublin. Danach erwarb er den Master of Comparative Law der Universität Mannheim und der University of Adelaide und promovierte zum Thema „Pflichtteilsrecht und EuErbVO“ an der Universität Potsdam. Sein Referendariat absolvierte er am LG Darmstadt mit Stationen in Dublin und Washington, D.C. Nach Stationen als Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei in Frankfurt a.M. für Arbeitsrecht und das Irlandgeschäft der Kanzlei und anschließend als Syndikusrechtsanwalt bei einem indischen IT-Konzern ist er aktuell als Assistant General Counsel EMEA Legal HR bei Elanco tätig.
Die Ansichten in seinen Beiträgen sind seine eigenen und spiegeln nicht notwendigerweise die des Unternehmens wider.
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