
Graffiti Tags – legal, illegal? Welche Strafen drohen Sprayern?
An vielen Orten wird Graffiti toleriert und ist ein fester Bestandteil des Straßenbildes. Wenn nicht ausdrücklich erlaubt, ist die Gesetzeslage aber so, dass Graffiti strafrechtlich sanktioniert wird. Wir schauen auf die Details.

Eine Vielzahl interessanter Fragen im Strafrecht
Vor knapp zwanzig Jahren erschien Tony Hawk’s Skateboarding auf verschiedenen Videospielkonsolen und mit diesem Spiel erlebte nicht nur Skateboarding ein Revival, sondern auch die damit verbundene Kultur um Punk Rock und Graffiti. Plötzlich versuchten sich vor allem Jugendliche wieder an den gesprühten Wandgemälden, wobei die Ergebnisse aber oft, zumeist von der älteren Generation, als Schmierereien empfunden wurden.
Was ist Kunst und was ist strafrechtlich relevant? Graffiti im öffentlichen Raum – einige sogenannte „tags“, d.h. die Namenszüge einiger Sprayer, erlangten auch über die Szene hinaus Bekanntheit (wobei der fiktive tag „El Barto“ aus den Simpsons immer noch der bekannteste sein dürfte).
Über die Jahre schlossen sich verschiedene Sprayer zu sogenannten Crews zusammen und verbreiteten ihr gemeinsames tag. Graffiti war und ist für viele ein Ärgernis und so wurde der Ruf nach Sanktionen laut – und hier zeigt sich der Bezug zur Juristerei. Insbesondere im Strafrecht stellt sich eine Vielzahl interessanter Fragen.
A. Diskussion um die Strafbarkeit von Graffitis nach der alten Gesetzesfassung
Die Frage der Strafbarkeit von Graffiti bietet sich in der juristischen Ausbildung gut für eine mündliche Examensprüfung an. Ursprünglich war § 303 I StGB die einzige Strafvorschrift, die für eine Subsumtion des Graffiti-Sprayens unter den Gesetzestext fiel. Wurde nun ein Sprayer erwischt, stellte sich die Frage, ob der Gesetzestext dies darauf zutraf. Der Gesetzestext des § 303 I StGB lautet:
„Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Allerdings sah sich die Rechtsprechung mit einem Problem aufgrund des Gesetzeswortlautes konfrontiert: Die Beschädigung oder Zerstörung der Sache musste vorliegen. Die Zerstörung der Sache war in der Regel ausgeschlossen, lag aber eine Beschädigung vor, wenn eine Wand ohne Erlaubnis angesprüht worden war?
Schaut man sich die Definition von „Beschädigen“ an, musste auch dies in der Praxis häufig verneint werden. Nach der Rechtsprechung ist „Beschädigen jede körperliche Einwirkung auf eine Sache, durch die ihre Substanz nicht unerheblich verletzt oder ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird. Mithilfe einer fachgerechten Reinigung war es aber zumeist möglich, die besprühten Flächen ohne Rückstände wieder in den vorherigen Zustand zu versetzen.
Die Strafverfolgung scheiterte also häufig an diesem Punkt, da keine Substanzverletzung mehr festgestellt werden konnte oder Gutachten zur Feststellung zu aufwendig gewesen wären.
In der Literatur wurde in diesem Zusammenhang die Zustandsveränderungstheorie diskutiert, die bereits eine Veränderung gegen den Willen des Eigentümers als ausreichend für eine Sachbeschädigung ansah. Diese Theorie hat der Gesetzgeber bei der Reform des § 303 StGB aufgenommen.

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B. Schaffung des heutigen § 303 II StGB
In der Folge wurde im Jahr 2005 der heutige § 303 II StGB eingeführt. Dieser lautet:
„Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert.“
Graffiti ohne Einwilligung des Eigentümers war ab diesem Punkt strafbar. Man kann dennoch durchaus überlegen, ob das Strafrecht das richtige Instrument ist, um gegen Graffiti vorzugehen. So mögen zivilrechtliche Konsequenzen durchaus effektiver sein, wenn die Täter die Reinigung aus ihrem eigenen Vermögen zahlen müssen und gerade junge Täter dies regelmäßig deutlicher als Konsequenz spüren werden. Dennoch hat sich der Gesetzgeber entschieden, den Weg über das Strafrecht zu gehen. Bei der Ermittlung der Täter stellt sich dann eine interessante Frage.
C. Graffiti, Strafrecht – Sind tags eine Unterschrift?
Diese Frage lautet, ob tags mit einer Unterschrift gleichzusetzen sind? So sind viele Graffitis signiert, sei es mit einem tag der Gruppe oder einer individuellen Kennzeichnung. Wird nun ein Sprayer erwischt, stellt sich die Frage, ob sein tag an einem Werk auch die Urheberschaft bei anderen Werken beweist. Einige Gerichte hatten sich in der Vergangenheit mit dieser Frage auseinandergesetzt – und kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Im Jahr 2002 hat das Landgericht Offenburg (v. 15.01.2002 – 8 KLs 5 Js 11475/99) dies noch verneint. Zwar käme dem tag durchaus eine hohe Indizwirkung für eine Täterschaft zu, allerdings könne nach Auffassung des Gerichts nicht ausgeschlossen werden, dass eine dritte Person den tag und damit die Unterschrift nachgeahmt habe.
Das Landgericht Offenburg ist sich in seiner Entscheidung bewusst, dass ein solches Nachahmen in der Szene verpönt ist und sogar innerhalb der Szene üblicherweise sanktioniert wird. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass Dritte dennoch, vielleicht sogar aus Unwissenheit, aber auch willentlich, gegen diese Szeneregeln verstoßen. Daher ist ein tag nicht wie eine Unterschrift zu werten.
Gegenteilig und mit ausdrücklicher Distanzierung von der Entscheidung aus Offenburg, entschieden das Landgericht Potsdam (v. 02.06.2015 – 24 Qs 110/14) und das Landgericht Berlin (v. 11.08.2005 – (524) 21 Ju Js 783/03 (35/05)). Die Ausführungen des Landgerichts Potsdam sind besonders lesenswert.
Das LG Potsdam setzt sich ausführlich mit der Graffiti-Szene auseinander und kommt zu dem Schluss, dass ein „tag“ einer Unterschrift entspricht. Anders kann die Beurteilung nur ausfallen, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieses tag auch von einem anderen Sprayer verwendet wird oder dass der tag verkauft wurde.
Für das sogenannte „biten“, d.h. die Verwendung des tags eines anderen Sprayers, müssen daher nach der Auffassung des Gerichts Anhaltspunkte bestehen. Dies unterscheidet sich aber deutlich von der Auffassung des LG Offenburg. Das LG Potsdam scheint der Auffassung zu sein, dass die Szeneregeln so stark und bindend sind, dass dem tag eine Unterschriftenqualität zugesprochen werden muss.
D. Welche juristische Bedeutung haben Gruppentags / Crew-tags?
Anders und einheitlich wird aber die Situation bei Gruppentags beurteilt. Ein sogenanntes Crew-tag ist die Signatur einer Gruppe von Sprayern. Die Verwendung eines Crew-tags lässt jedoch nur den Rückschluss auf die Gruppe zu und nicht darauf, ob ein bestimmtes Mitglied bei einer Aktion anwesend war. Hierfür braucht es mehr, als das bloße Signieren. Das LG Potsdam erkennt dabei richtig, dass mehrere Sprayer gemeint sind, wobei das Crew-tag auch verwendet werden kann, wenn nicht alle anwesend sind.
E. Bedeutung für Prüfungen
Das Thema Graffiti ermöglicht vor allem in mündlichen Prüfungen interessante Diskussionen. Rechtsgeschichtlich und im Rahmen der Gesetzesentwicklung und Auslegung des § 303 StGB sind spannende Fragen gegeben, die ein weites Feld abdecken. Aber auch die Frage, ob ein tag eine Unterschrift darstellen kann, mag eine spannende Diskussion in juristischen Prüfungen ermöglichen. Aufgrund der differierenden Entscheidungen der Landgerichte ist man in der Prüfung auch in der Argumentation frei – ein richtig oder falsch kann es gar nicht geben.
F. Graffiti Tags & Strafrechtliche Folgen: Fazit
Mittlerweile gibt es viele Orte, an denen Graffiti erlaubt ist oder toleriert wird und ein fester Bestandteil des Straßenbildes ist, man denke z.B. an den Mauerpark in Berlin oder Künstler wie Banksy, deren Werke Touristenattraktionen sind. Zwanzig Jahre nach dem Wiederaufkommen des Skatetrends ist dieser nicht mehr so ausgeprägt wie Ende der Neunziger, dennoch finden sich immer noch viele Punkte dieser Szene in der Kultur und in den Straßen wieder.
Dabei ist es durchaus zu empfehlen, sich einige Orte an denen Graffiti zulässig ist, anzusehen. Es gibt doch einige richtig gute Graffiti-Künstler, die gekonnt mit Perspektiven und Stilen spielen und auf einzigartige Weise Straßenkunst schaffen. Wo dies nicht erlaubt ist, ist die heutige Gesetzeslage aber so, dass Graffiti strafrechtlich sanktioniert wird.

Dr. Michael Hördt, M.C.L. (Mannheim/ Adelaide) studierte Jura an der Universität Heidelberg mit Praktika in Zürich und Dublin. Danach erwarb er den Master of Comparative Law der Universität Mannheim und der University of Adelaide und promovierte zum Thema „Pflichtteilsrecht und EuErbVO“ an der Universität Potsdam. Sein Referendariat absolvierte er am LG Darmstadt mit Stationen in Dublin und Washington, D.C. Nach Stationen als Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei in Frankfurt a.M. für Arbeitsrecht und das Irlandgeschäft der Kanzlei und anschließend als Syndikusrechtsanwalt bei einem indischen IT-Konzern ist er aktuell als Assistant General Counsel EMEA Legal HR bei Elanco tätig.
Die Ansichten in seinen Beiträgen sind seine eigenen und spiegeln nicht notwendigerweise die des Unternehmens wider.
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