BGH Urteil: E-Mail im Geschäftsverkehr und der rechtswirksame Zeitpunkt der Zustellung

Der E-Mail Zugang im Geschäftsverkehr und die Bereitstellung auf dem Mailserver des Empfängers – Ein überraschend prüfungsrelevantes Thema

Die rechtsverbindliche Zustellung von E-Mails & der BGH

Es mag erstaunen, aber lange gehörte es zu den von der Rechtsprechung ungelösten Rechtsfragen – wann ist eine E-Mail im Geschäftsverkehr tatsächlich zugegangen? Bei tatsächlicher Kenntnisnahme? Oder wenn die E-Mail sich abrufbar auf dem Server befindet?

Über 50 Jahre nach Versendung der ersten E-Mail hat sich nunmehr der BGH (Urteil vom 06.10.2022 – VII ZR 895/21) zu dieser Frage geäußert – und man kann davon ausgehen, dass dieses Thema sowohl in Hausarbeiten, Klausuren, als auch mündlichen Prüfungen diskutiert werden wird.

Es mag erstaunen, aber lange gehörte die Frage, wann eine E-Mail tatsächlich zugegangen ist, zu den von der Rechtsprechung ungelösten Fragen. Bei tatsächlicher Kenntnisnahme? Oder wenn die E-Mail auf dem Server abrufbar ist?

Wann gilt eine E-Mail rechtswirksam als zugestellt? Das Urteil des BGH

Warum hat es so lange gedauert?

Spöttische Kommentare sah man direkt nach Veröffentlichung der Entscheidung viele. Es wurde wieder von dem „Internet als Neuland“ und der mangelnden Digitalisierung in Deutschland gesprochen, nach dem Motto „der BGH weiß nun auch, dass es E-Mails und Internet gibt“. Solchen Kommentaren liegt eine Fehleinschätzung zugrunde: Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichtshofes, seine Rechtseinschätzung ungefragt abzugeben (es gibt zwar die Figur des obiter dictums, aber diese ist sehr sparsam einzusetzen).

Der BGH hatte einen Fall zu entscheiden, bei dem es unter anderem um die Frage ging, ob und wann eine versendete E-Mail dem Empfänger zugeht.

Der BGH kann eine Rechtsfrage erst dann beantworten, wenn sie ihn über den Instanzenzug erreicht. Wenn vorher kein Fall den BGH erreicht hat, bei dem dieses Thema von Relevanz war, dann beschäftigt er sich nicht damit. Dies kann natürlich eine schöne Prüfungsfrage sein, auf die man vorbereitet sein sollte.

Dem BGH also vorzuwerfen, bisher nicht im digitalen Zeitalter angekommen zu sein, ist verfehlt. Es gibt zwar viele Probleme bei der Digitalisierung im Rechtswesen, aber die späte Entscheidung ist keins davon. Möchte ein Prüfer in der mündlichen Prüfung etwas provozieren und „aufs Glatteis führen“, stellt er genau eine der oben genannten Thesen auf, die man dann widerlegen muss.

Die Entscheidung des BGH

1. Sachverhalt

Der Fall, über den der BGH zu entscheiden hatte, handelte über einen Streit zweier Unternehmen. Es ging um Bauleistungen. Worauf es hier ankommt, ist, dass schließlich die Beklagte der Klägerin per E-Mail einen Vergleich zutrug, der die Zahlung von ca. 14.000 EUR zum Gegenstand hatte. Einen Tag später antwortete der Klägervertreter um 9:19, dass die Restkosten sich auf diese Kosten belaufen würden und keine weiteren Forderungen geltend gemacht werden würden.

Ca. 30 Minuten später folgte eine E-Mail, in der gesagt wurde, dass eine abschließende Forderungshöhe bisher nicht erfolgt sei, die vorherige E-Mail sei daher nicht zu beachten. 3 Tage später kam eine Abschlussrechnung über ca. 22.000 EUR durch die Klägerin. Die Beklagte überwies dennoch 4 Tage später nur die ca. 14.000 EUR.  Die Klägerin machte den Differenzbetrag erfolglos vor Gericht geltend.

2. Prüfungsrelevante Fragen

Der Fall bietet sich perfekt für eine Klausur oder Hausarbeit an. Die Parteien haben einen Vergleich (§ 779 BGB) abgeschlossen. Dies wurde damit begründet, dass das Vergleichsangebot von der Klägerin (durch ihren anwaltlichen Vertreter) nach 147 II BGB angenommen wurde. Dabei war entscheidend, dass ein Angebot auf das Schließen eines Vergleichs mit der Mail um 9:19 vorlag.

Nunmehr kam es darauf an, wann das Angebot bei einer E-Mail als zugegangen gilt, da § 130 I BGB auf den Zugang des Angebotes abstellt. § 130 BGB ist vorrangig im BGB AT eine zentrale Norm, die leider in vielen Fällen übersehen wird. Wer diese in der Prüfung gut und ausführlich darstellen kann, gewinnt schon Pluspunkte. Wann eine E-Mail im Sinne dieser Norm zugegangen ist, war aber höchstrichterlich bislang nicht entschieden.

Der BGH nannte dabei die beiden Ansichten, die im Umlauf sind:

  1. Die erste Ansicht besagt, „dass eine E-Mail dem Empfänger unmittelbar in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen ist. Eine Ausnahme soll für den Fall gelten, dass die E-Mail zur Unzeit oder außerhalb der üblichen Geschäftszeiten eingeht; in diesem Fall liege der Zugang der Erklärung am Folgetag.“
  2. Die zweite Ansicht besagt, dass eine E-Mail dem Empfänger zugegangen ist, „wenn ein Abruf im geschäftlichen Verkehr erwartet werden kann, an dem Tag zu, an dem sie abrufbereit im Postfach liegt. Maßgeblich ist danach, wann der Absender mit einer Kenntnisnahme der E-Mail nach dem üblichen Geschäftsablauf rechnen kann. Insoweit wird angenommen, dass ein Abruf der E-Mails spätestens bis zum Ende der Geschäftszeit zu erwarten ist.“

Der BGH musste nicht zwischen den beiden Ansichten entscheiden, gibt aber eine deutliche Richtung vor, die sich auch im Leitsatz wiederfindet:

„Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.“

Beide Ansichten führten zum gleichen Ergebnis, der BGH stellt aber klar: Eine Kenntnisnahme ist nicht notwendig für den Zugang. Dies macht auch Sinn – man kann erwarten, dass in der heutigen Zeit im üblichen Geschäftsverkehr das E-Mail Postfach mehrmals am Tag geprüft wird, sodass hier auch ein Unterschied zum herkömmlichen Briefkasten liegt.

Dieser wird in der Regel nur einmal am Tag geprüft, da auch kein weiterer Posteingang erwartet werden muss, nachdem die Post „durch“ ist.  Ebenfalls muss man beachten – die Empfangsgeräte benachrichtigen gesondert über den Empfang, sodass ab diesem Zeitpunkt im Rahmen der üblichen Geschäftszeiten Kenntnis genommen werden kann. Vorausgesetzt ist natürlich, dass der Empfänger des Angebots auch zum Ausdruck gebracht hat, E-Mails im Geschäftsverkehr zu nutzen. Dazu genügt zumindest im unternehmerischen Geschäftsverkehr bereits die Veröffentlichung der E-Mail-Adresse.

Abschließend sei noch festzuhalten, dass die E-Mail, die 30 Minuten später erfolgte, keinen wirksamen Widerruf darstellen konnte. § 130 I S.2 BGB setzt einen vorherigen oder gleichzeitigen Widerruf voraus  – die erste E-Mail war aber bereits um 9:19 zugegangen. Wichtig ist für die Prüfung: Eine genaue Subsumtion unter dem Sachverhalt unter Nennung der Argumente ist notwendig. Durch die Darstellung kann man sich abheben – sowohl positiv, als auch negativ.

Muss der Gesetzgeber tätig werden?

Die Frage, die sich aber nun stellt, da keine abschließende Lösung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung erfolgt ist, ob es nicht doch angebracht wäre, dass der Gesetzgeber tätig wird. Hier kann man sich auch in einem Prüfungsgespräch äußern. M.E. ist es unnötig, dass der Gesetzgeber tätig wird. Gerade dies ist ja die Natur des BGB, dass die Regelungen so abstrakt gefasst sind, dass sie auf eine Vielzahl von Sachverhalten angewendet werden können, ohne dass jede neue technische Entwicklung ein neues Gesetz erfordert.

Fazit

Die Entscheidung sollte man in jedem Fall für die Prüfung kennen. Sonderlich komplex ist die Problematik nicht, auch gibt der Sachverhalt nicht so viel her, dass es auch nur für eine Anfängerklausur reichen würde. Aber als Zwischenteil oder Aufhänger in einem Prüfungsgespräch bietet sich die Entscheidung hervorragend an, da sie zum einen Aufmerksamkeit erregt hat, zum anderen wunderbar erlaubt, Angebot und Annahme zu prüfen. Und drittens mit der E-Mail in der Folge auch weitere Fragestellungen im Rahmen des „modernen“ Geschäftsverkehrs erlaubt.

Dr. Michael Hoerdt
Autor
Dr. Michael Hördt

Dr. Michael Hördt, M.C.L. (Mannheim/ Adelaide) studierte Jura an der Universität Heidelberg mit Praktika in Zürich und Dublin. Danach erwarb er den Master of Comparative Law der Universität Mannheim und der University of Adelaide und promovierte zum Thema „Pflichtteilsrecht und EuErbVO“ an der Universität Potsdam. Sein Referendariat absolvierte er am LG Darmstadt mit Stationen in Dublin und Washington, D.C. Er war Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei in Frankfurt a.M. im Arbeitsrecht und für das Irlandgeschäft der Kanzlei zuständig. Aktuell ist er Syndikusrechtsanwalt bei Infosys Limited im Arbeitsrecht in Frankfurt a.M.

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