Johnny Depp vs. Amber Heard – Der Einfluss der Medien auf die Rechtsprechung

Unsere Autorin sieht ein großes Problem für den Rechtsstaat im Urteil eines Gerichtsverfahrens, das so deutlich die im Internet vorherrschende Meinung über einen Fall widerspiegelt.

Der Flut an medialen Inhalten über den Gerichtsprozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard konnte man sich über Wochen kaum entziehen. Mit ihrem Urteil vom 01. Juni 2022 gab die Jury nun in den meisten Punkten Johnny Depp recht. Dieses Ergebnis überrascht kaum, wenn man die Rezeption des Falles in den sozialen Medien verfolgt hat. Dass aber das Urteil eines rechtstaatlichen Gerichtsverfahrens so deutlich die im Internet vorherrschende Meinung über einen Fall widerspiegelt, lässt Zweifel daran aufkommen, wessen Beurteilung des Falls tatsächlich entscheidend war.

Worum ging es im Prozess?

Amber Heard hatte im Dezember 2018 einen Artikel in der Washington Post veröffentlicht, in dem sie über persönliche Erfahrungen mit häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch sprach und sich und ihren Artikel in die #metoo-Bewegung einordnete. In dem Artikel wird Johnny Depp zwar nicht namentlich erwähnt, es wird jedoch auf einen vorangegangenen Gerichtsprozess hingewiesen, in dem es unter anderem darum ging, ob Depp während seiner Ehe mit Heard Gewalt gegen diese verübt hatte.

Sechs Wochen trugen die Ex-Eheleute Johnny Depp und Amber Heard ihren bitteren Streit um Vorwürfe von Missbrauch und Gewalt vor Gericht aus. Der Prozess wurde live im Internet übertragen – mit einer gewaltigen medialen Resonanz.

Durch die Ereignisse um den Artikel verlor der Schauspieler, hinter dem insbesondere durch seine Verkörperung der Figur Captain Jack Sparrow im Disney-Franchise „Fluch der Karibik“ eine riesige Fangemeinschaft steht, alle großen Filmrollen – so etwa die Rolle als Gellert Grindelwald im Harry Potter-Ableger „Phantastische Tierwesen“ und nicht zuletzt auch die für ihn und seine Karriere so prägende Rolle als Captain Jack Sparrow.

Darüber hinaus brachte Depps Team zahlreiche Beweise in den Prozess ein, die zeigen sollen, dass in Wirklichkeit Depp selbst das Opfer körperlicher Gewalt durch Amber Heard gewesen sei. So zeigen etwa Fotos Depp mit deutlichen Blutergüssen im Gesicht oder mit einem Verband am Finger, nachdem er in einem von den Prozessparteien umstrittenen Vorfall seine Fingerkuppe verloren hatte.

Die Reaktion des Internets

Im Laufe des Gerichtsverfahrens kursierten immer wieder Bilder oder Videos aus dem Gerichtssaal in den sozialen Medien. Im Kurzvideoportal TikTok etwa reihte sich ein nicht länger als dreiminütiges Video des Prozesses an das nächste. Diese Videos zeigten meist Johnny Depp, wie er mit clever formulierten Antworten den Gerichtssaal zum Lachen bringt, wie er charmant mit seinen Anwältinnen und Anwälten interagiert, wie er tieftraurig von den Auswirkungen des Zeitungsartikels auf sein Leben berichtet.

Einige Videos zeigten auch Amber Heard wie sie lächelt, während Depp von seinem Leid erzählt oder wie sie mit nahezu grotesk dramatischer Mimik von ihrem eigenen Leid berichtet. Auf Instagram kursierten vergleichbare Videos und zahllose Memes, die sich größtenteils über Amber Heard lustig machten. Auf Twitter wurden die herablassenden Memes dann noch mit Kurznachrichten von vergleichbarem Inhalt garniert.

Vor diesem Hintergrund wenig überraschend zeichnete sich in den sozialen Netzwerken schnell eine Positionierung der Öffentlichkeit hinter einer der beiden Prozessparteien ab. Besonders deutlich veranschaulichen diese Positionierung zwei Hashtags auf TikTok: Der #justiceforjohnnydepp, der aktuell 20,5 Billionen (!) Views weltweit zählt und der #justiceforamberheard mit aktuell weltweit 91 Millionen Views.

Johnny Depp vs. Amber Heard — Das Urteil der Jury

Das Urteil und der Einfluss der Algorithmen

Nutzer:innen sozialer Medien versammelten sich also sichtbar hinter Depp und die Algorithmen der Plattformen reagierten darauf mit einer immer größer werdenden Verbreitung von pro-Depp und anti-Heard Content. Unabhängig davon, wer von beiden nun tatsächlich die Wahrheit gesagt hat und wer nicht, kann man sich bei dieser extremen Positionierung der Öffentlichkeit fragen, wie unbefangen die Jury noch urteilen konnte.

Zwar wurden die Jury-Mitglieder angewiesen, sich außerhalb des Gerichtssaals nicht mit dem Fall zu befassen und ihre Smartphones bis zur Urteilsfindung nicht zu benutzen. Sie wurden jedoch nicht vollständig von der Öffentlichkeit abgeschirmt, wie etwa die Geschworenen im Prozess gegen O. J. Simpson, die 1995 über mehrere Monate in einem Hotel weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten wurden.

Wahrscheinlicher, als dass die Mitglieder der Jury sich wochenlang einer Nutzung des Internets entzogen, Nachrichten nicht verfolgt und Smalltalk über den Prozess in ihrem persönlichen Umfeld im Keim erstickt haben, ist , dass ihnen der immense Wirbel um den Fall nicht entgangen ist.

Die Beweislast des Klägers

Der Ausgang des Gerichtsverfahrens war objektiv betrachtet keinesfalls eindeutig vorauszusehen: Depp trug nach dem Recht des Bundesstaats Virginia die Beweislast darüber, dass Heard durch ihn keinen häuslichen Missbrauch erlebt hat und dass sie die Anschuldigungen ihm gegenüber mit Bösartigkeit (actual malice) getätigt hat.

Depp und Heard brachten beide zahlreiche Beweise in den Prozess ein. Welchen Beweisen man mehr Glauben schenken konnte, war letztlich Interpretationssache – und die Interpretation darüber Aufgabe der Geschworenen und der Geschworenen allein.

Das Rechtssystem des US-Bundesstaats Virginia

Geschworene werden im Rechtssystem des US-Bundesstaats Virginia in Zivilprozessen auf Antrag einer Partei in den Prozess einbezogen, um als Repräsentant:innen der Öffentlichkeit über die Tatsachen des Falles zu entscheiden, während der am Verfahren beteiligten Richter:in lediglich die Entscheidung über die rechtlichen Fragen zukommt. Diese Aufteilung beruht auf dem Gedanken, dass die Geschworenen mindestens genauso qualifiziert sind, über Fakten zu entscheiden wie Richter:innen. Denn die Beurteilung von Fakten erfordert keine juristische Ausbildung. Außerdem soll die aus mehreren Personen – im Falle des Depp vs. Heard Prozesses sieben – zusammengesetzte Jury eine höhere Gewähr für die Wahrheitsfindung bieten, als die Beurteilung eines einzelnen Richters oder einer Richterin.

Doch die Bewertung der Fakten und damit die Wahrheitsfindung wurde durch die einseitige Darstellung des Falles in den sozialen Medien gefährdet: Depp wurde durch unzählige Likes und Views zum Gewinner der Öffentlichkeit. Die ganze Welt verfolgte über das Smartphone, ob die Jury ihm seine #justice zusprechen würde.

Die Geschworenen bewerteten schließlich die Aussagen Heards als unwahr und bestätigten, dass sie diese in bösartiger Absicht getätigt habe. Um die Folgen der Verleumdungen zu kompensieren, soll Heard 10,35 Millionen Dollar an Depp zahlen. Heards Widerklage ergab demgegenüber nur, dass Depp ihr wegen einer Aussage seines Anwalts Schadensersatz in Höhe von 2 Millionen Dollar zahlen muss.

Gerichtsprozesse als Social-Media-Hype – in Deutschland unmöglich?

Die genannten Entwicklungen wurden erst durch die TV-Ausstrahlung des gesamten Prozesses ermöglicht. Fernsehausstrahlungen von Gerichtsprozessen gibt es in den USA zwar schon lange und auch in früheren Prozessen gab es mitunter ein immenses öffentliches Interesse, das geeignet war, die Unbefangenheit der Jury zu beeinträchtigen. Die massenhafte und weltweite Verbreitung einzelner, teils bearbeiteter und kommentierter Ausschnitte aus den Prozess-Aufnahmen des Depp vs. Heard Verfahrens in sozialen Netzwerken kann jedoch auf völlig neue Art ein verzerrtes Bild des verhandelten Falls zeichnen.  

Dass Gerichtsprozesse in Deutschland zu solchen Social-Media-Spektakeln mutieren, ist aktuell nicht denkbar, da § 169 Abs. 1 S. 2 GVG hierzulande Filmaufnahmen in Gerichtsverfahren zum Zwecke der öffentlichen Vorführung verbietet.

Laut Koalitionsvertrag plant die Bundesregierung Gerichtsverfahren schneller und effizienter zu machen, indem Verhandlungen künftig „online durchführbar“ sein und „Beweisaufnahmen audio-visuell dokumentiert“ werden sollen. Außerdem sollen Strafprozesse „effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher“ und im Zuge dessen „Vernehmungen und Hauptverhandlungen (…) in Bild und Ton aufgezeichnet werden“.

Eine digitalisierte Justiz ist nicht zwangsweise eine moderne Justiz

Eine moderne und effiziente Justiz ist grundsätzlich wünschenswert. Das Depp vs. Heard Trial zeigt jedoch, dass audiovisuelle Aufnahmen eines Gerichtsprozesses, wenn sie im Fernsehen ausgestrahlt oder auf sonstige Weise einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, besorgniserregende Folgen nach sich ziehen können: Amber Heard berichtet von Morddrohungen, die sie seit dem Prozess laufend erhält.

Dass die Frau, die öffentlich über Missbrauch und Körperverletzung durch ihren Partner spricht, im Internet zu einer Ansammlung von Memes degradiert und in der Realität körperlich bedroht wird, könnte darüber hinaus – unabhängig davon, ob Heard nun in diesem speziellen Fall tatsächlich selbst Opfer oder Täterin war – Opfer häuslicher Gewalt in Zukunft davon abhalten, über ihre Erlebnisse zu sprechen.

Und wenn das Bild der manipulativen Frau, die einem Mann zu Unrecht Gewalt und Missbrauch vorwirft, in die politische Agenda passt, wird mitunter nicht einmal davor zurückgeschreckt, die persönlichen Schicksale der Prozessparteien zu instrumentalisieren: Berichten von VICE World News zufolge, gab das konservative US-Medienunternehmen The Daily Wire mehrere tausend Dollar aus, um gegen Heard gerichtete Werbeposts auf Instagram und Facebook zu verbreiten.

Die Fernsehübertragung des Gerichtsstreits zwischen Johnny Depp und Amber Heard und ihre Folgen sollten bei der Neugestaltung der Regelungen über die Dokumentierung von Gerichtsverfahren als warnendes Beispiel betrachtet werden: Digitalisierung ist nicht immer Fortschritt – nicht, wenn der Preis die Objektivität des Verfahrens ist und der Schutz der Prozessbeteiligten und wohlmöglich sogar der Opfer künftiger Straftaten dabei auf der Strecke bleibt.

Tabea Nalik
Autorin
Tabea Nalik

Tabea Nalik studierte Jura an der Georg-August-Universität Göttingen mit Schwerpunkt im öffentlichen Recht. Während des Studiums arbeitete sie als studentische Hilfskraft am Institut für allgemeine Staatslehre und politische Wissenschaften der Uni Göttingen und absolvierte Praktika im deutschen Generalkonsulat in Atlanta und am Landgericht Göttingen. Im Anschluss an das erste Staatsexamen begann sie mit einer Promotion im Bereich der Demokratietheorie und des öffentlichen Rechts und arbeitet am Lehrstuhl für Staatstheorie und Öffentliches Recht, insbesondere Staats- und Europarecht an der BSP Business & Law School Berlin.

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