Streichung der Ruhetage im Examen in Baden-Württemberg – eine nicht nachvollziehbare Entscheidung

Die Entscheidung, das juristische Examen in Baden-Württemberg zu ändern und die Ruhetage zu streichen, ist nicht nachvollziehbar und lässt auf Sparen am falschen Ende schließen.

Das Landesjustizprüfungsamt (LJPA) in Baden-Württemberg beschließt Examenszustände zu ändern

Das juristische Examen gilt alleine durch seine Grundkonzeption als einer der schwierigsten Studienabschlüsse. Vorherige Leistungen im Studium sind „Schall und Rauch“, einzig das Ergebnis von sechs fünfstündigen Klausuren und einer mündlichen Prüfung ein paar Monate später entscheiden über den Erhalt des Examens.

Es ist offensichtlich: Auf den Prüflingen lastet ein enormer Druck, der sich schon in der Vorbereitung deutlich bemerkbar macht. Nun hat das Landesjustizprüfungsamt (LJPA) in Baden-Württemberg beschlossen, die Examenszustände zu ändern. Man hat den Eindruck, dass der enorme Druck nicht ausreichte, sondern man auch richtig „Dampf auf den Kessel“ bekommen wollte.

Was ist passiert?

Das LJPA möchte die Ruhetage streichen. Im Herbst dieses Jahres soll es nur noch einen Ruhetag geben, ab Frühjahr gar keinen mehr. Bisherige Praxis war es, dass die sechs Klausuren in je zwei Wochen von Dienstag bis Donnerstag geschrieben wurden. Dazwischen lag dann ein Wochenende sowie zwei Ruhetage.

Wer nun meint, die Streichung diene einem höheren Ziel, z.B. einer besseren Strukturierung, weiteren Reformen zum Wohl der Prüflinge oder basiere gar auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass dies ein effektiverer Weg der Examensgestaltung sei, wird durch die Erklärung des LJPA gleich wieder auf den Boden der Tatsachen geholt. Die offizielle Begründung lautet, dass die Verkürzung die „Bereitstellung von adäquaten Räumlichkeiten“ erleichtern würde. Denn es würden jeweils private Räumlichkeiten für die Examenskampagnen angemietet werden.

Der Ständige Ausschuss, der in grundsätzlichen Fragen der Prüfung nach § 6 Abs. 4 S. 2 JAPrO berät, sieht dabei keine Nachteile in körperlicher oder mentaler Hinsicht für die Prüflinge.

Für mich persönlich ist die Entscheidung nicht nachvollziehbar und ein Schlag ins Gesicht für alle (zukünftigen) Prüflinge – es drängt sich der Eindruck auf, es gehe vor allem darum, in der Anmietung von Räumlichkeiten Geld zu sparen. Die Auswirkungen, die die Entscheidung für die Prüflinge hat, wurden dabei nicht in Betracht gezogen.

Warum die Argumentation des LJPA nicht verfängt

Jura-Examen in BW – The same procedure as every year?

Seit Jahrzehnten läuft die Prüfung in Baden-Württemberg immer im gleichen Muster und Rhythmus ab. Für das LJPA gilt , nach dem Examen ist vor dem Examen und die Vorbereitungen sollten schon lange Routine sein. Insofern sollte die Raumorganisation eigentlich kein Problem sein – schließlich läuft es frei nach dem Motto: „The same procedure as last year? The same procedure as every year.“

Das LJPA sollte eigentlich feste Vorgänge haben, die passenden Räume zu mieten und man kann sich sicher sein, dass – sofern private Anbieter betroffen sind – diese sicherlich die Termine kennen und freihalten werden, denn die öffentliche Hand ist ein sicherer Mieter. Allerdings mag die Miete für 6 Tage niedriger sein als die für 8 – und die will das LJPA aus meiner Sicht offensichtlich sparen.

Generelle Anmietung von privaten Räumen?

Ich selbst habe in Heidelberg studiert und mein Examen geschrieben. Da ich auch die Verbesserung in Anspruch genommen habe, hatte ich das (zweifelhafte) Vergnügen zweimal die Klausuren zu schreiben.

Das erste Mal habe ich im Landgericht Heidelberg, das zweite Mal in der Pädagogischen Hochschule mein Examen geschrieben. Beides keine privaten Anbieter.

An anderen Standorten mag dies anders sein, aber das generelle Argument des LJPA, das Anmieten privater Räumlichkeiten sei durch die Streichung der Ruhetage leichter, verfängt hier schon mal nicht. Das Sparpotential dürfte im Fall meiner Prüfungslocations entfallen und es ist auch am falschen Ende gespart. Auch die Raumverfügbarkeit sollte kein Problem sein – ich glaube kaum, dass das Gericht die Räume in diesen insgesamt vier Wochen im Jahr (es gibt in Baden-Württemberg zwei Prüfungstermine) unbedingt benötigt. Auch bei Gericht ist der Examensablauf vermutlich eingeübt.

Mir sind Teilnehmer bekannt, die das Examen fast durchgeweint haben, depressive Erscheinungen zeigten und die freien Tage herbeigesehnt haben, um einfach mal spazieren zu gehen und „runterzukommen“.

Druck auf die Prüflinge

Man sollte bei der Entscheidung auch an die Prüflinge denken. Nach meiner eigenen Erfahrung ist das Examen eine extrem stressige Zeit mit hoher Anspannung – dies ist normal. Druck kommt von allen Seiten.

Jeder kennt den Spruch, dass ein vier Punkte Examen dafür sorgen würde, dass man nur Taxifahrer werden könnte. Einmal zur Beruhigung: Ich kenne genug Juristen, die weniger als die „magischen“ 9 Punkte im Examen hatten, z.T. auch im Ausreichend-Bereich. Dennoch ist aus diesen sehr oft etwas geworden (wo umgekehrt das VB auch nicht immer die glänzende Karriere garantiert hat).

Es stimmt allerdings, dass dann der Start holpriger ist und je nach Notenschnitt auch z.B. der Weg zum Richteramt oder zur Staatsanwaltschaft verschlossen sein kann – dennoch ist das Leben auch mit einem Examen mit weniger als 9 Punkten nicht vorbei und es bestehen Wege und Möglichkeiten. Doch der Examensdruck lässt sich nicht ausblenden.

Jura-Examen – Fehlende Ruhetage erhöhen den Druck

Dieser mentale Druck mag nochmal erhöht werden, wenn die Ruhetage fehlen. Ich selbst bin zwar gut mit der Situation während des Examens hingekommen; es war anstrengend, aber mit Prüfungen konnte ich schon immer gut umgehen und ich hätte die Ruhetage vermutlich nicht unbedingt gebraucht.

Dennoch war ich dankbar, dass immer mal ein Tag Pause war. Den Kopf freizubekommen, sich auf ein neues Fach einstellen und wieder Kraft sammeln zu können, ist unglaublich wichtig und hilfreich im Examen. Und ich bin wie gesagt mental stabil, andere kämpfen mit dem Druck (der übrigens auch so im Berufsleben kaum wiederkommt).

Die juristische Ausbildung ist generell reformbedürftig und das Examen am Ende sicherlich nicht die beste Form, juristisches Wissen zu prüfen.

Mir sind Teilnehmer bekannt, die das Examen fast durchgeweint haben, depressive Erscheinungen zeigten und die freien Tage herbeigesehnt haben, um einfach mal spazieren zu gehen und „runterzukommen“.

Solche Fälle betreffen nicht nur die vermeintlich „schlechten“ Kandidaten, sondern ich kenne Juristen jeglicher Berufsrichtung (ob Gericht, Staatsanwaltschaft, Verwaltung, Großkanzlei oder was ganz anderes) denen es so ging und von denen es heute viele nicht vermuten würden.

Verschärfung der Situation ohne nachvollziehbare Argumente

Die juristische Ausbildung ist generell reformbedürftig (dazu mein ausführlicher Beitrag zum Jura-Bachelor) und das Examen am Ende sicherlich nicht die beste Form, juristisches Wissen zu prüfen. Weshalb man den Druck weiter erhöhen möchte bzw. sich davor verschließt, dass eine Streichung der Ruhetage unweigerlich diesen Effekt hat, kann ich nicht nachvollziehen. Statt wirklich sinnvolle Reformen zu beschließen, wird die Situation für die Prüflinge verschärft, ohne dass es dafür eine nachvollziehbare Argumentation gibt.

Von den psychischen Beschwerden abgesehen, kann der Klausurenmarathon auch körperlich problematisch werden. Stichwort Sehnenscheidenentzündung: In den 5 Stunden der Klausur schreibt man i.d.R. zwischen 20 und 40 Seiten (bei 7cm Rand), manchmal auch mehr. Selbst nicht betroffen, habe ich aber genug Prüflinge mit Schiene gesehen und sie über Schmerzen klagen hören. Scherzhaft habe ich immer über mich gesagt: „Das Nintendo spielen hat sich am Ende doch gelohnt – von der Sehnenscheidenentzündung bleibe ich verschont“, aber natürlich ist auch diese Art der Überanstrengung ein Problem.

Mit Schmerzen in der Schreibhand möchte niemand schreiben. Warum man dann auch vor diesem allgemein bekannten Hintergrund die Ruhetage streicht, weiß nur das LJPA.

Wenn der Ständige Ausschuss keine Nachteile erkennen mag, muss man sich fragen, inwieweit sich die Mitglieder noch in die Situation der heutigen Prüflinge versetzen können.

Auch wenn ich nicht weiß, wie hoch die eingesparten Kosten sein mögen, stehen diese in meinen Augen nicht im Verhältnis zur zusätzlichen Belastung. Es kann doch nicht Ziel des Examens sein, zu testen, welche Teilnehmer körperlich so belastbar sind, dass sie hunderte Seiten mit der Hand schreiben können. Eine stabile Handsehne ist kein notwendiges Merkmal des juristischen Arbeitens, warum riskiert man, dass Prüflinge eine Prüfung im schlimmsten Fall sogar abbrechen müssen, weil sie eine entzündete Hand haben?

Die „lapidaren“ Stellungnahme des LJPA lässt vermuten, dass diese Punkte nicht diskutiert wurden. Studentische Vertreter wurden nach meinen Informationen übrigens nicht angehört.

Abschließende Gedanken

Auch wenn ich persönlich gut durch das Examen gekommen bin, sehe ich die Belastung für andere und die Mängel der juristischen Ausbildung selbst. Das System bietet viele Ansätze für sinnvolle Verbesserungen, die zwar den Druck rausnehmen, aber nicht die juristische Ausbildung verschlechtern, sondern sogar verbessern mögen.

Dass das LJPA nun aber mit einer solchen Entscheidung zu den Ruhetagen Diskussionen und Kräfte bindet, wo diese ganz woanders benötigt werden (nämlich für sinnvolle Reformen) ist für mich sehr verwunderlich.

Es geht hier nicht um eine Auslese, wer am besten „leiden“ kann oder am belastbarsten ist, sondern um die Prüfung juristischer Kenntnisse. Wenn der Ständige Ausschuss keine Nachteile erkennen mag, muss man sich aber auch fragen, inwieweit sich die Mitglieder noch in die Situation der heutigen Prüflinge versetzen können.

Aus meiner Sicht wäre eine Rücknahme der Entscheidung richtig, wobei im nächsten Schritt auch eine größere Reform des juristischen Studiums und der Prüfung an sich (und dafür gibt es sehr viele gute Vorschläge) in Angriff genommen werden sollte. Aktuell geht die Prüfung nämlich an der Realität an Gerichten, in Staatsanwaltschaften, der Verwaltung und im Anwaltsberuf weit vorbei, ist aber auch im Gegenzug m.E. auch nicht eng an der Wissenschaft ausgerichtet.

Dr. Michael Hoerdt
Autor
Dr. Michael Hördt

Dr. Michael Hördt, M.C.L. (Mannheim/ Adelaide) studierte Jura an der Universität Heidelberg mit Praktika in Zürich und Dublin. Danach erwarb er den Master of Comparative Law der Universität Mannheim und der University of Adelaide und promovierte zum Thema „Pflichtteilsrecht und EuErbVO“ an der Universität Potsdam. Sein Referendariat absolvierte er am LG Darmstadt mit Stationen in Dublin und Washington, D.C. Er war Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei in Frankfurt a.M. im Arbeitsrecht und für das Irlandgeschäft der Kanzlei zuständig. Aktuell ist er Syndikusrechtsanwalt bei Infosys Limited im Arbeitsrecht in Frankfurt a.M.