Justizgrundrechte — Das Recht auf den gesetzlichen Richter

Das Recht auf den gesetzlichen Richter ist eines der Justizgrundrechte. Was bedeutet es und warum ist es wichtig? Justizgrundrechte werden in Deutschland selten verletzt. Für das Examen sollte man aber dennoch auf entsprechende Fragen vorbereitet sein. Ein Beispiel.

Warum Justizgrundrechte relevant fürs Examen sein können

Justizgrundrechte spielen im reichhaltigen Stoff eines Jurastudiums meist nur eine kleine Rolle. Es gibt nur sehr wenige Fälle mit Examensrelevanz. Doch umso mehr sollte man für das Examen zumindest einige Fälle kennen, in denen die Justizgrundrechte eine Rolle spielen bzw. sogar verletzt wurden. Erst vor Kurzem hat das Bundesverfassungsgericht einen solchen Fall entschieden (BVerfG v. 30.09. 2020 – 1 BvR 495/19). 

Dieser Fall wird wohl nicht für eine fünfstündige Klausur reichen, bietet sich aber als Teilaufgabe an. Auch könnte der Beschluss Thema einer Hausarbeit im kleinen Schein sein. Der vorliegende Beitrag ist dabei keine 1:1-Wiedergabe des Beschlusses, sondern soll nur einige Schwerpunkte und Stolpersteine in der Klausur aufzeigen. Daher empfehle ich, den entsprechenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts  vorher zu lesen.

Recht auf den gesetzlichen Richter – Was es bedeutet und warum es wichtig ist

Das Recht auf den gesetzlichen Richter ist in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verankert. Es ist eines der Justizgrundrechte und sorgt dafür, dass jede sachfremde Einflussnahme – insbesondere durch die Judikative selbst – auf die Bestimmung und Zusammensetzung des zuständigen Gerichts geschützt ist. Dieser Schutz vor sachfremder Einflussnahme erfüllt dabei eine wichtige Funktion: Er dient mittelbar der Sicherung der Rechtsstaatlichkeit des gerichtlichen Verfahrens. Das Vertrauen der Rechtssuchenden in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Justiz soll gerade durch das Recht auf den gesetzlichen Richter aufrechterhalten werden (Maunz/ Dürig, GG, Art. 101 GG, Rn. 4). 

Gerade das Zusammenspiel mit Art. 97 GG (Unabhängigkeit der Richter) soll dafür sorgen, dass Verfahren fair, rechtsstaatlich und frei von fremden Einflüssen sind. Das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 GG muss dabei jedem Studenten ein Begriff sein und ist in den Justizgrundrechten weiter ausgeformt. Ebenso garantiert Art. 101 GG, dass Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter stehen, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (BVerfG a.a.O.). Grundsätzlich lässt sich sagen: Eine Verletzung dieses Rechts liegt äußerst selten vor, aber leider kann sie vorkommen. Das zeigt folgender Fall vor dem Bundesverfassungsgericht.

 Justizgrundrecht verletzt? Der Sachverhalt des Beschlusses 1 BvR 495/19

Der Sachverhalt des Beschlusses war recht übersichtlich. In einem Zivilverfahren in der Berufung haben die Richter in einer Verfahrenspause, bei der noch zwei Schüler oder Studenten anwesend waren, sich in spöttischer Weise über den Beruf des Beschwerdeführers geäußert. In einer zweiten Sitzungsunterbrechung gaben die Richter in Anwesenheit der Schüler/Studenten und weiteren Personen Ratschläge hinsichtlich des Verfahrens. 

Der Beschwerdeführer nahm diese Gespräche heimlich per Tonband zum Beweis auf und stellte einen Befangenheitsantrag. Diesen lehnte das Landgericht ab. Die Begründung: Die Tonbandaufnahmen seien nicht verwertbar, da eine vorzunehmende Gesamtabwägung dazu führt, dass diese nicht verwendet werden können. Zwar würde unter Umständen eine Entscheidung von einem nicht neutralen Richter getroffen, aber die Integrität der Rechtspflege durch die heimlichen Aufnahmen sei höher zu gewichten.

Es wird in der Würdigung durch das Landgericht ausdrücklich festgehalten, dass die Beratungen in einem geschützten Raum stattfinden müssen. Der Befangenheitsantrag wurde daher abgelehnt. Vor dem Bundesverfassungsgericht sah man dies anders. Dieses schloss sich der Würdigung nicht an und sah hier sehr wohl massive Verletzungen des Beschwerdeführers und eine mögliche Befangenheit der Richter.

Die rechtliche Würdigung durch das Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich ausführlich zu den einzelnen Punkten. In der Klausur ist hier, da der Fall auch vielen Studenten bekannt sein dürfte, sehr stark auf eine ordentliche und saubere Subsumtion zu achten.

Zulässigkeit

In der Zulässigkeit gab es im Fall des Bundesverfassungsgerichts keine Probleme. Natürlich kann ein Klausursteller immer gerne ein oder zwei Standardprobleme einbauen; viel wichtiger ist es aber, zu wissen, dass eine Verletzung der Justizgrundrechte auch mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann. Die Normen stehen so tatsächlich im Gesetz.

Aber meine eigene Erfahrung aus korrigierten Klausuren zeigt, dass die Normenketten zwar auswendig bekannt sind, aber die Wenigsten sie auch tatsächlich mal gelesen haben und die Justizgrundrechte beim Auswendiglernen einfach nicht „auf dem Schirm haben“.

Die Folge ist oft hektisches Blättern danach, wie eine Verletzung von Art. 101 GG vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen werden kann. Daher gilt immer: In Ruhe die Normen lesen, dann kommt auch keine Panik auf, was gerade zu Beginn einer Klausur im Examen ein denkbar schlechter Start ist. 

Achtung: Andere Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sollte man, sofern der Sachverhalt keine eindeutigen Hinweise gibt, an dieser Stelle nicht vornehmen. Das einzige Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, dass durch den Bürger eingeleitet werden kann, ist die Verfassungsbeschwerde.

Dieses Wissen wird vorausgesetzt, ohne dass es weiterer Erläuterungen bedarf. Man beeindruckt den Korrektor nicht, indem man einfach nur Wissen ablädt, wie viele Verfahren es vor dem Bundesverfassungsgericht gibt, ohne dass diese für die Lösung ansatzweise Relevanz hätten.

– Begründetheit

An dieser Stelle soll direkt auf die Probleme in der Begründetheit gesprungen werden. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht dem Landgericht bescheinigt, dass es die grundlegende Bedeutung der Garantien des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG bei der Beurteilung des Sachverhaltes verkannt hat. Vom Bundesverfassungsgericht wird gerügt, dass sich das Landgericht sich nicht mit entgegenstehender höchstrichterlicher Rechtsprechung auseinandergesetzt hat. Konkret ging es dem Bundesverfassungsgericht um den Begriff der „Beratung“.

Die Karlsruher Richter lehnten nämlich gerade ab, dass es sich um den Mitschnitt von Beratungen bei den Tonbandaufnahmen gehandelt hat. Vielmehr lehnten sie dies zutreffend ab, da bei Beratungen keine Schüler/ Studenten oder Dritte anwesend sein dürfen, sondern nur die Richter und ggf. Referendare. Dies entspricht auch der Beurteilung des Begriffs „Beratung“ durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, welche aber durch das Landgericht nicht beachtet wurde. Daher ging das Landgericht bei der Beurteilung der Befangenheitsanträge bereits von falschen Tatsachen aus.

An dieser Stelle kann der Klausursteller aber bereits einige Punkte  einbauen, die in die Falle locken können. So kann z.B. der Sachverhalt in einzelnen Punkten streitig sein. Dabei muss der Klausurlöser dann sehr vorsichtig sein. Das Bundesverfassungsgericht ist keine Tatsacheninstanz oder gar eine Superrevisionsinstanz. Es prüft nur spezifisches Verfassungsrecht.

Streitigkeiten über den Sachverhalt entscheidet es gerade nicht. Dies muss der Prüfling erkennen und in der Klausur ausdrücklich sagen. An dieser Stelle ist es gerade so, dass der Sachverhalt stark dazu einlädt, dass der Klausursteller eine solche Falle einbaut. Daher gilt, auch wenn der Fall bekannt sein mag, muss er trotzdem komplett durchdacht werden und man sollte nicht auswendig Wissen wiedergeben, sondern die Aufgabe erfüllen, den konkreten Fall zu lösen. 

Sodann muss auf die weitere Argumentation des Bundesverfassungsgerichts geachtet werden. Dabei muss man in der Klausur aufpassen – es ist gerade nicht zu prüfen, ob die Aufnahmen verwertet werden durften, sondern vielmehr die Würdigung des Landgerichts, warum die Richter nicht befangen gewesen sein sollten. Das Landgericht ging wie geschildert fälschlich von einer Beratung im Sinne des § 193 GVG aus und nahm daher den Schutz der Rechtspflege an.

Da aber gerade keine Beratung vorliegt, konnte diese Argumentation nicht einschlägig sein und das Landgericht hat daher erneut zu beurteilen, ob eine Befangenheit vorlag. Das Bundesverfassungsgericht selbst nimmt diese Feststellung der Befangenheit gerade nicht vor! In der Abwägung kommt es gerade nur darauf an, ob das Landgericht die Anträge der Befangenheit im Lichte des einschlägigen Justizgrundrechtes des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG beurteilt hat. 

Auch hier kann der Klausursteller mit Ausführungen im Sachverhalt auf eine falsche Fährte locken und die Bearbeiter dazu bringen wollen, zu beurteilen, ob die Richter im Ausgangsverfahren befangen waren. Eine solche Würdigung nimmt das Bundesverfassungsgericht aber wie gesagt nicht vor. Daher ist auch hier Vorsicht geboten.

Man muss vielmehr festhalten, dass, wenn die Richter den Begriff der „Beratung“ korrekt interpretiert hätten, sie auch eine Abwägung im Sinne des betroffenen Justizgrundrechtes hätten vornehmen können und daraus entscheiden können, ob die Tonbandaufnahmen verwertbar sind und, falls dies im Lichte des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG zu bejahen ist, ob die Richter im Ausgangsverfahren befangen waren.

Justizgrundrechte im Examen: Mein Fazit

Der hier angesprochene Fall bietet sich für eine Teilaufgabe im Examen oder in einer Hausarbeit stark an. Das Recht auf den gesetzlichen Richter ist sehr selten verletzt, was deutlich aufzeigt, dass der Rechtsstaat in Deutschland funktioniert. Umso wichtiger ist es, dass bei Studierenden der Sachverhalt bekannt ist, in dem eine Verletzung vorliegt und man dies nach den grundgesetzlichen Vorgaben lösen kann. Dabei muss man sich im Klaren sein, dass der Klausursteller im vorliegenden Fall sehr schnell auf die falsche Fährte locken kann. Daher gilt: Die Fälle nicht nur auswendig lernen, sondern auch verstehen! Dann umschifft man ohne weiteres die hier genannten Fallen. Ich wünsche viel Glück und Erfolg, falls die Entscheidung Gegenstand einer Prüfung wird!

Dr. Michael Hoerdt
Autor
Dr. Michael Hördt

Dr. Michael Hördt, M.C.L. (Mannheim/ Adelaide) studierte Jura an der Universität Heidelberg mit Praktika in Zürich und Dublin. Danach erwarb er den Master of Comparative Law der Universität Mannheim und der University of Adelaide und promovierte zum Thema „Pflichtteilsrecht und EuErbVO“ an der Universität Potsdam. Sein Referendariat absolvierte er am LG Darmstadt mit Stationen in Dublin und Washington, D.C. Er war Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei in Frankfurt a.M. im Arbeitsrecht und für das Irlandgeschäft der Kanzlei zuständig. Aktuell ist er Syndikusrechtsanwalt bei Infosys Limited im Arbeitsrecht in Frankfurt a.M.

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