Jurastudium: Der Loser-Bachelor – eine Replik auf Prof. Tiziana Chiusi

Für Tiziana Chiusi, Rechtsprofessorin an der Uni Saarland, wäre der integrierte Jura-Bachelor ein „Loser-Bachelor“. Dr. Michael Hördt hält den Beitrag für wenig gelungen und die Argumentation an vielen Stellen für nicht stimmig.

Der Jura-Bachelor – Nur für Loser?

Selten machte ein Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) so die Runde in der juristischen Welt, wie derjenige von Frau Prof. Tiziana Chiusi, mit dem Titel: „Der Bachelor ist ein Loser-Abschluss“ vom 29. Juni 2022. [1] In diesem Beitrag spricht sich die Autorin vehement und durchaus provokant gegen die Einführung eines Bachelors im juristischen Studium als Abschluss vor dem Staatsexamen aus.

Für Prof. Tiziana Chiusi wäre ein solcher Abschluss ein „Loser-Bachelor“. Eine solche Wortwahl erzeugt natürlich Aufmerksamkeit. Ich halte den Beitrag für wenig gelungen und die Argumentation an vielen Stellen für nicht stimmig. In diesem Beitrag werfe ich einen genaueren Blick auf die Aussagen und Thesen von Frau Prof. Chiusi. Dabei orientiere ich mich bis auf wenige Ausnahmen am Aufbau ihres Beitrags.

I. Zur Autorin

Frau Prof. Dr. Dr. h.c. Tiziana Chiusi ist Professorin an der Universität des Saarlandes und hat seit 2001 den Lehrstuhl für Zivilrecht, Römisches Recht und Europäische Rechtsvergleichung inne. Laut der Webseite der Universität hat sie ihr juristisches Studium in Rom abgeschlossen und danach ebendort eine Notariatsausbildung erfolgreich bestanden. Das deutsche juristische Studium im Rahmen des Staatsexamens hat sie also nicht absolviert. [2]

Dennoch kann sie sich natürlich qualifiziert zum juristischen Studium und zu möglichen Reformen in Deutschland äußern; schließlich ist sie lang genug in Forschung und Lehre an einer deutschen Universität tätig.

Ich finde leider, dass es Frau Prof. Chiusi an vielen Stellen des Beitrags am differenzierten Blick mangelt, darüber hinaus zeigt sich eine mangelnde Kenntnis mancher Details des Ausbildungssystems und seiner Umstände; insbesondere in Bezug auf das zweite Staatsexamen.

II. Das Jurastudium in der ständigen Reform?

Der provokante Tonfall der Analyse und das fehlende Durchdringen der eigentlichen Reformanregungen zeigt sich schon zu Beginn des Beitrags von Prof. Tiziana Chiusi. Bereits der erste Satz lautet:

„Entgegen kursierender Legendenbildung seitens selbst ernannter Reformer der juristischen Ausbildung ist diese ständig, seit den 1960er-Jahren, Gegenstand von Anpassungen und Reformen gewesen.“

Diesem Punkt widersprechen die „selbst ernannten Reformer“ auch gar nicht. Geht man auf die Website von iur.reform, wird dort kritisiert, dass die juristische Ausbildung seit 152 Jahren im Wesentlichen unverändert ist.

Niemand sagt, dass nichts verändert wurde, nur dass es keine wesentlichen Änderungen gab – eine Nuance die Prof. Chiusi übersieht. Man darf sich fragen, was grundsätzlich dagegen spricht, das Studium in seiner jetzigen Form zu hinterfragen?

Ist es nicht gerade auch Aufgabe einer wissenschaftlichen Tätigkeit, Fragen zu stellen, Denkanstöße zu liefern und bei (möglichen) Verbesserungen zu unterstützen und Anleitung zu geben? Bereits zu Beginn des Beitrags von Frau Prof. Chiusi hat man das Gefühl, dass Hinterfragen nicht Gegenstand der Ausführungen ist, vielmehr entsteht der Eindruck, dass das große Ziel die Provokation und das Abschmettern von Reformgedanken ist. Ein Beitrag zur sachlichen Diskussion scheint nicht geplant, warum sollte man sonst Menschen, die sich für eine Reform einsetzen, gleich zu Beginn als „selbst ernannte Reformer“ abwerten.

III. Der Jurist als Garant des wirtschaftlichen Erfolgs Deutschlands?

Nach diesem Einstieg folgt ein Loblied auf die Juristenausbildung als eine der besten der Welt. Gerade diese sei für den Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland und den deutschen Rechtsstaat maßgeblich. Denn gerade

„Der Rekurs auf Gerichte und deren Fähigkeit, Prozesse innerhalb absehbarer Zeit und unter Wahrung der Rechte der Parteien zu Ende zu führen, ist gerade im Vergleich mit anderen Ländern ein Vertrauensbeweis in den Rechtsstaat, der den Zusammenhalt innerhalb der deutschen Gesellschaft erheblich prägt“;

Es kommt natürlich darauf an, welche Länder man zum Vergleich heranzieht und was man persönlich für einen absehbaren Zeitraum hält. Blickt man auf das EU Justizbarometer, so war Deutschland hinsichtlich der Verfahrenszeiträume im europäischen Vergleich nur Mittelmaß. [3] Aber hängt die Dauer eines Prozesses direkt mit der juristischen Ausbildung zusammen oder ist dies nicht vielmehr eine Frage der Ausstattung der Justiz?

Natürlich wird das Vertrauen in den Rechtsstaat durch unabhängige (und gute) Richter gestärkt, wozu auch eine gute Ausbildung gehört. Aber Deutschland liegt auch beim Vertrauen in die Justiz im europäischen Vergleich nicht uneinholbar vorn. So liegen nach dem EU-Justizbarometer u.a. Finnland, Österreich und Dänemark vor Deutschland, was das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat angeht.

Immer noch hat Deutschland gute oder gar sehr gute Werte, aber nicht solche, die nicht auch Raum für Verbesserungen böten. Und ein Hebel zur weiteren Verbesserung (neben u.a. der Ausstattung der Gerichte) ist mit Sicherheit die Ausbildung.

Bevor ich mich weiter mit Prof. Tiziana Chiusis Thesen zur Ausbildung beschäftige, kurz zur Verlässlichkeit der Verwaltung. Sie lobt diese. Denn Juristen in der Verwaltung sorgten dafür, dass ein Diskurs auf Augenhöhe stattfände. Daraus ergäbe sich Verlässlichkeit.

Bürokratieforscher sind an dieser Stelle anderer Meinung [4]. Sie bemängeln, dass es zu wenig interdisziplinären Diskurs gibt. Und Deutschland genießt in Verwaltungsverfahren aufgrund der Umständlichkeiten weltweit tatsächlich nicht den besten Ruf.

Zum Diskurs auf Augenhöhe nur soviel: Ich habe in der Vergangenheit und auch heute noch täglich mit Nicht-Juristen zusammen gearbeitet. Ein „Diskurs auf Augenhöhe“ ist immer möglich– Mitarbeiter der Verwaltung mit bspw. einem ökonomischen oder im Personalwesen verankerter Abschluss bringen andere Aspekte von Sachverhalten ein, die von Juristen häufig nicht gesehen werden. Das ist meiner Ansicht nach bereichernd und hilft, gute Entscheidungen zu treffen.

IV. Das Referendariat und die Freiheit der Berufswahl

Weitere Ausführungen folgen zur praktischen Ausbildung. Hier zeigt sich m.E., dass Prof. Chiusi nie das deutsche Referendariat durchlaufen hat und auch nicht vertieft mit diesem und seinen Rahmenbedingungen auseinandergesetzt hat.

Sie lobt die Finanzierung des Referendariats durch den Staat, da man in anderen Ländern meist ein schlecht oder kaum bezahltes Praktikum von zwei Jahren vor der jeweiligen Abschlussprüfung absolvieren müsse.

Als ich mein Referendariat absolvierte, war die Ausbildungsvergütung unter EUR 900. Von diesem Geld musste man alle Kosten (Miete, Essen, etc.) begleichen, eine Fahrkarte wurde erst in der zweiten Hälfte des Referendariats zur Verfügung gestellt. Man möge sich die Mieten in Frankfurt und Umgebung anschauen, um zu wissen, dass EUR 900 nicht gut bezahlt sind.

Gleiches trifft auch auf andere Bundesländer zu, die z. T. vielleicht etwas mehr zahlen, aber wie z. B. München ein noch mal höheres Preisniveau haben. Es geht nicht darum, dass man im Referendariat ein luxuriöses Leben führen müsste, aber wer nicht von zu Hause unterstützt wird, ist i. d. R. im Referendariat auf Nebenverdienste angewiesen. In Irland ist das „schlecht bezahlte Praktikum“ (im Falle Irlands die Traineestelle) doch häufig deutlich besser vergütet. Und nur weil es in anderen Ländern schlechter als in Deutschland sein mag, kann man doch trotzdem über bessere Rahmenbedingungen nachdenken.

Ein Vorteil der deutschen Juristenausbildung, den Chiusi anspricht, ist mit Sicherheit, dass der Volljurist in der Theorie jeden juristischen Beruf ausüben kann. In anderen Ländern legt man im Vergleich z. B. „nur“ das Anwaltsexamen ab (siehe z. B. Frankreich).

Allerdings besteht diese Berufswahlfreiheit leider oft auch nur auf dem Papier, denn Notenhindernisse können den Traum vom Richteramt oder der Staatsanwaltschaft schnell verhindern. Auch wird diese Freiheit im deutschen System z. T. von außen sogar kritisch gesehen. Ich habe englische und irische Kollegen kennengelernt, die das deutsche System bei Richtern ablehnen, da ein Richter „frisch von der Uni“ noch häufig zu wenig Lebenserfahrung habe und erst mal die als Anwalt gearbeitet haben sollte, um Erfahrungen zu sammeln.

V. Des Pudels Kern – der Bachelor

Der Schwerpunkt des Artikels von Frau Prof. Tiziana Chiusi ist jedoch die Ablehnung der Idee eines in das Studium integrierten Bachelors. Hierzu muss man wissen: Es besteht die Überlegung (und in einigen Bundesländern soll die Reform kommen), einen Bachelor in das Jurastudium zu integrieren. Dieser Abschluss könnte bspw. verliehen werden, wenn alle Zugangsvoraussetzungen für das Staatsexamen erfüllt sind. Damit gäbe es unter dem Staatsexamen einen Abschluss, der zwar Rechtskenntnisse bescheinigt, aber nicht zur Ergreifung klassischer juristischer Berufe berechtigt. Diesen Schritt lehnt Prof. Chiusi vollumfänglich ab und sie absolviert einen „kleinen Rundgang“ über verschiedenste Themenfelder, um zu zeigen, weshalb die Integration des Bachelors ein Fehler wäre.

1. Die deutsche Juristenausbildung – die beste der Welt?

Die deutsche Juristenausbildung genieße, so Prof. Chiusi, einen sehr guten Ruf. Die Frage ist m.E. allerdings: Die Ausbildung oder die Absolventen? Ebenso gilt: Auch in anderen Ländern gibt es gute Juristen. Ich habe sowohl im Studium und im Referendariat als auch in der täglichen Arbeiten Juristen aus aller Welt kennengelernt – darunter viele sehr kluge und hinterfragende Köpfe.

Darüber hinaus hatte ich Einblick in unterschiedliche juristische Ausbildungsansätze und habe viele sehr interessante Bestandteile der Ausbildung wie z.B. fachfremde Vorlesungen oder Praxiseinheiten gesehen, die ich für das deutsche System für zumindest für überlegenswert halte. Für ausländische Studenten die deutsche Notenvergabe sowie der andauernde hohe Druck fremd und nicht nachvollziehbar.

Man folgt dem deutschen Vorbild im Ausland in diesen Punkten i.d.R. nicht. Das hat sicherlich vielfältige Gründe. Einer, den ich aus Gesprächen an ausländischen Universitäten immer wieder höre, ist vielleicht, dass das Studium doch eher praxisfern ist und das Referendariat nicht so in die Praxis einführt, wie es suggeriert wird. So produziert das System mitunter die sprichwörtliche Wundertüte – z. B. auf der Richterbank. Es mag hervorragende junge Richter geben (ich selbst habe einmal eine Richterin Mitte 20 erlebt, die absolut souverän die Verhandlung geführt hat), es gibt aber auch Richter frisch von der Uni, die mit dem Amt überfordert sind.

In einem mir bekannten Fall hat ein junger Richter (mit zwei guten Examen und Promotion) den Beklagten auf die Verjährung hingewiesen. Das Toben des Klägers im Gerichtssaal und danach kann man sich sicherlich bildlich vorstellen (Merke: Über Einreden muss man reden – und zwar nicht als Richter, sondern als Prozesspartei). Und das war leider nicht der einzige „Klops“, der ihm unterlaufen ist. Insbesondere sieht man aber an diesem Beispiel, dass auch die besten Noten nicht vor Fehlern bewahren. Es zeigt außerdem, dass die Aussage:

„Die Prüfungsformate der ersten juristischen Prüfung werden der Aufgabe, die Eignung der Kandidaten für juristische Berufe festzustellen, grundsätzlich sehr gut gerecht.“

… mindestens nicht frei von Ausnahmen ist. Das erste Examen mag in vielen Fällen ein Indikator für ein gewisses juristisches Verständnis sein. Aber tatsächlich hat das Prüfungsformat nichts mit der tatsächlichen Arbeit zu tun, sowohl im ersten als auch im zweiten Examen.

Ich habe in meinem beruflichen Leben nie wie im ersten Examen einen Sachverhalt ohne Hilfsmittel außer dem Gesetz lösen müssen oder wie im zweiten Examen einen Aktenvortrag halten müssen , bei dem mir zehn Minuten ohne Unterbrechung einfach nur zugehört wurde. Wenn man wie ich das Glück hatte, sehr gute Ausbilder im Referendariat zu haben, dann merkt man, für welche juristischen Berufe man brennt und besser geeignet ist oder nicht. Das Prüfungsformat in der ersten juristischen Prüfung ist dazu m.E. aber zu abstrakt.

Ich frage mich, warum gerade Prof. Tiziana Chiusi, die ihre juristische Ausbildung im Wesentlichen im Ausland erfahren hat, nicht über den Tellerrand hinausblickt. Gerade sie wäre prädestiniert, die Elemente, die sie aus einem anderen Ausbildungsverfahren kennt, in ihre Überlegungen einzubeziehen statt Ideen abzukanzeln.

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2. Angst nur durch Repetitoren?

Jeder deutsche Jurastudierende kennt die Angst vor dem Jura-Examen, vor dem Durchfallen oder dem Bestehen mit schlechter Note. Gerade beim Nichtbestehen steht man am Ende tatsächlich nur mit seinem Abitur da – und dies zu verhindern ist der bestimmende Gedanke hinter dem Bachelor. Die Geschichte vom ehemaligen Jurastudenten, der noch Taxifahrer werden kann, da häufig noch der Führerschein vorhanden sein wird, kennt jeder.

Frau Prof. Chiusi meint, dass diese Ängste nur von kommerziellen Repetitoren geschürt würden. Ob sie auf eigene Erfahrungen in einem kommerziellen Repetitorium zurückgreifen kann, ist mir nicht bekannt. Dennoch reproduziert sie in ihrem Beitrag die Ansicht vieler Professoren, denen die außeruniversitären Repetitorien häufig ein Dorn im Auge sind.

Natürlich mag es schwarze Schafe unter den Repetitorien geben, aber als ich das Repetitorium besucht habe, waren die beiden Repetitoren mit Sicherheit die letzten, die diese Ängste geschürt haben. Allerdings wurde bei der Einführungsveranstaltung an Tag 1 meines Studiums an der Universität von drei Professoren bei der Begrüßung erklärt, dass wir nur nach links und rechts schauen sollten und die Person neben uns nächstes Jahr nicht mehr da sein würde. Darüber hinaus wurde in der ersten Woche mehrmals die hohe Durchfallquoten mitgeteilt. Das verbreitete mehr Angst im Hörsaal, als ein Repetitorium es zu einem späteren Zeitpunkt gekonnt hätte.  

Natürlich gab es auch sehr nette Professoren, die die Ängste nehmen wollten und in der Examensvorbereitung hat sich z. B. in Heidelberg viel Lobenswertes getan. Aber der Druck ist ein inhärenter Bestandteil des Jurastudiums und integraler Teil des Systems, der von praktisch jeder Person an der Uni reproduziert wird und von Generation zu Generation weitergegeben wird. Dazu braucht es keine „bösen“ Repetitoren. Aber ein Bachelor mag tatsächlich Druck nehmen, weil man beim Scheitern nicht vor dem Nichts steht und das ist auch angemessen, denn man hat im Laufe des Studiums nachgewiesen Kenntnisse erworben.

3. Niedrige Durchfallquoten?

Ein weiteres Argument, das Frau Prof. Chiusi gegen den Bachelor anführt, ist eine niedrige Durchfallquote. In den letzten fünf Jahren habe sie im Schnitt bei „nur“ 4,9 % gelegen. Der Bachelor sei daher überflüssig.  

Die genannte Quote betrifft allerdings nur die Teilnehmer, die endgültig nicht bestanden haben. Die eigentliche Durchfallquote ist mit regelmäßig über 20 % der Teilnehmer deutlich höher. Dabei fließen auch Notenverbesserer in die Statistik mit ein. Würde man nur die Teilnehmer zählen, die ihr Examen zum ersten Mal bestehen, wäre die Durchfallquote in absoluten Prozentzahlen auch beim endgültigen Nichtbestehen höher.

Zusätzlich fehlen bei den 4,9 % auch diejenigen, die nach dem ersten Examensversuch keinen zweiten Versuch unternehmen. Ich kenne einige Fälle, bei denen die Belastung und Angst vor dem letzten Versuch so groß war, dass Krankheitssymptome aufgetreten sind, sodass die Prüfung aus gesundheitlichen Gründen nie absolviert werden konnte.

Aber selbst, wenn man nur von der 4,9%-Quote ausgeht, sind dies aber immer noch mehrere Hundert Personen. Dazu kommen diejenigen, die sich gequält und „irgendwie“ bestanden haben, aber sich danach neu orientieren – sollte man da wirklich nicht über bessere Lösungen nachdenken?

4. Der Bachelor – gar nicht integrierbar?

Frau Prof. Chiusi geht auch auf die Integration eines möglichen Bachelors selbst ein. Sie ist der Auffassung, dass es nicht dem Bachelorsystem entspräche, ein „paar Scheine“ zu machen, und die gegenteilige Vorstellung auf „einer gravierenden Unkenntnis“ des zugrundeliegenden Systems beruhe. Sie erläutert das Bachelorsystem und weshalb es nicht mit dem Staatsexamen kompatibel sei. Auch wenn dies auf den ersten Blick richtig scheint, greifen ihre Überlegungen m.E. zu kurz.

Natürlich weicht das Bachelorsystem vom aktuellen Staatsexamenssystem ab. Deswegen sollte aber gerade kein Denkverbot herrschen, man muss überlegen, ob das Staatsexamen nicht so verändert werden kann, dass der Bachelor integriert werden kann oder man diesen Abschluss dann doch anders benennt.

Der Mittelpunkt des Reformgedankens ist, dass dem Kandidaten bei einem wiederholten Durchfallen im Staatsexamen ein universitärer Abschluss bleibt, der es erlaubt, entweder in einem anderen Studiengang ein Masterstudium zu absolvieren oder einen Berufseinstieg jenseits der klassischen juristischen Berufe zu versuchen.

Ein erhöhter Aufwand für die Verwaltung der Universität darf dabei kein Gegenargument sein. Jede Reform bedeutet zunächst einen erhöhten Umsetzungsaufwand. Eine einfache Verwaltung ist aber kein Selbstzweck und dass der Verwaltungsaufwand kein Hinderungsgrund ist, zeigt die Tatsache, dass einige Universitäten den Bachelor schon integriert haben.

5. Mehr Druck durch den Bachelor?

Prof. Tiziana Chiusi behauptet dann, dass der Bachelor den Prüfungsdruck sogar erhöhen würde. Aber ist dies tatsächlich der Fall? Auch die Scheine bedeuten einen gewissen Druck. Man muss in den Rechtsgebieten dem Grunde nach alle Sachfragen beherrschen. Auch wenn man im Zivilrecht vielleicht weiß, dass der Schwerpunkt der Klausur im Schuldrecht liegt, gibt es dort so viele Themen, dass auch dies einen gewissen Prüfungsstress auslöst und ab dem ersten Semester schon voller Einsatz erforderlich ist.

Der Unterschied ist, dass mit dem Staatsexamen am Ende nochmal der „Hammer“ kommt und der Druck extrem erhöht wird. Ein Studium ohne Prüfungsdruck gibt es nicht und das wird auch von den Reformbefürwortern nicht verlangt. Es geht vielmehr um eine bessere Verteilung des Drucks.

Nicht nachvollziehbar ist für mich das Argument, dass die Prüfungen im Bachelor ebenfalls nur begrenzt wiederholbar seien (in der Regel zwei Mal). Auch die Zwischenprüfung hatte zumindest bei mir ein Limit und das ist auch sinnvoll. Diejenigen Studenten, für die Jura eindeutig nichts ist, verlieren zwar auch Zeit, aber eben deutlich weniger. Bei den sog. „großen Scheinen“ erinnere ich mich tatsächlich an kein Limit, aber auch hier halte ich eine Begrenzung der Versuche für sinnvoll. Es wird immer Menschen geben, die am Jurastudium scheitern, sie sollten das nur nicht erst in der einen großen Prüfung am Ende feststellen.

Wer aber alle Leistungen erbracht hat, d. h. alle für das Examen notwendigen Scheine hat, sollte diese als Leistungen auch bescheinigt bekommen können. Zum Vergleich: Ich habe in Hessen Abitur gemacht. Mit der Versetzung in die zehnte Klasse hatte man automatisch einen Hauptschulabschluss, mit der Versetzung in elf den Realschulabschluss und nach der zwölften Klasse mit dem Erreichen der Mindestpunktzahl für die Zulassung zum Abitur das Fachabitur. Fällt dann jemand durch das Abitur, steht er oder sie nicht gänzlich ohne einen Schulabschluss jenseits der Grundschule da. Das scheint mir gerecht. Wenn jemand allerdings schon zu Beginn scheitert und keine dieser Hürden erfolgreich nimmt, verlangt niemand, dass es nur für die „Teilnahme“ einen Preis in Form eines Abschlusses gibt.

6. Bachelor – nur was für Loser?

Über den Wert des Bachelor Abschlusses äußert sich Chiusi recht eigen: Selbst wenn man etwas mit dem Bachelor in der Hand hätte, was wäre es dann? „Ein Jodel-Diplom“?

Für die, die mit dem Begriff nichts anfangen können: Das Jodel-Diplom stammt aus einem Loriot-Sketch und bezeichnet einen Abschluss, der erworben wird, ohne dass er einen Einfluss für die Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt hat. Ausdrücklich schreibt sie:

„Es gibt keinen Markt für einen solchen Bachelor, jedenfalls keinen, der auch nicht mit dem Abitur oder einem anderen geistwissenschaftlichen Bachelor offenstehen würde“.

Frau Prof. Chiusi sagt es selbst, es gibt einen Markt, der aber auch Menschen mit anderen Qualifikationen offensteht. Vielleicht ist ein spezieller Markt für den Jura-Bachelor bisher nicht sonderlich ausgeprägt, was aber auch daran liegen könnte, dass der Jura-Bachelor noch selten ist. Der Bachelorabschluss kann aber der Türöffner für den Master in anderen Fachrichtungen sein, um dort die juristischen Kenntnisse anwenden zu können. Auch für Versicherung kann er ein interessanter Abschluss sein, indem dort auch Bachelorabsolventen zur Prüfung von Ansprüchen eingesetzt werden. Auch kann ich mir Büroleiter in Kanzleien vorstellen, die einen solchen Bachelor haben und dann einen Master in einem wirtschaftlichen Fach oder Personalwesen.

Dass auf diesem Weg keine Gleichsetzung mit den Absolventen beider Staatsexamina erfolgt, ist selbstverständlich. Diese Position wird von niemandem vertreten. Und natürlich mögen andere geisteswissenschaftliche Bachelor die gleichen oder ähnliche Möglichkeiten bieten – aber warum sollte das ein Gegenargument sein? Es geht ja gerade darum, niemanden nicht vor dem „Nichts“ stehen zu lassen oder dazu zu zwingen, noch einmal ein neues Studium zu beginnen.

Dass ein Beruf in der Rechtspflege mit dem Bachelor nicht ergriffen werden kann, nennt Frau Prof. Chiusi ebenso als Gegenargument. Gerade „möglicherweise“ Studenten aus Nichtjuristenfamilien wäre dies „nicht wirklich klar“.

Ich stamme aus einer „Nichtjuristenfamilie“ und ich wusste von Anfang an, warum ich Jura studiere und was ich mit dem Studium erreichen will und welchen Weg ich gehen muss, um meine Ziele zu erreichen. Vor allem Menschen aus Nichtjuristenfamilien oder auch Nichtakademikerfamilien setzen sich meiner Erfahrung nach mehr mit diesen Themen auseinander. Gerade weil die Erfahrungswerte zu Hause fehlen, da die Eltern anderen Berufen nachgehen , muss man sich vieles selbst erarbeiten. Abkürzungen gibt es in der Regel nicht. Darüber hinaus findet man heutzutage genug seriöse Informationen zu Abschlüssen und zu welchen Berufen sie qualifizieren. Das Statement in Frau Prof. Chiusi zu Studierenden aus Nichtjuristenfamilien ist polemisch, von Standesdünkel geprägt und trägt nichts zur Diskussion bei.

Aber damit nicht genug, Chiusi sagt weiter:

„Zumal die Möglichkeit, einen Bachelor irgendwie zu ergattern, auch Studenten in den juristischen Fakultäten verbleiben lassen wird, die heute im dritten oder vierten Semester zu ihrem eigenen Glück realisieren, dass Jura in Worte gekleidete Mathematik ist und sich daher anderen Fächerzuwenden (Politikwissenschaft, Soziologie).“

Das liest sich so, als ob Politikwissenschaftler und Soziologen allesamt nur einen „Loser-Abschluss“ hätten? Studienfächer, praktisch für Leute, die nicht gut genug für Jura sind, aber trotzdem studieren wollen und dann ein ‚Laberfach‘ belegen, weil man dort nicht viel können muss?

Ein Jurist ist weder automatisch Politologe noch Soziologe. Natürlich gibt es hinsichtlich dieser Studiengänge und ihrer Absolventen zahlreiche Klischees, wie es auch genug unschöne Klischees über Juristen gibt. Ich habe reichlich exzellente Absolventen dieser Fächer kennengelernt und ich teile und verstehe diese Arroganz gegenüber anderen Fächer nicht. In jedem Fall leidet Chiusis Argumentation unter dieser Polemik

Chuisi schreibt, dass Jura in Worte gekleidete Mathematik sei. Der Vergleich hinkt. Zwar liegt dem juristischen System eine Logik zugrunde. Aber diese wird heutzutage auch nicht stringent durchgehalten. Im Sachenrecht mag ein ausgeklügeltes System gegeben sein, welches sich auch aus der Lektüre des Gesetzes ergibt. Aber das ist nicht in allen Feldern so.

Den Repetitoren wurde von Frau Prof. Chiusi vorgeworfen, dass sie sagen würden, dass man Einzelentscheidungen kennen müsste. Wäre Jura wirklich Mathematik, hätte Chiusi Recht. Aber leider ist es nicht so. Man denke nur an das Streikrecht – niedergelegt im Grundgesetz und gestaltet durch Richterrecht. Klar es gibt Kriterien, die die Rechtsprechung vorgibt, aber das sind keine präzisen mathematischen Vorgaben.

Auch das Bundesverfassungsgericht ist schon in Entscheidungen aus Gerechtigkeitsempfinden von der eigentlichen Dogmatik abgewichen und hat Ausnahmeentscheidungen und Sonderfälle formuliert – dass dürfte es in der Mathematik so nicht geben. Bspw. war in meiner Examensvorbereitung die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 130 Abs. 4 StGB ein ganz heißes Thema. Dort entwickelte das BVerfG im Rahmen von Art. 5 GG zum ersten Mal einen Grundsatz, den es nie vorher und danach wieder formuliert hat oder formulieren musste. Wer diese Einzelentscheidung kannte, war im Examen klar im Vorteil.

Als letzter Punkt sei noch angemerkt, dass das Argument, wer schon vier Semester habe, würde sich sagen, „dann mache ich auch noch den Bachelor.“, m.E. ebenfalls ins Leere geht. Bei einigen meiner Mitstudierenden war es so, dass diese keinerlei Freude am Studium hatten. Nach fünf Semestern kann man an vielen Universitäten bereits die benötigten Scheine für das Examen „gesammelt“ haben. Selbst wer das Studium nicht weiterführen will, sagt sich aufgrund des bisherigen Zeitaufwands oft genug, „bis zum ersten Examen geht es noch“. Leider kenne ich dann auch die Fälle, bei denen die Examensvorbereitung eine reine Qual war und die dann mit dem Ergebnis „endgültig durchgefallen“ endeten. Der Bachelor ist dann m.E. die eindeutig bessere Alternative.

7. Ausstieg aus dem Staatsexamen

Die Einführung eines Bachelors halte ich anders als Frau Prof. Chiusi nicht für den Beginn des Ausstiegs aus dem Staatsexamen dar. Warum sollte man die Berufe, die zwingend zwei Staatsexamina voraussetzen, für Bachelorabsolventen öffnen? Dann müsste man die Berufe auch für Absolventen nur des ersten Staatsexamens öffnen, da dies immer noch der höhere Abschluss wäre.

Dies wird meines Wissens von niemandem ernsthaft vertreten. Es geht nicht um die Ablösung des Staatsexamens, auch nicht in einem schleichenden Prozess. Der Bachelor besagt nur, dass man eine juristische Grundqualifikation hat. Mit diesem entscheidet man sich dann entweder für einen Beruf oder absolviert bspw. einen Master in einer anderen Fachrichtung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Beratungspraxis plötzlich fordern wird, dass die Bachelorabsolventen nun Anwälte werden müssen.

8. Konkurrenz zu Fachhochschulen

Die Konkurrenz zu Fachhochschulen ist für Chiusi ebenfalls ein Argument gegen den Bachelor. Bachelorabsolventen würden in Konkurrenz zu den Absolventen der Fachhochschulen treten. Ein solches Ergebnis müsste laut der Autorin „unbedingt“ vermieden werden. Warum? Würde dies das juristische Studium abwerten? M.E. nicht, da das erste Staatsexamen als höherer Abschluss nur an einer Universität erworben werden kann. Der Bachelor hat in erster Linie die Funktion, Studenten ohne Staatsexamen nicht ins „Bodenlose“ fallen zu lassen. Die Fachhochschulen würden auch nicht überflüssig werden. Die Ausbildung an der Fachhochschule unterscheidet sich nach wie vor grundlegend von der an Universitäten.

VI. Abschließende Bemerkungen

Auf der Website ihres Lehrstuhls an der Universität des Saarlands liest man über Prof. Chiusi:

„Angesichts einer gewissen Tendenz unserer Zeit zu oberflächlichen Verdikten und zu undurchdachten Entscheidungen gerade im wissenschaftspolitischen Bereich versucht sie seit Jahren nach dem Motto “Forschen statt faseln” zu handeln.“

In vielen Punkten Ihrer Ausführungen gelingt es ihr allerdings m.E. nicht, diesem Leitspruch gerecht zu werden. Auch wenn ich angesichts zahlreicher Vorteile persönlich ein Freund des Bachelors bin, ist es natürlich legitim, anderer Ansicht zu sein und diese in der Öffentlichkeit zu vertreten.

Allerdings stelle ich bei Frau Prof. Chiusi wie auch bei anderen Gegnern des Jura Bachelors leider fest, dass ihre Argumente sich häufig in Polemik oder der Abwertung von Reformvertretern, ganzen Studiengängen oder gar Nicht-Juristen im Allgemeinen verlieren.

Wollte Frau Chiusi in erster Linie provozieren, so hat sie dieses Ziel erreicht. Generell würde ich mir bei dieser Diskussion mehr Sachlichkeit wünschen. Und es ist erstaunlich, dass Frau Prof. Chiusi, der wissenschaftliche Tiefe im Argument wichtig zu sein scheint, zu diesem Mitteln greift.

Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen hätte es sich doch angeboten, Unterschiede und Parallelen zum italienischen System herauszuarbeiten. Daraus hätte sie vielleicht herleiten können, warum die deutsche Ausbildung aus ihrer Sicht keiner Reformen bedarf. Dies wäre bereichernd für die Debatte gewesen und es ist schade, dass mögliche Argumente der Reformgegner in der Polemik untergehen und es in der Rezeption des Beitrags von Chuisi mehr um das Wie der Äußerungen als um Inhalte geht.

Aus meiner Sicht besteht Reformbedarf im Studium. Die rechtliche Welt verändert und dreht sich wie der Rest der Welt immer schneller. Das juristische Studium sollte dies nicht ausblenden, sondern vielmehr Bewährtes mit sinnvollen Neuerungen kombinieren. Eine solche (positive) Neuerung kann m.E. der Bachelor sein.

Dr. Michael Hoerdt
Autor
Dr. Michael Hördt

Dr. Michael Hördt, M.C.L. (Mannheim/ Adelaide) studierte Jura an der Universität Heidelberg mit Praktika in Zürich und Dublin. Danach erwarb er den Master of Comparative Law der Universität Mannheim und der University of Adelaide und promovierte zum Thema „Pflichtteilsrecht und EuErbVO“ an der Universität Potsdam. Sein Referendariat absolvierte er am LG Darmstadt mit Stationen in Dublin und Washington, D.C. Er war Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei in Frankfurt a.M. im Arbeitsrecht und für das Irlandgeschäft der Kanzlei zuständig. Aktuell ist er Syndikusrechtsanwalt bei Infosys Limited im Arbeitsrecht in Frankfurt a.M.

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