"Drittkapitalgeber im Recht der Gesellschafterdarlehen" – Interview mit Baker-McKenzie-Preisträger Dr. Tobias Bürk

Dr. Tobias Bürk erhält den Preis für seine Dissertation, “Drittkapitalgeber im Recht der Gesellschafterdarlehen“.

Praxisrelevante Forschung im Insolvenzrecht: Interview mit Dr. Tobias Bürk zur Dritterstreckung von Gesellschafterdarlehen

Dr. Tobias Bürk erhält den Preis für seine Dissertation, “Drittkapitalgeber im Recht der Gesellschafterdarlehen“. Der Betreuer seiner Arbeit, Prof. Dr. Andreas Cahn, bemerkt, dass das Recht der Gesellschafterdarlehen seit Jahrzehnten zu den am intensivsten bearbeiteten gesellschaftsrechtlichen Themen gehört. „Umso bemerkenswerter ist es, dass Tobias Bürk neue und eigenständige Lösungsansätze entwickelt und mathematische Modelle sowie verhaltensökonomische Erkenntnisse nutzt, um neue und weiterführende Erkenntnisse zu entwickeln“, so Prof. Dr. Andreas Cahn. Die Arbeit enthalte eigenständige methodische Grundlagenarbeit auf sehr hohem Niveau, gleichzeitig wende der Verfasser konsequent die gewonnenen Erkenntnisse auf konkrete Rechtsprobleme an.

Herr Dr. Bürk, herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung! Können Sie uns kurz schildern, worum es in Ihrer Dissertation geht?

Vielen Dank. Meine Dissertation befasst sich mit der Frage der Dritterstreckung des Gesellschafterdarlehensrechts. Das Gesellschafterdarlehensrecht ist ein Rechtsinstitut des deutschen Insolvenzrechts. Danach werden in der Insolvenz einer unmittelbar oder mittelbar haftungsbeschränkten Gesellschaft Forderungen der Gesellschafter aus Darlehen oder ähnlichen Rechtsgeschäften mit ihrer Gesellschaft nachrangig befriedigt – also nach den Insolvenzforderungen außenstehender Personen.

Hier stellt sich die Frage, inwiefern gesellschafterbezogene Regelungen auf Dritte angewendet werden sollten, die zwar nicht formal Gesellschafter sind, aber im Rahmen der vielfältigen Gestaltungspraxis ggf. in einer vergleichbaren Rechtsbeziehung zur Gesellschaft stehen. In meiner Arbeit habe ich auf Basis ökonomischer Verhaltensmodelle untersucht, unter welchen Umständen Gesellschafter und Nicht-Gesellschafter vergleichbaren Fehlanreizen unterliegen, die das Gesellschafterdarlehensrecht normativ korrigieren soll.

Was war Ihre Motivation, sich gerade mit dem Thema „Drittkapitalgeber im Recht der Gesellschafterdarlehen“ zu befassen?

Seit Beginn meines Studiums interessierten mich besonders gesellschaftsrechtliche Themen und rechtsökonomischen Ansätze. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referendar faszinierte mich stets die Gestaltungsvielfalt der Unternehmensfinanzierung in der Beratungspraxis. Mein Dissertationsthema erschien mir als spannender Querschnitt durch diese Themenfelder. Daher war ich einerseits nicht ganz ohne Vorkenntnisse, andererseits hoffte ich, neue Erkenntnisse zu Themen zu sammeln, die mich schon lange interessiert hatten.

War es leicht, sich in die wissenschaftliche Arbeit hineinzufinden, oder war das zunächst eine Umstellung im Vergleich zum juristischen Studium?

Die Arbeit an der Dissertation unterscheidet sich deutlich von der Methodik der Falllösung, die man aus dem Studium kennt. Dennoch vermittelt bereits das Grundstudium einige hilfreiche Fähigkeiten für ein Dissertationsprojekt. Das Herunterbrechen juristischer Probleme in eine Vielzahl kleiner Subsumtionsschritte kennt man aus der Falllösung. Diese Methode kann hilfreich sein, die eigene Forschungsfrage herauszuarbeiten und zu schärfen. Daneben bieten besonders die Seminararbeiten eine gute erste Orientierung für das wissenschaftliche Arbeiten.

Haben Sie mit einem klaren Konzept begonnen oder hat sich Ihre Fragestellung im Verlauf noch verändert?

Ich wusste, dass ich mich mit der Dritterstreckung des Gesellschafterdarlehensrechts beschäftigen und aus der gesetzlichen Regelung praxistaugliche Auslegungsmaßstäbe entwickeln wollte. Durch das Studium der zahlreichen dazu bereits existierenden Lösungsansätze passte ich vor allem meine methodische Herangehensweise immer wieder an und entwickelte sie weiter.

Ihr Betreuer, Prof. Dr. Andreas Cahn, betont, dass dieses Rechtsgebiet bereits intensiv erforscht ist. Was war Ihre Ausgangsthese bzw. Ihr Zugang zu diesem „klassischen“ Thema?

Wegen der großen Menge existierender Literatur zu meinem Thema musste ich zunächst sehr viel rezipieren und mich mit den Vorzügen bzw. Unzulänglichkeiten vorgebrachter Thesen und Argumentationsmuster befassen.

Hierbei fiel mir auf, dass die herrschende Meinung sich oft zur Rechtfertigung des Gesellschafterdarlehensrechts auf ökonomische Fehlanreize der Gesellschafterfremdfinanzierung beruft. Die Beschreibung dieser Fehlanreize gerät aber häufig zu kurz oder erschöpft sich in der Behauptung ökonomischer Zusammenhänge. Ich fand es reizvoll, diese Zusammenhänge rechtsdogmatisch und ökonomisch zu überprüfen.

Was unterscheidet Ihre Herangehensweise von bisherigen Arbeiten?

Zwar haben sich wirtschaftswissenschaftliche und sehr vereinzelt auch rechtswissenschaftliche Arbeiten bereits damit befasst, die  Anreizlage der Gesellschafterfremdfinanzierung zu püfen – allerdings bislang kaum im Hinblick auf die durch das MoMiG eingeführten Neuregelungen. Hinzu kommt, dass diese Untersuchungen sich nicht mit der Frage der Dritterstreckung beschäftigen, also der Frage, inwiefern Drittkapitalgeber ähnlichen Fehlanreizen unterliegen können oder nicht.

Welche neuen Lösungsansätze konnten Sie im Hinblick auf Drittkapitalgeber und Gesellschafterdarlehen entwickeln?

Im Hinblick auf die Anreizlage bei Gesellschafterfremdfinanzierung konnte ich in meiner Arbeit feststellen, dass diese neben dem vielfach diskutierten Risikoerhöhungsanreiz –  also dem Anreiz, riskantere Geschäfte mit höherem Insolvenzrisiko einzugehen – auch einen Anreiz zu gläubigerschädigenden Ausschüttungen auslösen kann und zwar unabhängig von den Beteiligungsquoten eines Gesellschafterdarlehensgebers an Eigen- und Fremdkapital der Gesellschaft. Daneben konnte ich nachweisen, dass der Risikosteigerungsanreiz bei Gesellschafterfremdfinanzierung typischerweise, aber nicht pauschal erhöht ist.

Gab es dabei Erkenntnisse, die Sie selbst überrascht haben oder mit gängigen Auffassungen brechen?

Besonders überraschend fand ich die Erkenntnis, dass die Nachrangregelung entgegen der hergebrachten Auffassung unter bestimmten, nicht unbedingt realitätsfernen Umständen, besonders in Krisensituationen, auch zu einer Erhöhung des Risikosteigerungsanreizes führen kann.

Ihre Arbeit wird für die konsequente Anwendung auf konkrete Rechtsprobleme gelobt. Können Sie uns ein Beispiel geben?

Im zweiten Teil meiner Arbeit wende ich die von mir entwickelte Normzweckthese auf verschiedene Fälle gesellschafterähnlicher Drittkapitalgeber an. Ein besonders praxisrelevanter Fall, den ich aufgreife, ist die Anwendung des Gesellschafterdarlehensrechts auf Darlehensgeber, die sich weitgehende kreditvertragliche Einwirkungs- und Kontrollrechte (sog. covenants) ausbedingen.

Hier komme ich auf Grundlage meiner Normzweckthese zu dem Ergebnis, dass neben Einwirkungsrechten immer auch eine erfolgsabhängige Vergütung des Drittkapitalgebers erforderlich ist, um einen kritischen Fehlanreiz auszulösen. Das deckt sich mit der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Daneben trete ich in Konzernsachverhalten für eine stärkere Ausrichtung der Nachrangregelung an der Kenntnis oder dem Kennenmüssen des Darlehensgebers von den Faktoren ein, die zu möglichen Fehlanreizen führen können.

Welche Auswirkungen könnten Ihre Erkenntnisse auf die künftige Ausgestaltung oder Auslegung gesetzlicher Regelungen haben?

Ich hoffe, dass die Rechtsprechung die ambivalenten Anreizlage der Gesellschafterfremdfinanzierung erkennt und sich künftig möglichst klar für eine restriktive Dritterstreckung des Gesellschafterdarlehensrechts ausspricht und so für mehr Rechtssicherheit sorgt.

Dass der Gesetzgeber aktiv wird, halte ich wegen der Gestaltungsvielfalt der Unternehmensfinanzierung in der Praxis nicht für erfolgsversprechend. Aufgrund der in meiner Arbeit ermittelten Grenzen kritischer Fehlanreize erscheint einzig eine Ausweitung des Kleinbeteiligtenprivilegs, das Gesellschafter unter einer bestimmten Beteiligungsschwelle vom Gesellschafterdarlehensrechts ausnimmt, insbesondere bei Publikumsgesellschaften sinnvoll.

Welche Herausforderungen haben sich Ihnen bei der Arbeit an der Dissertation gestellt – sei es methodisch, dogmatisch oder persönlich?

Die größte Herausforderung war sicherlich, dass ich mich eingehend mit ökonomischen Methoden befasst habe und wie diese anzuwenden sind, um rechtliche Fragen zu lösen. Geholfen hat mir das hervorragende Umfeld für interdisziplinäre Forschungsansätze an der Goethe-Universität und vor allem am Institute for Law and Finance.

Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung – persönlich und beruflich?

Die Auszeichnung ehrt mich natürlich sehr und ist ein tolles Feedback für die langjährige Arbeit an meiner Dissertation. Ich finde auch, dass die Auszeichnung ein schönes Beispiel ist für den wichtigen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis, der die Goethe-Universität auszeichnet. Da mein Dissertationsthema auch in meinem Beratungsalltag als Anwalt gelegentlich eine Rolle spielt, bin ich sehr gespannt die Diskussion weiter zu verfolgen. Ich hoffe, dass meine Arbeit und die Auszeichnung zusätzliche Aufmerksamkeit auf dieses praxisrelevante Thema lenken wird.

Haben Sie einen Rat für junge Juristinnen und Juristen, die mit dem Gedanken spielen, zu promovieren?

Der zeitliche und inhaltliche Umfang eines Dissertationsprojekts kann man vor dessen Abschluss in der Regel nur schwer überblicken. Man sollte sich hiervon nicht entmutigen lassen. Vielmehr sollte man sich bewusst machen, dass ein Dissertationsprojekt eine einmalige Freiheit bedeutet, der eigenen wissenschaftlichen Neugier freien Lauf zu lassen und grundlegende juristische und methodische Erkenntnisse zu gewinnen.

Tobias Burk
Autor
Dr. Tobias Bürk

Tobias Bürk ist Associate im Bereich Finance bei Ashurst in Frankfurt am Main.

Über Baker McKenzie

Als eine der führenden deutschen Anwaltskanzleien berät Baker McKenzie nationale und internationale Unternehmen und Institutionen auf allen Gebieten des Wirtschaftsrechts. In Deutschland vertreten rund 200 Anwält:innen mit ausgewiesener fachlicher Expertise und internationaler Erfahrung die Interessen ihrer Mandant:innen an den Standorten Berlin, Düsseldorf, Frankfurt/Main und München. Baker McKenzie ist regelmäßig auf den Karrieremessen von IQB und Myjobfair vertreten.