Notendruck im Jurastudium – Schmerzliche Erfahrungen einer Studentin

Wie viel Psychodruck ist uns der Traumberuf wert? Studieren ist nicht leicht, dass weiß jede:r, doch auf den Jurastudenten: innen liegt ein besonders hoher Druck. Es ist einer der härtesten Ausbildungsgänge an deutschen Universitäten.

Wie viel Psychodruck ist uns der Traumberuf wert?

Wer das Staatsexamen zweimal nicht schafft, ist raus – für immer. Geplatzt ist der Traum vom juristischen Beruf. Scheitert man im Staatsexamen, hat man an vielen Universitäten nicht mal einen Bachelor in der Tasche. Man ist nicht weiter wie vor dem Beginn des Studiums und steht nur mit der Hochschulreife da. Dieser Umstand produziert Zukunftsangst, die Angst davor 4,5 Jahre umsonst investiert zu haben. Für diejenigen, die das Staatsexamen schaffen und nicht mindestens ein „Vollbefriedigend“ vorweisen können, sind die viele Karrierewege verschlossen,  das Richteramt, die Staatsanwaltschaft oder die Großkanzlei bleiben unerreichbar.

In keinem anderen Studiengang hat die Note für die Zukunft eine so große Bedeutung wie im Jurastudium. — Entsprechend hoch ist der Druck.

In keinem anderen Studiengang hat die Note für die Zukunft eine so große Bedeutung wie im Jurastudium. Deshalb streben viele Studierende die Note „Vollbefriedigend“ an, das sogenannte Prädikat. Mit dem Prädikatsexamen hat man Zugang zu sämtlichen juristischen Berufsfeldern. Ein Prädikat erreicht man erst mit 9 Punkten, was gerade einmal die Hälfte der zu erreichenden Punktzahl ist, und trotzdem schaffen nur etwa 28,4 Prozent aller deutschen Examenskandidat: innen ein Prädikat (1). Immer öfter hört man, dass Studierende trotz Prüfungsstress den Verbesserungsversuch nutzen und die Examensprüfungen wiederholen, um am Ende doch noch das ersehnte Prädikat zu bekommen.

Die Versagensängste sind riesig, der Konkurrenzkampf viel zu groß.

Die Versagensängste sind riesig, der Konkurrenzkampf wird größer. Das sieht man nicht nur bei dem Studierenden in der Examensvorbereitung. Mittlerweile ist die Angst vor dem Versagen schon in den unteren Semestern angekommen. Um besser als die anderen zu sein, behindert man die vermeintliche Konkurrenz. Bücher werden zerstört oder versteckt, teilweise sind ganze Seiten herausgerissen oder verunstaltet.

So etwas sieht man an der Universität immer mehr. Und die Arbeitsplätze in den Bibliotheken mit Zugang zu den notwendigen Bücher sind vor der Prüfungsphase Mangelware. So wird nachvollziehbar, was viele gar nicht wissen – nur jede:r dritte schafft es, das Studium erfolgreich abzuschließen. Die Konkurrenz ist schon im Studium groß und das erhöht den Druck auf jeden einzelnen nur noch mehr. Jede:r will der/die beste sein, das beste Praktikum bekommen, den besten Arbeitsplatz in der besten Kanzlei erhalten. Zusammenhalt und Hilfsbereitschaft werden durch die „Ellenbogenmentalität“ abgelöst. Dafür riskieren viele Studierende auch schon einmal ihre Gesundheit.

Das Problem: Das Ausbildungssystem und der damit einhergehende Leistungsdruck

Das Problem ist das Ausbildungssystem und der damit einhergehende Leistungsdruck. Anders als bei der Allgemeinen Hochschulreife ist es in der Rechtswissenschaft vollkommen bedeutungslos, ob und wie viel Engagement und Fleiß man in den Semestern vor der Prüfung gezeigt hat oder wie gut die Noten während des Studiums waren.

Hat man schlecht geschlafen oder einfach nur einen schlechten Tag erwischt, ist die Prüfung und damit auch die Zukunft in der juristischen Arbeitswelt gelaufen. Dabei zeigt diese Prüfung nicht die Leitungsfähigkeit einer/s Studierenden. Sie ist nur eine Momentaufnahme, ein paar wenige Stunden deines Lebens, die alles bestimmen werden.

Im Jurastudium im Bundesland NRW setzt sich die Note zu 30 Prozent aus den Noten des Schwerpunktes und zu 70 Prozent aus den Ergebnissen der fünf bis sieben schriftliche Klausuren und der mündlichen Prüfung im Rahmen der staatlichen Pflichtfachprüfung zusammen (2) .

Abschichten ist aber nur möglich, wenn man die Regelstudienzeit einhält, d.h. der zeitliche Druck wird nur verschoben und Studierende absolvieren immer mehr Prüfung in immer weniger Semestern, damit die Chance auf das Abschichten erhalten bleibt.

Es herrscht ein Riesendruck, denn bei den Prüfungen muss innerhalb kürzester Zeit der Pflichtstoff von neun Semestern abrufbereit sein. Dazu gibt es in einigen Bundesländern noch die Möglichkeit zum Abschichten, man kann dort die Klausuren innerhalb eines Zeitraums von eineinhalb Jahren absolvieren, d.h. die Zeit zwischen den einzelnen Prüfungen ausdehnen.

Abschichten ist aber nur möglich, wenn man die Regelstudienzeit einhält, d.h. der zeitliche Druck wird nur verschoben und Studierende absolvieren immer mehr Prüfung in immer weniger Semestern, damit die Chance auf das Abschichten erhalten bleibt. Denn nur wer sich bis zum Ende des siebten Semesters zum Examen anmelden konnte, bekommt auch die Chance dazu.

Beim Abschichten können die sechs Klausuren der Ersten Juristischen Prüfung in zwei oder drei Durchgängen geschrieben werden, anstatt in nur einem, was den Druck verteilt. (3) Dies ist aktuell aber nur in NRW und Niedersachsen möglich und jetzt hat NRW in seinem neuen Reformvorschlag des Juristenausbildungsgesetzes (JAG) NRW das Abschichten sogar gestrichen. (4)

Vor der Außenwelt zurückgezogen: Psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen, aber auch Suchterkrankungen steigen

Viele Studierende schließen sich in der Examensvorbereitung ein, meiden soziale Kontakte und reduzieren ihre Freizeit auf ein Minimum. Ein halbes Jahr vor dem Examen verlässt kaum ein/e Jurastudent:in noch die Wohnung.

Es ist nur selbstverständlich, dass dies psychische Krankheiten begünstigt. Die Zahl dieser psychischen Erkrankungen ist in den letzten Jahren stark gestiegen und sie steigt weiter. Viele Studierende leiden noch Jahre nach dem Studienabschluss an den Folgen des Leistungsdrucks. Psychosomatische Erkrankungen wie depressive Verstimmungen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, sozialer Rückzug und Einsamkeit, allgemeine Ruhelosigkeit, ständiger Anspannung, Panikattacken und Angst vor allem in Form von Prüfungsangst und Versagensangst sind unter Jurastudierenden keine Seltenheit. Die Liste ist endlos lang.

Aber auch Suchterkrankungen kommen gehäuft vor. Wer wünscht sich nicht einfach eine Pille einzuschmeißen und damit das Gehirn zur Höchstleistung zu zwingen? Denn der Tag hat nur 24 Stunden. Viel zu wenig, um den relevanten Inhalt eines Buches in sich aufzusaugen.

Eine Psychotherapie könnte vielen Studierenden in dieser Zeit helfen, jedoch entscheiden sich die meisten dagegen. Denn dies könnte zum Beispiel der späteren Aufnahme in den Richterdienst entgegenstehen.

Juristen: innen Mangel – Die Lücke wird größer

In Deutschland geht die Zahl der berufstätigen Rechtsanwält:innen zurück. Es herrscht ein Mangel an Jurist: innen. Aktuell gibt es 165.680 Rechtsanwält:innen in Deutschland. Von 1997 bis 2002 gab es noch einen Anstieg von etwa 6.000, während zwischen 2015 und 2019 nur noch ein Anstieg von wenigen Hunderten verbucht werden konnte. Seit 2020 gingen die Zahlen der in Deutschland berufstätigen Rechtsanwälte: innen erstmals wieder zurück. (5) Die Lücke wächst, doch warum ist das so?

Wer das erste Staatsexamen geschafft hat, schätzt sich glücklich und viele verzichten nach dieser Erfahrung auf das 2. Staatsexamen, um sich den Strapazen nicht erneut auszusetzen Nach vier oder mehr Jahren ist die Luft raus und die Lust zum Pauken verflogen. Man will mit der Familienplanung starten oder endlich sein erstes richtiges Gehalt in der Tasche haben. Außerdem sind die Wartezeiten für gute Referendariatsplätze oft lang – mehrere Wochen bis hin zu vielen Monaten, aber immerhin, man verdient sich schon ein bisschen Taschengeld. Doch am Ende des Referendariats stehen wieder eine Reihe von Prüfungen, bei denen die Noten für die Zukunft entscheidend sind. Dann geht der ganze Prüfungsstress wieder von vorne los. Das wollen sich viele kein zweites Mal antun.

Das Jurastudium braucht die Reform jetzt

Die heutige juristische Ausbildung basiert weitgehend auf dem zweistufigen preußischen System aus dem Jahre 1869 (6). Seitdem wurde es kaum verändert. Doch heute ist fast nichts mehr wie früher. Die Technik verbessert sich. Man kann innerhalb weniger Stunden mit dem Flugzeug über den Ozean fliegen. Früher unvorstellbare Dinge sind heutzutage möglich. In ein paar Jahren können wir möglicherweise schon mit Autos fliegen.

Unsere Welt wächst mit dem Wandel der Zeit, aber unser Ausbildungssystem wächst nicht mit. Schon lange wird eine Reform der juristischen Ausbildung gefordert. Doch das ist nicht so einfach, dafür müssten die Gesetzgeber in Bund und Ländern tätig werden. Immerhin hat sich in Nordrhein-Westfalen seit Anfang dieses Jahrs etwas verändert und das JAG (Juristenausbildungsgesetz) wurde nach 17 Jahren endlich reformiert. Doch ob wir uns mit dieser Reform glücklich schätzen können? Das soll ein anderes Thema sein.

Die Notwendigkeit, die juristische Ausbildung zu reformieren, ist mittlerweile auch im Bundestag angekommen und wir können nur hoffen, dass sich das Jurastudium dahingehend verändern wird, dass die Zahlen der psychischen Erkrankungen zurückgehen und die Lust auf die juristischen Berufe wieder ansteigt.

Und bis die Reform kommt:  Meine persönlichen Tipps zur Stressbewältigung

Unser Alltag wird immer schneller und voller, doch die Anzahl der Tagesstunden bleibt und besonders im Winter ist man durch die früh einkehrende Dunkelheit schon um 17 Uhr müde und erschöpft. Hier ein ein paar persönliche Tipps, um mit den viel zu kurzen Tagen und dem viele zu großen Berg an Stoff besser zurecht zu kommen. Mir haben eine Reihe von Dingen durch die Prüfungsphase geholfen.

Rituale: Rituale bringen Routine in den Alltag und gerade die brauche ich in stressigen Zeiten. Es muss gar nichts großes sein, dabei reicht ein Kaffee oder ein Tee, bei dem man sich jeden Morgen fünf Minuten Zeit nimmt. Oder man nutzt die Mittags-Lernpause, um rauszugehen und die Sonne zu genießen. In besonders stressigen Phasen war es allerdings oft mein Fernsehprogramm. Jeden Donnerstag lief meine Lieblingsserie, darauf habe ich mich seit Montag gefreut und ich wusste jeden Donnerstag, das ist mein ganz persönliches Ritual. Es hat mich voller Vorfreude durch mindestens die halbe Woche gebracht.

Spaziergänge: Schöne Spaziergänge sind im Winter schwierig, denn es wird früh dunkel, aber für den Sommer sind sie perfekt. Auch wenn es nur ein kurzer ist. Zur Mittagspause nehme ich mir etwa 1 Std Zeit, in der ich einfach rausgehe. Ich höre meine Lieblingsmusik und versuche ganz bewusst, nicht an den Berg von Papier auf meinem Schreibtisch zu denken. Ich bin für mich allein. Das ist meine einzige Stunde am Tag, in der ich mich nichts und niemanden verpflichtet fühle.

Regelmäßiges Training und gesunde Ernährung sind gerade in der Prüfungsphase wichtig. Ich weiß, es ist für die meisten von uns sehr schwierig. Besonders die Ernährung leidet in diesen Phasen. Schaffst du es nicht, deinen Tagesbedarf an Vitaminen zu decken, versuche es mit Smoothies oder kaufe dir für die Zeit ein Nahrungsergänzungsmittel. Denn Vitaminmangel wirkt sich oft negativ auf die Konzentrationsfähigkeit aus. Ich mache abends ein etwa 30-minütiges Work-out, wenn ich meinen Spaziergang mal zeitlich nicht geschafft habe, denn auch das hilft beim Stressabbau und in den meisten Fällen fühle ich mich danach wunderbar entspannt. So lässt es sich besser mit dem nächsten Berg an Lernarbeit umgehen.

Jasmin Kwiatkowski | Autorin bei IQB Career Services
Autorin
Jasmin Kwiatkowski

Jasmin Kwiatkowski hat an der Universität Hamburg Rechtswissenschaften studiert, bevor sie an die Fernuniversität in Hagen wechselte. Im Anschluss an das Staatsexamen plant sie einen M.A. in Kriminalwissenschaft zu absolvieren.

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Schluss mit dem Druck: Das Jurastudium ist bezogen auf das Lernpensum und den Notendruck herausfordernd und braucht eine Reform.

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