Einblick in einen ambitionierten Weg: Recht, Engagement und persönliches Wachstum

Erfahrungsbericht einer ambitionierten Studentin, die sich zwischen sozialem Engagement, juristischem Studium und multikulturellen Einflüssen bewegt.

Ein unvergleichbares Gefühl, sich für andere einzusetzen

Mein Name ist Selin Ersoy, ich bin 22 Jahre alt und befinde mich derzeit in der Examensvorbereitung für mein erstes juristisches Staatsexamen. Als Enkelin einer Gastarbeiterfamilie mit türkischer Migrationsgeschichte bin ich in einem Bremer Stadtteil aufgewachsen, der von einigen als Ghetto bezeichnet wird.

Während meiner Grundschulzeit bekam ich bereits sehr viel vom Leben mit, das für einige härter und ungerechter war als für andere. Ein großer Kontrast hierzu bildete das Gymnasium, welches ich im Anschluss besucht habe und das in einem der wohlhabendsten Stadtteile Bremens lag. Ich bin dankbar für beide Erfahrungen, da ich hierdurch bereits sehr früh das Leben aus zwei grundverschiedenen Perspektiven kennenlernen durfte.

Lektionen in Ehrgeiz und Gleichberechtigung

Mit der Zeit habe ich gelernt, dass ich manchmal allein aufgrund meines Namens doppelt so viel leisten musste wie andere oder, dass es auf einmal wichtig war, woher man kam. Ich habe aber auch gelernt, dass Vorurteile, die Menschen in sich trugen, oft kippten, sobald ich gezeigt habe, dass ich neugierig und motiviert bin.

Unterschätzt zu werden, hinterließ ein Gefühl von Ehrgeiz, das sich bei mir mit der Zeit in Selbstbewusstsein umgewandelt hat. Ich habe aus diesen Erfahrungen viel mitnehmen können. Ich engagiere mich in diversen Organisationen zu den Themenbereichen Frauenrechte, Menschenrechte und Kinderrechte, um Menschen mit ähnlichen Erfahrungen Motivation und Antrieb zu geben. Denn das, was mich stets motiviert hat, waren Menschen wie meine Familie, die an mich geglaubt haben.

Engagement: Fachschaft, Amnesty und UNICEF

Ich organisierte an meinem Fachbereich eine Lerngruppenvernetzung für die Jurastudierenden und entwickelte im Rahmen meines Amtes als Vizepräsidentin des „Golden Z Clubs“, der sich für Mädchen- und Frauenrechte einsetzt, diverse internationale Kampagnen zum Weltfrauentag und zum Tag gegen Gewalt an Frauen.

Als Mitglied der UNICEF Hochschulgruppe übernahm ich Öffentlichkeitsarbeit und besuchte eine Schule, bei der ich im Team einen UNICEF Aktionstag leitete, um über Kinderrechte aufzuklären. Für allgemeine Menschenrechte- und Antirassismus-Arbeit setze ich mich während meiner Zeit als Mitglied der Amnesty International Unigruppe ein.

Darüber hinaus bin ich Mitglied der Fachschaft Jura Bremen und ehemaliges Mitglied des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. (BRF) sowie des Landesverbandes rechtswissenschaftlicher Fachschaften Niedersachen und Bremen (LRFNB). Neben diesen Ehrenämtern blieb allerdings auch immer noch genügend Zeit für mein liebstes Ehrenamt: Katzenstreicheln im Tierheim.

Jurastudium und politische Planspiele

Mein Interesse an Recht und politischen Themen begann bereits in der Schule. In dieser Zeit nahm ich an politischen Planspielen der Vereinten Nationen (ELMUN) und des Europäischen Parlaments (MEP, CSEE) als Delegierte in Bremen, Berlin und Slowenien, als Ausschussvorsitzende und schließlich als Präsidentin in der Bremischen Bürgerschaft teil, bei der ich die Plenardebatte mit mehr als 120 Schülerinnen und Schülern organisierte und leitete.

Aufgrund meines bereits geweckten Interesses am Fach entschied ich mich für das Jurastudium an der Universität Bremen. Gemeinsam mit meiner Schwester bin ich die erste Generation meiner Familie, die studiert. Was mir während des Studiums direkt auffiel war, dass es auf einmal viel mehr Möglichkeiten gab, mich selbst einzubringen. Ich erhielt Stipendien und Auszeichnungen für mein soziales und fachgebundenes politisches Engagement und entwickelte mit der Zeit eine Leidenschaft für persönliche Herausforderungen.

Von Isolation zu Inspiration: Mein Weg durch die Pandemie

Dann kam Corona. Dadurch habe ich gelernt, dass ich die Herausforderung und vor allem den Kontakt zu Menschen brauche, um mich persönlich weiterentwickeln zu können. Ich habe während dieser Zeit noch einmal besonders viel Energien in ehrenamtliches Engagement gesteckt, was mir Mut machte und sowohl Kraft als auch Motivation gab, genau damit weiterzumachen.

Ich durfte viele Menschen kennenlernen, die mich dadurch förderten, dass ich Praktika in ihren Unternehmen oder Kanzleien absolvieren konnte. Ich nahm so viele Eindrücke wie nur möglich mit, da ich viel kennenlernen wollte. Stipendien, wie das Stipendium für mehr Chancengleichheit von Baker McKenzie, brachten mich mit vielen jungen Menschen zusammen, die ähnlich motiviert waren wie ich. Zu vielen Stipendiatinnen und Stipendiaten aus den Programmen stehe ich seit mehreren Jahren in Kontakt. Aus einigen flüchtigen Bekannten wurden Freunde, da einen so viel verbunden hat – vor allem Motivation.

Herausforderungen und Erfolge im Moot Court

Herausforderungen suchte ich auch als ich in meinem fünften und sechsten Semester am Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot Court teilnahm. Bei diesem vertrat ich in einem Vierer-Team die Universität Bremen mit einem englischsprachigen Kläger- und Beklagtenschriftsatz. Die Schriftsatzphase dauerte knapp drei bis vier Monate, bis es dann schließlich mit den Plädoyer-Runden weiterging.

Im Rahmen des Vis Moot Courts nahm ich an mehr als 20 Verhandlungsrunden teil. Durch meine mündlichen Verhandlungsrunden in Dubai und Dublin, die von Anwältinnen und Anwälten geleitet wurden, konnte ich noch einmal besondere Praxiseinblicke sammeln. Der finale Wettbewerb fand – coronabedingt leider digital – in Hongkong statt.

Durch das Projekt trainierte ich Stressresistenz, Teamgeist und Durchhaltevermögen. Rückblickend war es eine sehr intensive Zeit, bei der wir als Team oft über unsere Grenzen hinausgegangen sind. Allerdings hat sich die Anstrengung gelohnt und zur Krönung erhielten wir eine “Honorable Mention“ für unseren Klägerschriftsatz als eines der besten 28 Teams von mehr als 100 teilnehmenden Teams.

Neue Perspektiven: Meine Erfahrungen in Kanzlei und Migrationsamt

Momentan arbeite ich als studentische Hilfskraft in einer Kanzlei in Bremen, die sich auf geistiges Eigentum, Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht spezialisiert hat und international tätig ist. Hierbei habe ich ebenfalls die Möglichkeit, neue Perspektiven auf die Thematiken zu erhalten und zu erlernen.

Zuvor habe ich in dem Migrationsamt der Universität Bremen gearbeitet. Dort habe ich erfahren, vor welche Herausforderungen internationale Studierende durch Asyl-, Verwaltungs- und Migrationsrecht gestellt werden.


Persönlichen Reflexionen und Pläne

In der Zukunft würde ich selbst einmal gerne im Rahmen meiner juristischen Ausbildung ins Ausland gehen, um weitere spannende, aber vor allem auch neue Erfahrungen sammeln zu können. Ich bin überzeugt davon, dass die Hürden, die sich während meines persönlichen Lebenswegs ergeben haben, mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich heute bin.

Sie haben mir gezeigt, wie unvergleichbar das Gefühl ist, sich für andere einzusetzen und dass sich Fleiß immer auszahlt. Sie haben mir gleichzeitig gezeigt, dass man als Mensch nicht immer nur funktionieren muss. Durch meine Geschichte habe ich sehr viel gelernt und bin gespannt auf die Dinge im Leben, die mich noch erwarten werden.

Selin Ersoy Porträt
Autorin
Selin Ersoy

Selin Ersoy studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bremen, sie ist  ZONTA YWPA Award Trägerin und Member of the 29th Willem C. Vis Moot.  Selin ist derzeit Stipendiatin des „Stipendiums für mehr Chancengleichheit“, das Baker McKenzie im Herbst 2022 ins Leben gerufen hat, um eine fairere Bildungslandschaft und einen gerechteren Arbeitsmarkt im juristischen Bereich zu fördern.

Das Stipendienprogramm fokussiert sich speziell auf Jurastudierende, die aufgrund von finanziellen, kulturellen oder familiären Hürden Schwierigkeiten beim Zugang zu juristischer Bildung erleben. Selin Ersoy ist eine von 20 Stipendiatinnen und Stipendiaten, die jeweils für ein Jahr im Zuge unterschiedlicher Aktionen persönlich und fachlich gefördert werden.