Vergaberecht in der Praxis: Tipps und Einblicke für Juristen

Das Vergaberecht ist ein komplexes Rechtsgebiet, das auf den ersten Blick schwierig zu verstehen ist, aber wichtiger Ordnungsrahmen für die öffentliche Auftragsvergabe ist. In Deutschland hat die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen durch öffentliche Stellen eine hohe Bedeutung.

Das Vergaberecht als wichtiger Ordnungsrahmen der öffentlichen Auftragsvergabe

Das Vergaberecht gehört wohl zu den Rechtsgebieten, unter denen sich auch Jurist:innen nach zwei Staatsexamina relativ wenig vorstellen können. Mit seinem komplexen System und einer Vielzahl verschiedener Gesetze, die zur Anwendung kommen, wirkt es auf den ersten Blick wahrscheinlich eher abschreckend und schwierig zu durchblicken.

Dem Vergaberecht kommt jedoch als Ordnungsrahmen für die öffentliche Auftragsvergabe eine erhebliche praktische Bedeutung zu. In Deutschland beträgt das gesamte Beschaffungsvolumen durch öffentliche Stellen pro Jahr schätzungsweise mindestens 300 Milliarden Euro oder mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. [1] Demnach erscheint es – mit Blick auf das (spätere) Berufsleben – lohnenswert, sich mit diesem Rechtsgebiet näher zu beschäftigen.

Worum geht es?

Das Vergaberecht beinhaltet die Vorschriften, die öffentliche Auftraggeber zu beachten haben, wenn sie am Markt Güter oder Leistungen einkaufen. Es schafft die rechtlichen Rahmenbedingungen für das öffentliche Auftragswesen. Adressaten dieses Rechtsgebietes sind Behörden sowie Einrichtungen des Bundes, der Länder und der Kommunen.

Möchte beispielsweise ein Bundesministerium oder eine Landesbehörde Papier oder Büromöbel beschaffen oder ein neues Bürogebäude errichten lassen, kommt das Vergaberecht zur Anwendung. Auch beim Einkauf komplexer technischer Gerätschaften im Bereich der Bundeswehr müssen die Regelungen des Vergaberechts beachtet werden. Das Vergaberecht ermöglicht es somit, sich mit Aufträgen verschiedener Art in den unterschiedlichsten Sektoren zu beschäftigen.

Das Vergaberecht stellt somit die Verbindungsstelle zwischen Staat und Wirtschaft, zwischen öffentlichem und privatem Recht dar.

In einigen Bereichen, wie beispielsweise im öffentlichen Personennahverkehr oder der Müllentsorgung, agieren zudem auch juristische Personen des Privatrechts als öffentliche Auftraggeber. Auch sie haben dann die Vorschriften des Vergaberechts zu beachten. Denn sie erfüllen Aufgaben, die im Allgemeininteresse liegen und weisen eine besondere Nähe zum Staat auf. Das Vergaberecht stellt somit die Verbindungsstelle zwischen Staat und Wirtschaft, zwischen öffentlichem und privatem Recht dar.

Die praktische Bedeutung des Vergaberechts wird insbesondere an folgenden Stellen deutlich: Zum einen kann die Intensität der staatlichen Nachfrage die Existenz ganzer Märkte beeinflussen. Andererseits ist die Nachfrage durch die öffentliche Hand nicht dem normalerweise auf dem Markt herrschenden Mechanismus von Angebot und Nachfrage unterworfen, da die öffentliche Hand sich bei ihren Beschaffungen teilweise auch von politischen Motiven leiten lässt und sich gleichzeitig ohne Insolvenzrisiko verschulden kann, was einen wesentlichen Unterschied zu einem privaten Unternehmen ausmacht.

Zumindest rein faktisch gesehen führt dies dazu, dass sich die öffentliche Hand weniger zu einem wirtschaftlichen Umgang mit finanziellen Ressourcen genötigt fühlen muss. Dies birgt verschiedene Risiken auf volkwirtschaftlicher sowie gesellschaftlicher Ebene, wie beispielsweise die ineffiziente Verwendung von Haushaltsmitteln, ein fehlender Wettbewerb oder die Begünstigung von Korruption, denen das Vergaberecht vorbeugen soll. [2] 

Aufbau des Vergaberechts

Das Vergaberecht ist gekennzeichnet durch seinen zweiteiligen Aufbau. Zunächst richtet sich die Durchführung eines Vergabeverfahrens nach dem nationalen Haushaltsrecht. Dies gilt jedoch nur bis zu einem gewissen Wert des Auftrags (sog. Schwellenwert). Wird dieser Wert überschritten, beginnt der Anwendungsbereich der europäischen Vergabe-Richtlinien bzw. der Regelungen, die Deutschland zur Umsetzung dieser Richtlinien erlassen hat.

Das bedeutet, dass jeder Auftrag, der oberhalb der Schwellenwerte liegt, innerhalb der gesamten EU bekannt zu machen ist. Hierzu muss der Auftrag im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden, anschließend läuft eine einheitliche Frist, innerhalb derer sich Unternehmen aus allen europäischen Staaten um den Auftrag bewerben können. An dieser Stelle zeigt sich die starke europarechtliche Prägung des Vergaberechts.

Die Schwellenwerte werden alle zwei Jahre von der EU-Kommission überprüft und die Beträge an die Preisentwicklung angepasst.

Ziele und Grundsätze des Vergaberechts

Durch die Schaffung eines fairen und transparenten Wettbewerbs innerhalb eines Vergabeverfahrens soll ein wirtschaftlicher Einkauf durch die öffentliche Hand sichergestellt werden. Auf diese Weise soll die öffentliche Hand einerseits zu einer sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln angeregt werden. Andererseits sollen die Unternehmen am Markt – insbesondere kleine und mittlere –animiert werden, sich um öffentliche Aufträge zu bewerben. Darüber hinaus sollen die europäischen Einkaufsmärkte für alle potentiellen Bewerber innerhalb der europäischen Union geöffnet werden.

Aus den Zielen des Vergaberechts ergeben sich die Vergabegrundsätze, die innerhalb eines Vergabeverfahrens berücksichtigt werden müssen. Die zentrale Norm hierzu ist § 97 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Hierzu gehören der Wettbewerbsgrundsatz, das Transparenz- sowie Gleichbehandlungsgebot und das Diskriminierungsverbot.

Bewertungskriterien und strategischen Politikziele beim Vergabeverfahren.

Nach § 127 GWB wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Dieses bestimmt sich grundsätzlich nach dem besten Preis-Leistungsverhältnis. Anders als häufig zu lesen, wird der Auftrag danach nicht zwangsläufig dem Unternehmen mit dem niedrigsten Preis erteilt. Vielmehr können auch andere Bewertungskriterien festgelegt werden, wie beispielsweise nachhaltige und soziale Kriterien.

Durch die Einbeziehung verschiedener Kriterien, haben die Auftraggeber die Möglichkeit, neben dem Preis auch die Qualität des Angebots (etwa die konzeptionelle Herangehensweise, die Erfahrung des angebotenen Personals oder Nachhaltigkeitsaspekte im Zusammenhang mit der Leistungserbringung) in ihre Entscheidung einfließen zu lassen.

Durch diese Verknüpfung zeigt sich einerseits die flexible und fächerübergreifende Wirkung des Vergaberechts. Andererseits kann eine Vergabe durch die Einbeziehung derartiger Kriterien auch der Verwirklichung strategischer Politikziele dienen. Das Vergaberecht ermöglicht mithin die Verknüpfung von politischen und rechtlichen Aspekten.

Das Vergaberecht ermöglicht die Verknüpfung von politischen und rechtlichen Aspekten.

Besonders spannend ist daneben auch die Schnittstelle zwischen dem Vergaberecht und dem Europäischen Beihilferecht. Das Europäische Beihilferecht ist ein Teil des Europäischen Wettbewerbsrechts.

Es soll den europäischen Binnenmarkt vor Wettbewerbsverzerrungen durch unzulässige staatliche Subventionen zugunsten einzelner Unternehmen oder Wirtschaftszweige schützen. Die Nähe zwischen diesen beiden Rechtsgebieten ist somit von europarechtlichen und wettbewerblichen Aspekten geprägt, die es den Rechtsanwender:innen ermöglichen, sich mit diversen Fragestellungen auch auf diesen Ebenen zu befassen.

Tätigkeit von Vergaberechtsanwält:innen

Entscheidet man sich für eine Tätigkeit im Vergaberecht, macht die Begleitung öffentlicher Auftraggeber bei der Ausschreibung ihrer Aufträge einen Großteil der Aufgaben aus. Hier ist insbesondere darauf zu achten, dass die entsprechenden Vergabeverfahrensvorschriften eingehalten worden sind. Zudem unterstützt man die Auftraggeber bei der Auswertung der eingegangenen Angebote sowie der Strukturierung des Vergabeprozesses. Daneben benötigen immer wieder auch Bieter Beratung, beispielsweise bei der Erstellung von Angeboten oder der Prüfung des Auftragsangebots.

Unterlegene Bewerber haben zudem die Möglichkeit, in sogenannten Nachprüfungsverfahren die Rechtmäßigkeit einer öffentlichen Auftragsvergabe bzw. ihrer Nichtberücksichtigung überprüfen zu lassen. Solche Verfahren dienen dem Rechtsschutz der Bieter, die bei der Vergabe eines Auftrags leer ausgegangen sind und sich aufgrund dessen ungerecht behandelt fühlen.

Das Vergaberecht ermöglicht einen Einblick in die Arbeit der öffentlichen Hand und das innerstaatliche Geschehen.

Eine Tätigkeit im Vergaberecht enthält damit sowohl beratende als auch streitige Mandate und ermöglicht gleichzeitig einen Einblick in die Arbeit der öffentlichen Hand und das innerstaatliche Geschehen. Zudem bietet das Vergaberecht die Möglichkeit, sich mit aktuellen staatlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu befassen, wenn beispielsweise innovative Produkte beschafft bzw. Projekte umgesetzt werden sollen.

Eine große Rolle spielen derzeit etwa Ausschreibungen zu Elektrobussen, On-demand-Verkehren und Ladesäulen, alles Themen, die aktuell eine besondere Aufmerksamkeit genießen und bei denen es spannend ist, die weitere Entwicklung zu beobachten. Das Vergaberecht kann einem auf diese Weise zeigen, welche Themen für den Staat gerade eine besonders große Rolle spielen und in welche Bereiche er gerne investieren möchte.    

Fazit — Warum das Vergaberecht in der juristischen Ausbildung nicht unterschätzt werden sollte

Die geringe Rolle, die das Vergaberecht innerhalb der juristischen Ausbildung spielt, wird seiner praktischen Bedeutung um Längen nicht gerecht.

Das Vergaberecht bietet Jurist:innen neben spannenden und anspruchsvollen Rechtsfragen die Möglichkeit, sich auch mit anderen Thematiken zu beschäftigen und den eigenen Horizont aufgrund der Nähe des Vergaberechts zu wirtschaftlichen und politischen Aspekten zu erweitern. Daneben bietet es die Gelegenheit, sich selbst und das eigene Verständnis für fremde (Rechts-)Gebiete ein wenig zu fordern und zu fördern.

Aufgrund der stetig steigenden Ausgaben der öffentlichen Hand ist davon auszugehen, dass das Vergaberecht auch weiterhin in der Praxis an Bedeutung gewinnen wird. Jurist:innen, die sich für dieses Rechtsgebiet interessieren oder sogar schon etwaige Vorkenntnisse mitbringen, werden sicherlich gute Chancen auf einen Berufseinstieg im Vergaberecht haben.

Dieser Beitrag erschien zuerst im mylawguide 2022, dem Karrierehandbuch für Juristinnen und Juristen.

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Das Vergaberecht in der Praxis – FAQs

Das Vergaberecht beinhaltet die Vorschriften, die öffentliche Auftraggeber zu beachten haben, wenn sie am Markt Güter oder Leistungen einkaufen. Es schafft die rechtlichen Rahmenbedingungen für das öffentliche Auftragswesen.

Das Vergaberecht hat als Ordnungsrahmen für die öffentliche Auftragsvergabe eine erhebliche praktische Bedeutung, da die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen durch öffentliche Stellen eine hohe Bedeutung hat und sich die Intensität der staatlichen Nachfrage auf ganze Märkte auswirken kann.

Adressaten dieses Rechtsgebietes sind Behörden sowie Einrichtungen des Bundes, der Länder und der Kommunen. Auch juristische Personen des Privatrechts als öffentliche Auftraggeber müssen die Vorschriften des Vergaberechts beachten.

Die Durchführung eines Vergabeverfahrens richtet sich zunächst nach dem nationalen Haushaltsrecht, aber ab einem bestimmten Wert (sog. Schwellenwert) beginnt der Anwendungsbereich der europäischen Vergabe-Richtlinien bzw. der Regelungen, die Deutschland zur Umsetzung dieser Richtlinien erlassen hat.

Jeder Auftrag, der oberhalb der Schwellenwerte liegt, muss innerhalb der gesamten EU bekannt gemacht werden. Hierzu muss der Auftrag im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden, und es läuft eine einheitliche Frist, innerhalb derer sich Unternehmen aus allen europäischen Staaten um den Auftrag bewerben können.

Das Vergaberecht stellt die Verbindungsstelle zwischen Staat und Wirtschaft dar. Die Intensität der staatlichen Nachfrage kann die Existenz ganzer Märkte beeinflussen, und die Nachfrage durch die öffentliche Hand ist nicht dem normalerweise auf dem Markt herrschenden Mechanismus von Angebot und Nachfrage unterworfen.

Es gibt verschiedene Risiken auf volkswirtschaftlicher sowie gesellschaftlicher Ebene, wie beispielsweise die ineffiziente Verwendung von Haushaltsmitteln, ein fehlender Wettbewerb oder die Begünstigung von Korruption, denen das Vergaberecht vorbeugen soll.

Im Vergabeverfahren werden Bieter anhand von vorher festgelegten Kriterien bewertet, die in der Ausschreibung bekannt gemacht werden. Hierzu gehören beispielsweise der Preis, aber auch Kriterien wie Qualität, Erfahrung oder Umweltfreundlichkeit.

Ja, Bieter können gegen eine Entscheidung im Vergabeverfahren vorgehen, wenn sie der Meinung sind, dass ihre Rechte verletzt wurden. Hierfür gibt es verschiedene Rechtsmittel, wie beispielsweise den Nachprüfungsantrag.

Wenn ein Bieter gegen das Vergaberecht verstößt, kann er von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Bei schwerwiegenden Verstößen kann auch eine Schadenersatzpflicht entstehen.

Lara Itschert, Autorin bei IQB und Myjobfair
Autorin
Lara Itschert
Lara Itschert
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Vergaberecht
CBH Rechtsanwälte
Lena Lauterborn, Autorin bei IQB und Myjobfair
Autorin
Lena Lauterborn
Lena Lauterborn, LL.M. (University of Amsterdam)
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
CBH Rechtsanwälte