Urheberrecht, Störerhaftung und das Ungerechtigkeitsgefühl — Warner Bros. Urteil AG Köln

Freier Internetzugang und Filesharing – wenn der gesetzgeberische Wille ins Leere läuft

Man stelle sich vor – eine siebzigjährige Frau hat in ihrem Haus einen Internetzugang, wobei dieser als freies W-Lan von ihrem Sohn eingerichtet ist. Die Frau hat weder einen PC oder Smartphone noch ein sonstiges internetfähiges Gerät. Peer-to-peer-Technik oder ähnliches ist ihr kein Begriff. Sie nutzt nur den Festnetzanschluss, um mit Freunden und Familien zu telefonieren. Ein Dritter nutzt den offenen W-Lan Anschluss, um eine urheberrechtlich geschützte Datei hochzuladen.

Warner Bros. Entertainment erfährt letzteres und erhebt Klage gegen die Frau als Anschlussinhaberin aufgrund einer Urheberrechtsverletzung. Diese weiß und versteht nach Überzeugung des Gerichtes nicht, was passiert ist und kann auch nicht diejenige gewesen sein, die das geschützte Werk zum Download angeboten hat. Der Konzern verlangt dennoch aufgrund des illegalen Uploads eine Zahlung von EUR 2.000,00. Am Ende bekommt Warner Bros. vor dem AG Köln Recht (AG Köln v. 08.06.2020 – 148 C 400/19). Wer hätte das gedacht?

Weil etwas dem Gesetz entspricht, muss es nicht unbedingt Recht sein

Das Urteil hat bei einschlägigen Technikforen bereits für Furore gesorgt und war eine der meist gesuchten Entscheidungen nach der Entscheidung. Der vorliegende Beitrag soll nicht in die allgemeine Empörung einstimmen oder die Frage stellen, ob Warner Bros. anders hätte reagieren sollen. Vielmehr soll der Beitrag erläutern, wie die Entscheidung zustande kam und welche Änderungen vom Gesetzgeber (oder der Rechtsprechung) vorgenommen werden müssen, damit in Zukunft solche Entscheidungen, die ein Unrechtsgefühl hinterlassen, nicht mehr zustande kommen. Unabhängig davon, ob das Ergebnis juristisch korrekt ist, muss man nämlich festhalten, dass, nur, weil etwas dem Gesetz entspricht, es nicht unbedingt Recht sein muss.

Urheberrechtsverletzung — Die Entscheidung de AG Köln

Wie kam es nunmehr zu der Entscheidung des AG Köln? Das AG Köln kam zu dem Ergebnis einer vollumfänglichen täterschaftlichen Haftung der Beklagten, der siebzigjährigen Anschlussinhaberin, obwohl diese wie geschildert und unstreitig nicht die Datei hochgeladen hat. Wie kommt es zu dieser Haftung? Das Gericht kam anhand der Beweislastverteilung zu diesem Ergebnis. Nun mag man sich anhand der generellen Regelungen fragen, wie dies denn Fall sein kann?

Normalerweis gilt als grobe Faustformel, wer einen Anspruch geltend macht, muss auch sein Vorliegen beweisen. Vorliegend machte die Klägerin, Warner Bros., in erster Linie einen Anspruch aus § 97 Abs. 2 UrhG bzgl. der Urheberrechtsverletzung geltend – der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten soll an dieser Stelle ausgeblendet werden. Dieser setzt aber eine täterschaftliche Begehung voraus. Liest man den Sachverhalt, würde man davon ausgehen, dass ein solcher Beweis ausgeschlossen ist. Die Beklagte hatte ja gar kein internetfähiges Gerät, welches sie nutzen konnte, noch war sie in der Lage ein solches zu nutzen.

Dies war auch zwischen den Parteien unstreitig. Eine gesetzliche Regelung, die davon ausgeht, dass der Anschlussinhaber immer selbst haftet, besteht ebenfalls nicht.  Das Gericht begründet allerdings die Haftung in dem vorliegenden Fall mithilfe der sekundären Darlegungslast. Diese besagt, dass der Prozessgegner, der im Gegensatz zu dem außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs stehenden Darlegungspflichtigen die wesentlichen Tatsachen kennt, im Rahmen seiner Erklärungslast nach § 138 II ZPO ausnahmsweise zuzumuten ist, dem Beweispflichtigen eine prozessordnungsgemäße Darlegung durch nähere Angaben über die betreffenden, zu seinem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse zu ermöglichen (Zöller, ZPO, § 138 ZPO Rn. 8b).

Dieses Prinzip resultiert daraus, dass, sofern eine Partei im Prozess tatsächliche Umstände beweisen muss, die zu dem ihrem Einblick entzogenen Bereich des Prozessgegners gehören, ihr erhebliche Beweisprobleme entstehen, da Beweisermittlungs- und Ausforschungsanträge im Zivilprozess nicht zulässig sind (Zöller, ZPO, § 138 ZPO Rn. 8c).

Im konkreten Fall bedeutet dies:

Ist ein Internetanschluss nicht hinreichend gesichert oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen worden, greift die sekundäre Darlegungslast ein. Diese besagt für einen Fall wie den vorliegenden, dass der jeweilige Anschlussinhaber vorzutragen hat, ob andere und gegebenenfalls welche anderen Personen als Täter aufgrund des Zuganges zum Internetanschluss in Betracht kommen. Es wäre also notwendig gewesen, dass die Anschlussinhaberin mitteilte, wer Zugriff gehabt haben mag und diesbezüglich Nachforschungen anzustellen und die Ergebnisse dem Kläger zur Verfügung zu stellen hat.

Diese Nachforschungen scheinen auch nach der Ansicht des Gerichts relativ weit zu gehen. Dass theoretisch im Haushalt lebende Personen Zugriff hatten, genügt nicht als Aussage. Vielmehr verlangte das Gericht eine Darlegung, wer zur fraglichen Zeit mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatte, die Dateien hochzuladen. Praktisch, im Fall der Anschlussinhaberin, aber auch für viele sonstige Inhaber von Internetanschlüssen, eine schwer zu bewältigende Aufgabe.

Dies zeigt sich auch daran, dass es dem Gericht nicht genügte, dass mitgeteilt wurde, dass der Ehemann und Sohn internetfähige Geräte hatten und Gäste das W-Lan nutzen durften. Vielmehr wurde bzgl. des Sohnes und auch der Gäste festgehalten, dass deren zeitliche Möglichkeiten, das Nutzerverhalten und die Kenntnisse und Fähigkeiten bzgl. der Nutzung des Internetanschlusses nach Ansicht des Gerichts dargelegt werden müssen.

Eine Umkehr der Beweislast tritt damit zwar nicht ein, wie das Gericht festhält, noch wird die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast erweitert, wie es die sekundäre Darlegungslast auch voraussetzt. Dennoch sind die Anforderung die das Gericht aufstellt, nicht unerheblich und erfordern m.E. einen erheblichen Aufwand. Auch wenn kein Beweis gefordert wird, so stellt sich die Situation faktisch doch so dar, dass die Beklagte vorliegend zumindest nahe an den Beweis rankommen muss, um aufzuzeigen, dass sie nicht für die Urheberrechtsverletzung verantwortlich war. Dabei stellen sich aber auch weitere Fragen, kann ein Gericht überhaupt eine solche detaillierte Aufzeichnung des Nutzerverhaltens verlangen? Die DSGVO setzt hier erhebliche Grenzen, die das Gericht wohl bei seiner Forderung nicht beachtet hat.

Ebenfalls ließ das Gericht als Entlastung nicht zu, dass die Beklagte angab, dass sie einen Monat nach der Tat nicht mehr rekonstruieren konnte, wer sich bei ihr aufgehalten und wie das Internet genutzt hat.

Auch das Haftungsprivileg des § 7 Abs. 1 S. 2 TMG fand nach dem Gericht keine Anwendung. Zwar sah das Gericht die Beklagte als Diensteanbieter. Ließ aber das Haftungsprivileg des § 7 Abs. 1 S. 2 TMG nicht zu. Die Vorschrift des § 7 Abs.1 S. 2 TMG lautet:

Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 sind nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.

Allerdings wurde die Anwendung der Vorschrift vorliegend mit der Begründung abgelehnt, dass die Vorschrift nur einschlägig ist, wenn der Diensteanbieter nicht verantwortlich ist bzw. wenn eine rechtswidrige Handlung eines Nutzers gegeben ist. Nach dem Gericht ist für eine Anwendung des § 7 TMG nur dann Raum, wenn schlüssig dargelegt ist, dass nicht die Beklagte, sondern ein Dritter die streitgegenständlichen Rechtsverletzungen begangen hat. Das sah der zuständige Richter am AG Köln im vorliegenden Fall nicht als schlüssig dargelegt an. M.E. ist dies bereits faktisch falsch – zu keinem Zeitpunkt hat die Klägerin auch nur bestritten, dass die Urheberrechtsverletzung von der Beklagten selbst begangen wurde – ja, es stand sogar fest, dass die Anschlussinhaberin die Verletzung nicht begangen hat. Dennoch kam es zu der Entscheidung.

Der Wille des Gesetzgebers

Die Frage, die sich nunmehr stellt, ist aber diejenige, ob das Ergebnis tatsächlich mit dem Willen des Gesetzgebers übereinstimmt? Der Gesetzgeber wollte die Störerhaftung mit der Gesetzesnovelle des TMG eigentlich abschaffen. Gerade eine Welle von Abmahnungen sollte verhindert werden. Geschäfte und Personen, die ihr W-Lan frei zur Verfügung stellen, sollten geschützt werden, damit der Internetstandort Deutschland geschützt wird und freies W-Lan an vielen Stellen erhältlich ist.

Die Rechtsprechung des AG Köln fördert aber genau das Gegenteil – die Störerhaftung wird durch solche Hürden, die es kaum möglich machen, aus der Haftung zu entkommen, gefühlt aufrechterhalten. Auch die Bundesregierung hat mittlerweile erkannt, dass die Gerichte die Vorschriften nicht so interpretieren, wie es vorgesehen war und dadurch die Ziele verfehlt werden. Der Internetstandort Deutschland, der bekanntermaßen bereits hinter vielen Ländern zurücksteht, wird aber dadurch noch weiter geschwächt.

Interessant ist bei dem Urteil, dass sich das Gericht nicht mit der Gesetzesbegründung überhaupt auseinandersetzt, sondern vielmehr auf die sekundäre Beweislast, die sich in der Gesetzesbegründung nicht findet, zurückzieht, um ein gewünschtes Ergebnis zu erreichen. Es stellt sich aber die Frage, weshalb sich das Gericht in den Urteilsgründen nicht mit diesem Punkt auseinandersetzt. Der Sinn und Zweck der Vorschriften, sowie die Historie sprechen eindeutig gegen die Gesetzesinterpretation, die das Gericht vorgenommen hatte.

Urheberrechtsverletzung, Störerhaftung und das Unrechtsgefühl – Fazit

Es wird sich zeigen, ob eine Berufung (ob diese eingelegt wurde, war bei Entstehen dieses Artikels noch nicht bekannt) zu einem anderen Ergebnis kommt. Das grundsätzliche Rechtsgefühl besagt zumindest, dass die Entscheidung in dieser Form nicht richtig sein kann. Auch wenn der Weg des Gerichts rechtlich vertretbar sein mag, spricht er doch gegen alle Intentionen des Gesetzgebers, als er das Gesetz geschaffen hat. In jedem Fall sollte daher das Gesetz nochmals eindeutig reformiert werden und die Ziele des Gesetzgebers eindeutig im Gesetzestext festgehalten werden, um solche Fälle, wie den obigen zu vermeiden.

Eine Störerhaftung schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Urheberrecht und Internet sind in Deutschland immer noch nicht zeitgemäß geregelt; es wird Zeit, dass diese Punkte nicht immer noch als Neuland bezeichnet werden, sondern als der Alltag gesehen werden, denn sie darstellen und der Gesetzgeber dementsprechend tätig wird.

Dr. Michael Hoerdt
Autor
Dr. Michael Hördt

Dr. Michael Hördt, M.C.L. (Mannheim/ Adelaide) studierte Jura an der Universität Heidelberg mit Praktika in Zürich und Dublin. Danach erwarb er den Master of Comparative Law der Universität Mannheim und der University of Adelaide und promovierte zum Thema „Pflichtteilsrecht und EuErbVO“ an der Universität Potsdam. Sein Referendariat absolvierte er am LG Darmstadt mit Stationen in Dublin und Washington, D.C. Er war Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei in Frankfurt a.M. im Arbeitsrecht und für das Irlandgeschäft der Kanzlei zuständig. Aktuell ist er Syndikusrechtsanwalt bei Infosys Limited im Arbeitsrecht in Frankfurt a.M.

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