Die Meinungsfreiheit und ihre Grenzen — Art. 5 GG und der Fall Renate Künast

Seine Meinung öffentlich äußern zu dürfen, gilt als wichtige Säule der Demokratie. Doch wo sind die Grenzen? Eine Betrachtung zu Art. 5 GG und dem Fall Künast.

Die Meinungsfreiheit im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

In Deutschland die Meinungsfreiheit im Grundgesetz verankert. Das Recht auf Meinungsfreiheit ist in Art.5 GG Abs. 1 wie folgt definiert: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“, heißt es in dem Paragrafen.

Freie Rede vs. Üble Nachrede – Die eigene Meinung öffentlich äußern zu dürfen, gilt als wichtige Säule der Demokratie.

Diese Regelung ist ein fundamentaler Baustein der deutschen Rechtsordnung, sie reflektiert den Wert, den die deutsche Gesellschaft der Meinungsäußerung und dem freien Diskurs beimisst. Sie garantiert jedem Einzelnen das Recht, seine Meinung ohne Angst vor staatlicher Zensur zu äußern. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Meinungsfreiheit absolut und ohne Einschränkungen ist.

Art. 5 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz und der Fall Renate Künast

Wann und warum wird eines der wichtigsten Grundrechte eingegrenzt? Wie weit reicht die Meinungsfreiheit in Deutschland? Und wo verlaufen ihre Grenzen? Unser Autor gibt einen Überblick über den Schutz der Meinungsfreiheit durch das Grundgesetz (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) angelehnt an den Fall der Politikerin Renate Künast, der die öffentliche Diskussion in Deutschland über die Grenzen der Meinungsfreiheit stark beeinflusst hat.

Entscheidungen des LG Berlin zur Meinungsfreiheit

In einer ersten Entscheidung kam das LG Berlin zu dem falschen Ergebnis, dass Bezeichnungen wie „Schlampe“ und „Stück Scheiße“ durchweg von der Meinungsfreiheit gedeckt gewesen seien und daher die Herausgabe der Namen, um weitere rechtliche Schritte durchzuführen, nicht zulässig sei. Künast legte Beschwerde ein. Dann kam das LG zu einem anderen Ergebnis. Es sah die Bezeichnungen nicht mehr als von der Meinungsfreiheit geschützt an. Aber auch diesmal lief nicht alles so glatt, wie man annehmen mag. Das LG wich deutlich in seinem Prüfungsweg von den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ab.

Absatz 2 enthält die Schrankentrias, die die Grenzen der Meinungsfreiheit aufzeigt: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ Fälle, in denen strittig ist, ob eine Äußerung von der Meinungsfreiheit gedeckt ist oder nicht, beschäftigen immer wieder die Gerichte.

Der Fall Renate Künast

Ein sehr gutes Beispiel für Meinungsfreiheit und ihre Grenzen ist der Fall Renate Künast. Die Politikerin erhält regelmäßig Hasskommentare auf Facebook. Die Politikerin wird dort immer wieder mit diversen Beleidigungen betitelt – unter anderem als Reaktion auf ein vermeintliches Zitat zur Strafbarkeit von Sex mit Kindern, das sie jedoch nie geäußert hat. Daraufhin verlangte die Politikerin die Herausgabe der Namen von 16 Personen, die beleidigende Hasskommentare verfasst haben.

Meinungsfreiheit ist im GG verankert

Die Meinungsfreiheit ist im Grundgesetz, nämlich in Art. 5 GG, verankert. Da in einer Klausur in der Regel dieser zu prüfen sein wird, orientieren sich die vorliegenden Ausführungen an einer Grundrechteklausur. In seiner Entscheidung prüfte das LG zuerst, ob eine Meinung oder eine bloße Schmähkritik vorlag. Dies ist auch die Unterscheidung, die das BVerfG vornimmt. Eine bloße Schmähkritik ist nicht von der in Artikel 5 GG niedergelegten Meinungsfreiheit geschützt. Doch wann liegt eine Meinung und wann eine Schmähkritik vor?

Grenzen der Meinungsfreiheit sind abhängig vom Kontext 

Bei der Beurteilung einer Aussage kommt es nicht nur auf den Inhalt an, sondern auch auf den Kontext, in welchem diese getroffen wurde. Es ist ein Fehler, einen Ausspruch ohne Einordnung in den Zusammenhang zu betrachten. Dabei können durchaus auch polemische und harsche Worte verwendet werden.

Solange ein Bezug zu einer Sachauseinandersetzung besteht und sich die Äußerungen nicht auf bloße persönliche Herabsetzung beschränken, sind diese auch nicht als Schmähung einzustufen. Eine anlasslose Beleidigung muss sich niemand gefallen lassen. Dies wäre eine Schmähkritik, die nicht von der Meinungsfreiheit umfasst ist.

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Art 5 Abs.1 1 – Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Der Paragraph zur Meinungsfreiheit

Ist eine Äußerung noch Meinung oder schon Beleidigung? Es gibt dreierlei Grenzen

Die Meinungsfreiheit ist ein extrem wichtiges Grundrecht, sodass im Zweifel von einer Meinung ausgegangen wird, um in die Abwägung zu gelangen, ob die Aussage nicht doch unter die Schrankentrias des Art. 5 Abs. 2 GG fällt. Die Schrankentrias umfasst die allgemeinen Gesetze, den Ehrschutz sowie den Schutz der Jugend.

Im Fall von Renate Künast war das Gericht bei seiner ersten Entscheidung der Auffassung, dass alle Kommentare – trotz ihrer enthaltenen Schimpfwörter – Meinungen darstellen und einen Bezug zu dem (laut Gericht in der zweiten Entscheidung erkennbaren) Fehlzitat aufweisen. Deshalb sei eine sachliche Auseinandersetzung gegeben und es liege im Lichte der Meinungsfreiheit keine Beleidigung vor. Der sexualisierte Kontext sei bei einer Debatte, bei der es um Sexualität ging, ebenfalls zulässig. 

Meines Erachtens ist letzterer Punkt sehr fragwürdig, da zum Beispiel der Ausdruck „S*****pe“ sehr häufig als Schimpfwort gegen Frauen benutzt wird und in der Regel nur eine Formalbeleidigung darstellt. Dass die Bezeichnung bewusst gewählt wurde, um den sexuellen Kontext der Debatte hervorzuheben, ist m.E. zu bezweifeln. Auf einen solchen Punkt ist das Gericht allerdings nicht eingegangen.

Es gibt dreierlei Grenzen: Die Schrankentrias umfasst die allgemeinen Gesetze, den Ehrschutz sowie den Schutz der Jugend.

Deutsches Recht: Schrankentrias des Art. 5 Abs. 2 GG

Fall Renate Künast: Grenze überschritten, weil Bezug zur Sachdebatte nicht gegeben war

In seiner zweiten Entscheidung, die nach der Beschwerde von Renate Künast erging, kam das Gericht schließlich zu dem Schluss, dass einige der angegriffenen Aussagen nur Herabwürdigungen seien. Dies erscheint auch vor dem Hintergrund der Äußerungen überzeugend. Ein „D****s F***e“ mag zwar ein sexualisierter Ausdruck sein, der im Rahmen der Debatte mit sexuellem Inhalt verkündet wurde. Allerdings geht es bei der abwertenden Bezeichnung des weiblichen Sexualorgans nicht um einen Debattenbeitrag, sondern rein um die Herabwürdigung der Person von Renate Künast. Ein Bezug zu einer Sachdebatte war gerade nicht gegeben. Dies nach dem LG Berlin insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass ein erkennbares Falschzitat vorgelegen habe. 

An dieser Stelle erkennt das Gericht auch, dass ein bloßes sexualisiertes Thema noch nicht per se die Ausdrücke als drastisches sprachliches Mittel der Ablehnung rechtfertigen kann. Dennoch blieb das Gericht bei einigen Aussagen bei dem Punkt, dass es sich um Meinungen handelt. Diese hätten sich nur auf sehr zugespitzte Art zu dem Thema geäußert, wären aber noch im Rahmen der Sachauseinandersetzung.

Abwägung erfolgt vor dem Hintergrund der Schrankentrias

An dieser Stelle soll nur der grobe Rahmen der Abwägung aufgezeigt werden. Diese muss vor der oben genannten Schrankentrias erfolgen. Sofern eine Meinung vorliegt, ist in der Abwägung zu prüfen, ob eine strafbare Beleidigung vorliegt oder doch noch die Meinungsfreiheit erfasst ist. Im Zweifel legt man eher im Sinne der Meinungsfreiheit aus, wobei auch hier die strafbare Vorhaltung im Einzelfall überwiegen kann, wenn die Debatte gegenüber der Beleidigung in den Hintergrund rückt.

Ebenso wird vertreten, dass Personen des öffentlichen Lebens, wozu naturgemäß auch Politiker gehören, „mehr aushalten“ müssen als sonstige Personen. Dies ist sozusagen der Preis der Öffentlichkeit. Anlasslose Beleidigungen oder aufgrund von erkennbaren Unwahrheiten müssen aber nicht ertragen werden. Diese Punkte müssen sowohl im wirklichen Leben, als auch in der juristischen Ausbildung sorgsam abgewogen werden.

Interessant ist allerdings im Fall Künast, dass das Gericht auch bei den Zitaten, bei denen es eine Schmähkritik annahm, anscheinend „zur Sicherheit“ eine Abwägung vornahm. Betrachtet man allerdings die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ist dies gerade der falsche Weg. Zur Abwägung kommt es nicht, da der Schutzbereich schon nicht eröffnet ist. Das LG Berlin wollte sich hier wohl in alle Richtungen absichern und ist am Ende über das Ergebnis hinausgeschossen.

Die richterliche Freiheit und Unabhängigkeit erlaubt zwar ein solches Vorgehen, es ist aber zumindest ungewöhnlich. Hätte das Gericht gesagt, dass eine Schmähkritik bei einigen Zitaten vorliegt, und keine Abwägung vorgenommen, wäre dies juristisch „richtiger“ gewesen und hätte keinen Anlass gegeben, die Methodik zumindest zu hinterfragen.

Klausur zum Thema Meinungsfreiheit? Ein paar Tipps

Sollte die Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit einer Schmähkritik geprüft werden, sollte man auf jeden Fall im Schema des BVerfG bleiben. Dies bedeutet bei einer Grundrechtsklausur, dass bei einer Schmähkritik der Schutzbereich eröffnet ist. Bei einer Meinungsäußerung müssen Eingriff und Rechtfertigung geprüft werden, wobei an dieser Stelle dann die umfangreiche Abwägung vorzunehmen ist. In der Regel wird der Klausursteller mehrere Zitate verwenden, bei denen man die Abgrenzung Schmähkritik und Meinung vornehmen muss. Dabei gelten auch die oben genannten Leitlinien. (Meinungsfreiheit Prüfungsschema)

Abgrenzung von erlaubter Meinung und Schmähkritik wird immer relevanter 

Die Abgrenzung Schmähkritik und Meinung wird vor dem Hintergrund einer zunehmenden Anzahl von Hasskommentaren im Netz immer relevanter. In jedem Fall sollte man als Student mit der Thematik vertraut sein und die Abgrenzung für die Klausur beherrschen. Der Fall von Renate Künast mag die Thematik auch für die Klausur oder mündliche Prüfung wieder mehr auf die Agenda der Prüfungsämter gesetzt haben. Dabei gilt: Drastische Worte, die sich auf einen konkreten Sachverhalt beziehen und Bezug zu diesem nehmen, sind in der Regel von der Meinungsfreiheit gedeckt. Die bloße Verwendung von Schimpfworten ist in der Regel aber keine Meinungsäußerung, sondern dient der Herabwürdigung der Person.

Den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.12.2021 kommentiert Dr. Hördt hier: Renate Künast, Facebook & die Meinungsfreiheit – die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Dr. Michael Hoerdt
Autor
Dr. Michael Hördt

Dr. Michael Hördt, M.C.L. (Mannheim/ Adelaide) studierte Jura an der Universität Heidelberg mit Praktika in Zürich und Dublin. Danach erwarb er den Master of Comparative Law der Universität Mannheim und der University of Adelaide und promovierte zum Thema „Pflichtteilsrecht und EuErbVO“ an der Universität Potsdam. Sein Referendariat absolvierte er am LG Darmstadt mit Stationen in Dublin und Washington, D.C. Er war Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei in Frankfurt a.M. im Arbeitsrecht und für das Irlandgeschäft der Kanzlei zuständig. Aktuell ist er Syndikusrechtsanwalt bei Infosys Limited im Arbeitsrecht in Frankfurt a.M.

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