Bundestagspräsidium – Das erfolglose Organstreitverfahren der AfD-Fraktion vor dem BVerfG

Die AfD-Fraktion ist mit dem Versuch gescheitert, einen Posten im Bundestagspräsidium mit einer Organklage zu erstreiten. Das Bundesverfassungsgericht wies den Antrag als offensichtlich unbegründet zurück.

Wo Wahl steht, ist auch eine Wahl erforderlich

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat eine Entscheidung getroffen, die sich auf den Satz herunterbrechen lässt: „Ein Amt, welches durch Wahl besetzt wird, erfordert dies tatsächliche eine freie Wahl erfolgt.“ Das scheint selbstverständlich – das war es aber für die AfD-Fraktion im Bundestag offensichtlich bis vor kurzem nicht.

Der in diesem Beitrag dargestellte Beschluss des BVerfG (v. 22. März 2022 – 2 BvE 9/20) (1) ist eindeutig, schlüssig und auch inhaltlich vollkommen zutreffend, bietet sich aber gleichzeitig als Fall in einer mündlichen oder schriftlichen Prüfung an und sollte daher zum Standardwissen im Studium gehören.

Die AfD-Fraktion ist mit dem Versuch gescheitert, einen Posten im Bundestagspräsidium mit einer Organklage zu erstreiten. Das Bundesverfassungsgericht wies den Antrag als offensichtlich unbegründet zurück.

Organstreitverfahren der AfD-Fraktion: Hintergrund

Die AfD scheiterte bei ihrer ersten Teilnahme an der Bundestagswahl 2013 knapp an der 5% Hürde. Damals noch in der Finanzkrise als eurokritische und stark konservative Partei gegründet, wandelte sich ihr Bild vor allem in der Flüchtlingskrise.

Immer extremere und radikalere Personen des rechten Spektrums fanden bei ihr eine politische Heimat. Insbesondere im aufgelösten „Flügel“, der nach Schätzungen circa 1/3 der Mitglieder umfasste, fanden sich nach Einschätzung des Bundesamts für Verfassungsschutz völkisch-nationale und rechtsextreme Mitglieder wie der Fraktionschef im Thüringer Landtag Björn Höcke, der auch gerichtlich bestätigt als Faschist bezeichnet werden darf. (2)

Bei der Wahl 2017 zog die AfD schließlich in den Bundestag als Fraktion ein. Insgesamt hatte sie 12,7% der Stimmen erhalten.

Die große Frage für die anderen Parteien war, wie geht man mit einer solchen Partei im Bundestag um? Ein normaler Umgang war bisher und ist kaum denkbar. Zu viele Äußerungen sind problematisch, angefangen bei dem berühmten „Fliegenschiss“-Zitat des Vorsitzenden Gaulands über das Dritte Reich. Auch Äußerungen von Landes- und Kommunalpolitikern., sind oft mehr als bewusste Grenzüberschreitung, die gerne mit Begrifflichkeiten des Dritten Reichs spielen. Eine umfangreiche Zitate-Sammlung findet sich im Anhang (3).

Vor diesem Hintergrund ist es schwer vorstellbar, dass Vertreter der AfD die Bundesrepublik Deutschland in höchsten Ämtern vertreten. So kam es schließlich dazu, dass in der ersten Wahlperiode, in der die AfD im Bundestag als Fraktion vertreten war, insgesamt sechs Mitglieder zur Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten vorgeschlagen wurden – eine Frau und fünf Männer – und keiner von ihnen in der Wahl die erforderliche Stimmmehrheit enthielt. Auch der siebte Kandidat ist in der neuen Legislaturperiode, bei der die AfD 10,3% der Stimmen erneut in den Bundestag kam, nicht gewählt worden.

Die Entscheidung des BVerfG bezog sich jedoch nur auf die ersten sechs Wahlvorschläge.

Die AfD-Fraktion zeigte sich mit diesen Wahlergebnissen nämlich nicht einverstanden und wollte im Rahmen des Organstreitverfahrens erreichen, dass festgestellt wird, dass die Nichtwahl sie in ihren Rechten verletzt habe und ihr ein Bundestagsvizepräsident zustehe.

Sie beantragte konkret: …festzustellen,“ dass der Antragsgegner [Anm. der deutsche Bundestag] sie in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG sowie in ihrem Recht auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung und den Grundsatz der Organtreue dadurch verletzt habe, dass er alle bislang von ihr vorgeschlagenen Abgeordneten für die Wahl einer Vizepräsidentin beziehungsweise eines Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages mehrheitlich abgelehnt habe, ohne durch geeignete verfahrensmäßige Vorkehrungen sicherzustellen, dass solche Ablehnungen nicht von sachwidrigen Gründen bestimmt würden.“

Die entscheidenden Regelungen im Organstreitverfahren

Bevor auf den Beschluss eingegangen wird, hier zunächst die entscheidenden Vorschriften die geprüft werden mussten:

Nach Art. 40 I GG gilt:

„(1) Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer. Er gibt sich eine Geschäftsordnung.“

In der Geschäftsordnung des Bundestages (GO-BT) findet sich dann in § 2 wieder:

Der Bundestag wählt mit verdeckten Stimmzetteln (§ 49) in besonderen Wahlhandlungen den Präsidenten und seine Stellvertreter für die Dauer der Wahlperiode. Jede Fraktion des Deutschen Bundestages ist durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten.

In Absatz 2 wird dann das Wahlverfahren erläutert, während Absatz 3 festhält:

Weitere Wahlgänge mit einem im dritten Wahlgang erfolglosen Bewerber sind nur nach Vereinbarung im Ältestenrat zulässig. Werden nach erfolglosem Ablauf des Verfahrens nach Absatz 2 neue Bewerber vorgeschlagen, ist neu in das Wahlverfahren gemäß Absatz 2 einzutreten.

Die Entscheidung des BVerfG

Die Entscheidung des BVerfG enthält einige Antworten auf grundsätzliche Fragen, die in einer Prüfung bekannt sein müssen. Das BVerfG stellt dabei eindeutig klar, dass das Organstreitverfahren offensichtlich unbegründet im Sinne von § 24 S. 1 BVerfGG ist.

1. Zulässigkeit – muss man ins Hilfsgutachten?

Spannend an dem Beschluss ist, dass die Zulässigkeit vom BVerfG komplett offengelassen wird, da der Antrag nach dem Gericht offensichtlich unbegründet ist. Hierbei gilt, in einer Prüfung – egal ob im kleinen oder großen Schein oder im Examen – kann man dem BVerfG in diesem Punkt natürlich nicht nachfolgen.

Mündlich kann man den § 24 BVerfGG erläutern, aber im Schriftlichen würde ich nicht auf ihn zurückgreifen – da droht Punktverlust! Es muss in der Prüfung eine Entscheidung bzgl. der Zulässigkeit getroffen werden (natürlich nur, wenn nach der Zulässigkeit gefragt wird). Die Klausur wird i.d.R. nicht so ausgestaltet sein, dass man dies offenlassen kann und sich auf § 24 BVerfGG berufen kann. Ich selbst habe dies noch nie in einer Klausur gesehen.

Problematisch und damit zu diskutieren wird in einer Klausur die Antragsbefugnis der Fraktion sein. Es gilt im Organstreitverfahren, dass der Antragsteller geltend machen muss, durch die angegriffene Maßnahme in seinen verfassungsrechtlichen Rechten und Pflichten oder in denjenigen des Organs, dem er angehört, verletzt oder unmittelbar gefährdet worden zu sein.

Im Rahmen von Art. 40 I GG muss man in der Klausur nunmehr diskutiert werden, ob die Fraktion verletzt wurde oder das Organ, dem sie angehörte. Gegen eine Verletzung spricht der Wortlaut des Art. 40 I GG, der die Wahl des Bundestagspräsidenten und der Stellvertreter dem Bundestag überlässt und gerade nicht jeder einzelnen Fraktion einen Stellvertreterposten zuweist.

Auch der Bundestag ist nicht in seinen Rechten verletzt – schließlich werden Präsident und Stellvertreter gewählt. Als Gegenargument könnte man die parlamentarische Tradition anführen, die sich bis zum Einzug der AfD in den Bundestag so darstellte, dass jede Fraktion einen Stellvertreter oder eine Stellvertreterin stellte.

Darüber hinaus mag man auf die effektive Wahrnehmung der Rechte der Fraktion abstellen. Welcher Ansicht man den Vorzug geben mag, ist in der Klausur dem Grunde nach egal. Punkte gibt es für eine gute und stringente Argumentation. Tendenziell finde ich persönlich die Unzulässigkeit überzeugender, insbesondere auch im konkreten Falle aufgrund der Rolle des Amtes (dazu unten).

Der Unterschied beider Lösungsansätze besteht dann darin, dass man bei der Unzulässigkeit des Organstreitverfahrens regelmäßig ins Hilfsgutachten wechselt (auf die Aufgabenstellung achten, was genau gefragt ist!) und bei gegebener Antragsbefugnis, sofern die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind, kein Hilfsgutachten benötigt.

2. Begründetheit

Die Begründetheit ist der Schwerpunkt des Falles. Vorliegend orientiert sich die Zusammenfassung und Beurteilung am Urteil des BVerfG.

a) Keine Verletzung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG

Das BVerfG beginnt die Begründetheit mit den Worten:

„Die Antragstellerin ist durch die Nichtwahl ihrer Fraktionsmitglieder als Stellvertreter und Stellvertreterinnen des Bundestagspräsidenten offensichtlich nicht in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.“

Art. 38 Abs. 1 S.2 GG wird durch Art. 40 I GG begrenzt. Nach einer Darstellung der Rechte der Fraktionen und ihrer Ableitung aus dem Grundgesetz, zeigt das BVerfG zutreffend auf, dass die gleichberechtigte Mitwirkung der Abgeordneten bzw. ihrer Zusammenschlüsse (wozu auch die Fraktion zählt) auch für das Amt des Bundestagspräsidenten bzw. die jeweiligen Stellvertreterposten gilt.

Die Begrenzung der Mitwirkung findet sich jedoch in der Wahlvoraussetzung in Art. 40 I GG. Der Wortlaut der verfassungsrechtlichen Regelung sieht eindeutig eine Wahl vor und nicht etwa ein „Besetzungsrecht“ der jeweiligen Fraktionen. Die konkrete Ausgestaltung der Wahl unterliegt dann dem Bundestag, der den Wahlvorgang innerhalb der grundgesetzlichen Regelungen ausgestalten muss. Dabei ist dies sehr frei, da sich im Grundgesetz an dieser Stelle keine weiteren Regelungen finden.

・ Wählen bedeutet, dass eine Wahl stattfinden muss, die den Wahlgrundsätzen genügt

Sehr gelungen sind in der Folge die weiteren Ausführungen des BVerfG, die sich mit den Grundsätzen des freien Mandates auseinandersetzen. Wer diese Grundlagen beherrscht, kann diese an dieser Stelle im Gutachten schön darlegen.

Der zweite Senat entwickelt keine neuen Grundsätze oder verfassungsrechtlichen Figuren, sondern wendet die allgemeinen Grundsätze konsequent an. Aus dem freien Mandat ergibt sich somit, dass auch die Wahlen zum Bundestagspräsidenten und den jeweiligen Stellvertretern und Stellvertreterinnen frei sein müssen.

Wichtig ist auch, dass für die Forderung der AfD-Fraktion, dass der einzelne Abgeordnete die Gründe für eine Ablehnung darlegen muss, kein Raum ist. Das Grundgesetz sieht eine solche Begründungspflicht bei Wahlen einfach nicht vor, sodass dies ein nicht vorgesehenes Element im Wahlvorgang darstellen würde.

Ersichtlich ist das eigentliche Motiv hinter dieser Forderung der AfD, einen „Opferstatus“ aufzubauen und zu zeigen, wie „unfair“ sie angeblich behandelt werden würde. Schließlich gibt es auch bei anderen Abstimmungen keinen Begründungszwang. Es ist charakteristisch für eine Wahl, dass sie nicht begründet werden muss. Schließlich wird auch vom einzelnen Bürger keine Begründung für eine bestimmte Wahl verlangt. Ob nun „die Nase nicht passt“ oder der Bürger sich tatsächlich ausführlich mit der gewählten Person beschäftigt hat, kann die Wirksamkeit der Wahl nicht beeinflussen.

Bei Abgeordneten mag es am Ende so sein, dass sie sich zwar faktisch spätestens im Wahlkampf für ihre Entscheidungen vor den Wählern rechtfertigen müssen, aber im Parlament selbst besteht die Freiheit des Mandates ohne Begründungszwang (und auch im Wahlkampf besteht keine rechtliche Verpflichtung Entscheidungen zu begründen, das ergibt sich rein faktisch). Alle Mitglieder des Bundestages sind bei Abstimmungen nur ihrem Gewissen unterworfen.

・ Keine Vorkehrungen gegen unliebsame Wahlergebnisse

Die Forderung nach „verfahrensmäßigen Vorkehrungen“ die sicherstellen sollen, dass die Ablehnung eines Kandidaten nicht aus „sachwidrigen Gründen“ erfolgt, konnte ebenfalls nicht von der AfD verlangt werden. Das BVerfG stellt eindeutig fest, dass nicht ersichtlich ist, was diese Vorkehrungen sein sollen. M.E. muss man bei den Überlegungen berücksichtigen, dass „sachwidrige Gründe“ ein völlig unbestimmter Rechtsbegriff sind, der dem Missbrauch Tür und Tor öffnet.

An dieser Stelle sei ein praktisches Beispiel gegeben: Mit Albrecht Glaser hatte die AfD zum Beispiel einen Kandidaten als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten aufgestellt, der Muslimen das Recht auf Religionsfreiheit entziehen möchte (siehe hierzu: FAZ AfD im Bundestag: Fraktionen gegen Glaser als Parlaments-Vizepräsident (4)). Nach der AfD bestand kein Grund ihn wegen dieser Aussagen nicht zu wählen, während sich Cem Özdemir (Grüne) auch aufgrund der Aussage von vorneherein distanzierte und eine Wahlentscheidung für Albrecht Glaser für sich ausschloss.

Schon dies zeigt, dass der Begriff der „sachwidrigen Gründe“ vollkommen unbestimmt und faktisch nicht zu handhaben ist, da er völlig unbestimmt ist. Das freie Mandat, dass die Wahlentscheidung nur dem Gewissen des jeweiligen Mitglieds des Bundestags unterwirft, kann so nicht eingeschränkt werden. Im Weiteren muss man bei diesem Beispiel bedenken:

Ist es „sachwidrig“ eine Wahl eines Kandidaten wie Herrn Glaser abzulehnen, obwohl die Ansicht nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist und für eine Religionsgruppe den grundrechtlichen Schutz des Art. 4 I GG verweigern will (Siehe Deutscher Bundestag: „AfD-Fraktionschef Gau­land: Albrecht Glaser denkt über Islam wie wir“ Zur Position der AfD im unteren Drittel des Interviews (5)). Nach persönlicher Ansicht des Autoren wäre die Ablehnung nicht sachwidrig, sondern sehr wohl begründet, aufgrund der mit dem Grundgesetz unvereinbaren Überzeugung. Die AfD-Fraktion würde dies wohl deutlich anders sehen.

Zusätzlich mag man insbesondere bei deutlich weniger gravierenden Beispielen, als das genannte auf Probleme stoßen, wie soll der Begriff „sachwidrig“ abgewogen werden soll. Eine Grenze kann kaum gesetzt werden, da insbesondere die Wahl auch eine Gewissensentscheidung ist.

・ Kein Recht auf ein bestimmtes Wahlergebnis

Ein Recht auf die Wahl eines vorgeschlagenen Bewerbers für das Amt eines Stellvertreters des Bundestagspräsidenten gibt es auch nicht. Ein solches Recht oder gar ein Besetzungsrecht, würden eine Wahl komplett sinnentleeren. Die Wahl soll gerade sicherstellen, dass der Bundestagspräsident sowie seine Stellvertreter und Stellvertreterinnen aufgrund einer breiten Vertrauensgrundlage des Bundestages gewählt werden. Wenn diese Vertrauensgrundlage bei Kandidaten einer bestimmten Fraktion nicht gegeben ist, wird die Person nicht gewählt. Es besteht wie geschildert kein Anspruch auf eine Wahl.

・ Die GO-BT gestaltet die grundgesetzliche Regelung zutreffend aus

Das Wahlverfahren nach der GO-BT ist nach dem BVerfG auch mit den gerade genannten Regelungen eine zulässige Ausgestaltung des Art. 40 I GG. Dem ist nichts hinzuzufügen. Eine freie Wahl ist gewährleistet. An der zulässigen Ausgestaltung ändert sich auch nichts, dass grundsätzlich nach § 2 GOBT für jede Fraktion ein Posten im Präsidium des Bundestages vorgesehen ist. Dies steht nämlich unter dem Vorbehalt der erfolgreichen Wahl, wie es auch vom GG vorgesehen ist.

b) Keine Verletzung des Rechts auf effektive Opposition

Ganz fehl geht die Annahme, dass die AfD in ihrem Recht auf effektive Opposition verletzt ist. Die AfD war offensichtlich anderer Auffassung, sonst hätte sich das BVerfG kaum ausführlich hierzu geäußert. Spezielle Oppositionsrechte kennt das Grundgesetz gerade nicht, wie das BVerfG zutreffend festhält.

Das Grundgesetz kennt Rechte für die parlamentarische Minderheit. In diesen Rechten vollzieht sich die Ausgestaltung der parlamentarischen Opposition. Dazu zählt als eines der stärksten (und für das Studium prüfungsrelevantstesten!) Rechte, sicherlich die Möglichkeit der abstrakten Normenkontrolle vor dem BVerfG. Diese Rechte werden aber nicht verletzt. Keine Minderheit kann vor ihr unliebsamen Ergebnissen freier Wahlen geschützt werden. Das GG sieht eindeutig einen Wahlakt vor, dann muss die AfD auch mit dem Ergebnis eines solchen leben.

Auch missversteht die AfD die Rolle des Präsidiums anscheinend vollkommen. In diesen Ämtern wird gerade keine Opposition betrieben. Es besteht nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG die Pflicht zur unparteilichen Amtsführung. Das Amt muss mit größtmöglicher parteipolitischer Zurückhaltung ausgeübt werden. Opposition ist in diesem Amt ausgeschlossen. Dies wird durch das BVerfG nochmal zutreffend klargestellt.

c) Keine Verletzung des Grundsatzes der Organtreue

Das BVerfG fasst diesen letzten Teil sehr knapp:

„Die Beziehung zwischen dem Bundestag und den Fraktionen ist in der Geschäftsordnung unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben im Einzelnen ausgeformt. Der Umgang miteinander richtet sich nach deren Vorschriften in Ansehung des Grundsatzes der fairen und loyalen Anwendung der Geschäftsordnung.“

Das Gericht sieht keine Anhaltspunkte, dass in irgendeiner Form gegen die GO-BT verstoßen wurde. Daher wurde auch kein Verstoß festgestellt.

3. Organstreitverfahren der AfD-Fraktion vor dem BVerfG: Fazit

Der Fall ist spannend und sicherlich prüfungsrelevant. Mit Grundkenntnissen des Verfassungsrechts ist er aber sehr gut handhabbar und in der Prüfung lösbar. Klar ist – ein Besetzungsrecht im Bundestagspräsidium (oder im Ältestenrat) gibt es nicht, sondern das GG setzt eine Wahl in Art. 40 I GG voraus.

Dies gilt in jedem Fall und kann nicht umgangen werden. Dies sind allgemeine Grundsätze. Daher kann es auch sein, dass der Fall in Prüfungsthemen so abgewandelt wird, dass nicht etwa eine Partei/ Fraktion als Beispiel gewählt wird, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, sondern jeglicher Kandidat einer anderen (nicht vom Verfassungsschutz beobachteten) Partei.

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung rein allgemeine Regelungen genannt und geschildert, die unabhängig für alle Personen gelten, die sich für eine Posten im Präsidium (oder Ältestenrat) bewerben. Niemand hat einen Anspruch darauf gewählt zu werden. Damit hat aber auch das BVerfG der AfD die Grundlage für ihre selbstproklamierte Opferrolle genommen. Die Entscheidung des BVerfG ist daher sehr zu begrüßen und auch in ihrer Begründung überzeugend.

Dr. Michael Hoerdt
Autor
Dr. Michael Hördt

Dr. Michael Hördt, M.C.L. (Mannheim/ Adelaide) studierte Jura an der Universität Heidelberg mit Praktika in Zürich und Dublin. Danach erwarb er den Master of Comparative Law der Universität Mannheim und der University of Adelaide und promovierte zum Thema „Pflichtteilsrecht und EuErbVO“ an der Universität Potsdam. Sein Referendariat absolvierte er am LG Darmstadt mit Stationen in Dublin und Washington, D.C. Er war Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei in Frankfurt a.M. im Arbeitsrecht und für das Irlandgeschäft der Kanzlei zuständig. Aktuell ist er Syndikusrechtsanwalt bei Infosys Limited im Arbeitsrecht in Frankfurt a.M.

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