Bürgerrechte in den USA – Geschichte und aktuelle Entwicklung

Dr. Michael Hördt wirft in einer Artikelserie einen Blick auf die Geschichte des Supreme Courts und auf die Bedeutung der jüngsten Entscheidungen für die amerikanische Rechtsauslegung, aber auch für die Gesellschaft | Teil 3 Verlust von Bürgerrechten

Precedent, die Angst um den Verlust einer Vielzahl von Bürgerrechten und das Versprechen Amerikas

Originalism und der Supreme Court – eine Gefahr für die Bürgerrechte

Bei den in den vorherigen Teilen geschilderten Fragen ging es in erster Linie darum, wie sich die Auslegung in Bezug auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte eines Verfassungsartikels darstellt. Hat man dabei bereits festgestellt, dass es „die“ von den Gründungsvätern vorgesehene Auslegungsmethode überhaupt nicht gab und welche Gefahren durch ein eigenes Verständnis der Richter von den Vorgängen bei Schaffung der Verfassungsartikel drohen oder gar bereits real sind, soll in diesem Teil auf weitere Aspekte eingegangen werden.

Der Präzedenzfall als überholtes Prinzip?

Clarence Thomas kündigte an, dass einige Entscheidungen vom Supreme Court überprüft werden sollten, da sie mit der originalistischen Auslegungsmethode nicht vereinbar seien. Bei allem Bezug auf diese Auslegungsmethode vergisst er aber eines, auch die Gründungsväter lebten nicht im „rechtsleeren Raum“, sondern waren von den schon damals im englischen Recht herrschenden Rechtsprinzipien geprägt.

Eines dieser Prinzipien, an welches die Gründungsväter glaubten, war der Präzedenzfall (Precedent). Dieses Prinzip ist in der anglo-amerikanischen Rechtswelt weit verbreitet und war bereits deutlich vor der amerikanischen Unabhängigkeit in Großbritannien und seinen (damaligen) Kolonien verbreitet. Man muss sich bewusst sein, die Gründungsväter glaubten daran, dass Streitigkeiten durch Gerichte befriedet werden und Konflikte in der Regel durch gerichtliche Entscheidung möglichst dauerhaft gelöst werden.

Der aktuelle Supreme Court verliert in den USA immer mehr an Vertrauen. Mittlerweile ist es auf dem niedrigsten Stand seit 1973. Das Thema Schwangerschaftsabbruch hatte durch Roe v Wade eine Lösung erfahren und es wurde von über 2/3 der Bevölkerung nicht gewünscht, diese durch eine neue Entscheidung abzulösen.

So ist das einfachste und typische Beispiel dasjenige, der Gründung einer Bank auf bundesstaatlicher Ebene. Jefferson und Madison waren erhebliche Gegner, während Hamilton einer der Befürworter war. Als die Gründung der Bank aber als verfassungsrechtlich möglich angesehen wurde und dies gerichtlich entschieden war, waren Madison und Jefferson damit einverstanden.

Madison veranlasste als Präsident sogar (notgedrungen) die Gründung einer zweiten Bank auf Bundesebene, nachdem das Mandat der ersten Bank ca. 5 Jahre zuvor ausgelaufen war! Letzteres zeigt auch wieder, die Gründungsväter waren, wenn es darauf ankam, sehr pragmatisch und keine „Prinzipienreiter“. Gerichtsurteile dienen auch dazu, Konflikte zu befrieden.

Natürlich darf und kann das Prinzip des Präzedenzfalles nicht die Aufhebung fundamental falscher Entscheidungen wie Dred Scott v. Sandfort aufhalten.

Natürlich darf und kann das Prinzip des Präzedenzfalles nicht die Aufhebung fundamental falscher Entscheidungen wie Dred Scott v. Sandfort aufhalten. Eine Entscheidung, die auf fundamental falschen Prinzipien fußt (wie dem reinen Rassismus in Dred Scott v. Sandfort) kann auch nach der Rechtsprechung des Supreme Court keinen Bestand haben (siehe nur: Loving v. Virginia). Dies macht auch Sinn: Denn eine offensichtlich falsche Entscheidung kann keinen Rechtsfrieden, geschweige den Recht schaffen.

Aber gleichzeitig ist das Prinzip des Präzedenzfalles auch ein Schutz davor, immer wieder gesellschaftliche Konflikte aufzubrechen, wenn eine Entscheidung unter Berücksichtigung der Prinzipien des Rechts getroffen wurde. Der aktuelle Supreme Court verneint aber dieses Prinzip komplett zu Gunsten seiner Auslegung (zu dem Prinzip des Precedent auch sehr empfehlenswert [1] ).

Welche Gefahren drohen durch eine konsequente Anwendung des Originalismus?

Neben den genannten Punkten drohen auch weitere Gefahren, die alle in den USA aktuell diskutiert werden. Man stelle sich nur folgendes Beispiel vor, was in den USA immer wieder als große Angst diskutiert wird:

Ein Afro-Amerikaner und eine weiße Frau möchten heiraten. Allerdings wird ihnen sowohl vom Pfarrer (in den USA genügt oft auch für die zivilrechtliche Anerkennung die kirchliche Heirat), als auch vom jeweiligen Beamten verweigert, die Ehe zu schließen, mit der Begründung, dass es kein ausdrückliches Gesetz im betroffenen Bundesstaat gäbe, dass die „interracial marriage“ (so der Begriff in den USA) erlaube und auch ein verfassungsmäßiges Recht, eine solche Ehe zu schließen bestünde nicht.

Der Fall landet schließlich vor dem Supreme Court und dieser schaut sich den 14. Zusatzartikel, der bisher als Rechtfertigung und Garantie der „interracial marriage“ galt, unter einem strengen Verständnis des Originalismus an. Und aufgrund dessen droht plötzlich der Supreme Court eine Entscheidung zu treffen, die die Gesellschaft in die dunkelsten Stunden der Vereinigten Staaten zurückwerfen könnte.

Der Wortlaut des 14. Zusatzartikels nennt die Ehe nicht ausdrücklich, schon gar nicht die „interracial marriage“. So stellt sich aus Sicht des Originalismus die Frage, wie der objektive Dritte 1866, als der 14. Zusatzartikel verabschiedet wurde, diesen verstanden hätte.

In den Debatten als der 14. Zusatzartikel geschaffen wurde, unterschied man zwischen „politischen Rechten“ und „sozialen Rechten“. Die sozialen Rechte umfassten auch die „interracial marriage“. Zu beachten ist: Die sozialen Rechte waren bei den Diskussionen 1866 nicht anerkannt und sollten damals auch nicht geschaffen werden.

Einschränkung der Bürgerrechte

Die Bürgerrechte waren viel eingeschränkter, als man glauben mag. Hinzu kommt, dass das Verständnis des Textes in den Südstaaten ein Jahr nach dem Bürgerkrieg sicherlich nicht so gegeben war, dass eine vollkommene Gleichstellung der afro-amerikanischen Bevölkerung mit der weißen Bevölkerung erfolgen sollte.

Mehrere Bundesstaaten versuchten den 14. Zusatzartikel auch zu widerrufen. Aus Sicht der ehemaligen konföderierten Staaten war zwar der Bürgerkrieg verloren, aber damit (leider) nicht gleichzeitig der Rassismus beendet. In den Südstaaten wurde eine Vielzahl von Maßnahmen vollzogen, um die afro-amerikanische Bevölkerung vom politischen und sozialen Leben auszuschließen.

Aus Sicht der Südstaaten (aber leider sicher nicht nur dort) war klar, der nichtweißen Bevölkerung sollte nur das Minimum an Rechten gewehrt werden, was der Wortlaut des 14. Zusatzartikels hergibt, aber auch nicht mehr. Die „interracial marriage“ wurde sicherlich damals nicht in Erwägung gezogen. Auch im Norden war dies kein großes Thema, auch hier blieben i.d.R. die afro-amerikanische und die weiße Bevölkerung unter sich.

Die Beendigung der Sklaverei war ein wichtiges Thema und ein großes Ziel gewesen, aber nach dem Bürgerkrieg erschienen für die weiße Bevölkerung auch im Norden faktisch andere Themen dringender. Gesellschaftlich muss man sich sogar so weit klar sein, dass z.B. auch europäisch-stämmige Hochzeiten zwischen bspw. italienisch-stämmigen und irisch-stämmigen Amerikanern gesellschaftlich z.T. sehr kritisch gesehen waren.

„Interracial Marriage“

An die „interracial marriage“ wurde daher, so traurig es auch ist, nicht gedacht bzw. diese wohl kaum von der Mehrheit als in dem Zusatzartikel verankert gesehen, noch war dies gesellschaftlich 1866 faktisch möglich. Somit gibt der Text des 14. Zusatzartikels strenggenommen, nach einer Auslegung im Sinne des Originalismus keine verfassungsmäßige Garantie der „interracial marriage“ her. Vielmehr müsste man die Überzeugung der schwärzesten Stunde des Supreme Court zugrunde legen und der Supreme Court festhalten, dass nach dem damaligen Verständnis Afroamerikaner als weniger wertig angesehen wurden und auch sonst keine „interracial marriage“ in irgendeiner Form erfasst sein sollte.

Dass dieses Ergebnis zutiefst rassistisch ist und keinem Verfassungsverständnis zugrunde gelegt werden kann, hatte der Supreme Court bereits 1967 in Loving v. Virginia vollkommen zutreffend erkannt und einstimmig die „interracial marriage“ als verfassungsrechtlich geschützt angesehen. Der Supreme Court hat eindeutig festgehalten, dass das Verbot, das noch bis in die 1960er bestand, rein auf Rassismus begründet war und daher nicht richtig sein kann. Deutlich muss man aus meiner Sicht auch sagen: Niemals richtig sein wird.

Trotzdem geht angesichts der jüngsten Zusammensetzung des Supreme Courts und der damit einhergehenden Rechtsprechung, aufgrund der in dieser Beitragsserie genannten Punkte die Angst um, dass auch eine anderslautende Entscheidung gefällt werden könnte und sich auf das Verständnis von 1866 berufen wird. Wahrscheinlich ist dies m.E. nicht, da eine solche Rechtsprechung wohl weder von der Politik (bis auf ewig gestrige), noch von der großen Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert werden würde. Die Konsequenzen wären jedoch kaum auszudenken.

Eine solche Entscheidung würde die USA zutiefst erschüttern und die Richter selbst würden sich wohl (zum Glück) nicht trauen, diese zu treffen. Aber allein die Vorstellung, dass der Supreme Court voller Überzeugung eine Methode uneingeschränkt anwenden will, mit der ein solches falsches Urteil möglich wäre, erschüttert doch.

Die gleichgeschlechtliche Ehe

Gleiche Gefahren drohen für die gleichgeschlechtliche Ehe. Hier ist die Gefahr sogar noch realer, dass entschieden wird, dass diese nicht vom 14. Verfassungszusatz geschützt ist. Supreme Court Richter Clarence Thomas nannte das Urteil Obergefell v. Hodges, als eines der Urteile, die vom Supreme Court nochmals überprüft werden müssten.

Dies war als klare Ankündigung zu verstehen, dass der Supreme Court hier eine Änderung vornehmen wollen wird. Die Entscheidung Obergefell v. Hodges erging mit 5 zu 4 Richterstimmen. So eindeutig, wie die Positionierung zum Schutz der Verfassung der „interracial marriage“ in Loving v. Virigina (die einstimmig erging) war die Entscheidung nicht. Und ein großes Problem ist sicherlich, dass der objektive Dritte im Jahre 1866 die gleichgeschlechtliche Ehe mit Sicherheit aufgrund der damaligen gesellschaftlichen Situation nicht als verfassungsrechtlich geschützt angesehen hätte.

Es meldet sich doch bei den meisten Menschen das Rechtsgefühl, dass eine Ansicht von 1866, die heute von einer weiten Mehrheit nicht mehr geteilt wird und man sich gesellschaftlich weiterentwickelt hat, nicht maßgeblich für verfassungsrechtliche Garantien sein kann.

Nach der strengen Lehre der Originalisten wäre auch diese Form der Ehe daher nicht verfassungsrechtlich geschützt und könnte vom Gesetzgeber verboten werden. Anders als bei der „interracial marriage“, ist auch davon auszugehen, dass vor allem republikanisch geprägte Staaten von der Verbotsmöglichkeit Gebrauch machen würden. Doch will man wirklich, dass man das Bild von 1866 bemüht, um eine – in meinen Augen richtige – verfassungsrechtliche Garantie zurückzunehmen?

Es meldet sich doch bei den meisten Menschen das Rechtsgefühl, dass eine Ansicht von 1866, die heute von einer weiten Mehrheit nicht mehr geteilt wird und man sich gesellschaftlich weiterentwickelt hat, nicht maßgeblich für verfassungsrechtliche Garantien sein kann.

Zum Vergleich: Auch in Deutschland gab es die Diskussion um die gleichgeschlechtliche Ehe und auch bei uns gibt es eine verfassungsrechtliche Entwicklung des Ehebegriffs. Auch wenn das BverfG dies noch nicht entscheiden musste, spricht m.E. vieles dafür, dass die gleichgeschlechtliche Ehe wie die gegengeschlechtliche Ehe geschützt ist (zur Entwicklung und warum das Grundgesetz die gleichgeschlechtliche wie die gegengeschlechtliche Ehe schützt und zur Entwicklung des Ehebegriffs: Hördt, Pflichtteilsrecht und EuErbVO, S. 228ff.). Dennoch muss man leider davon ausgehen, dass die Hemmschwelle des Supreme Courts die Entscheidung aufzuheben viel geringer ist als bei Loving v. Virginia.

Der Zugang zu Verhütungsmitteln

Der letzte anzusprechende Punkt ist der Zugang zu Verhütungsmitteln. Auch dies gilt bisher als verfassungsrechtlich geschütztes Recht, welches aus dem Prinzip der Privatsphäre („Privacy“) in den USA hergeleitet wird (Griswold v. Connecticut). Wie in den meisten Gesellschaften ist es leider faktisch immer noch so, dass Verhütung häufig in erster Linie Sache der Frau ist. Zugang zu Verhütungsmitteln meint dabei in den USA in erster Linie der Zugang für Frauen zur Antibabypille, aber auch sonstigen Mitteln, wie insbesondere der in den USA stark von Abtreibungs- und Verhütungsgegnern attackierten „Pille danach“.

Ausdrücklich steht das Recht auf Zugang zu Verhütungsmitteln nicht in der Verfassung. Würde man in der Zeit nach 1866 zurückreisen, würde der objektive Dritte dies wohl auch nicht vom 14. Zusatzartikel erfasst sehen. Der objektive Dritte der damaligen Zeit war natürlich – zumindest nach außen – tugendhaft und hätte außerehelichen Geschlechtsverkehr oder solchen, der nicht der Reproduktion dient, als nicht zulässig angesehen.

Will man wirklich das Prinzip der „Privacy“ generell verleugnen, welches ein anerkanntes Recht in der Bevölkerung ist? Will man die Sexualität, und in diesem Fall wäre dies faktisch wohl in erster Linie die Sexualität der Frauen, zwingen wieder in alle Heimlichkeit abzugleiten?

Griswold v. Connecticut behalf sich mit dem Prinzip der Privatsphäre, die zwar nirgends in der Verfassung genannt sei, aber in der Bill of Rights impliziert sei. Dies allein dadurch, dass das Prinzip der Privatsphäre älter als die Bill of Rights sei und daher von dieser vorausgesetzt wird. Doch auch diese Entscheidung möchte der Supreme Court wohl angreifen.

Nach dem Wortlautprinzip findet sich die „Privacy“ nämlich gerade nicht in der Verfassung. Dass in der Realität auch die Gesetzgeber von 1866 häufig Affären und/oder außerehelichen Geschlechtsverkehr und/ oder uneheliche Kinder hatten und der objektive Dritte sich innerlich heimlich gerade deswegen vielleicht doch Verhütungsmittel gewünscht hätte, sei nur nebenbei erwähnt.

Man muss aber auch an die gesellschaftlichen Konsequenzen denken. Will man wirklich das Prinzip der „Privacy“ generell verleugnen, welches ein anerkanntes Recht in der Bevölkerung ist? Will man die Sexualität, und in diesem Fall wäre dies faktisch wohl in erster Linie die Sexualität der Frauen, zwingen, wieder in alle Heimlichkeit abzugleiten? Will man in der Konsequenz Frauen zu den sog. Engelmachern treiben, wenn sie ungewollt schwanger werden, weil der Zugriff auf Verhütungsmittel fehlte? Gesellschaftlich betrachtet sicherlich nicht.

Die Gesellschaft ist weiter als in der damaligen Zeit. Religiös geprägte Staaten, die in der Regel republikanisch regiert sind, versuchen ohnehin den Zugang zu Verhütungsmitteln zu beschränken. Mit einer Entscheidung in ihrem Sinne wäre dies tatsächlich vollständig möglich. Dies wäre eine Entscheidung, die aber vollkommen zu Lasten der weiblichen Bevölkerung gehen würde.

Das bessere Rechtsgefühl der Bevölkerung

Schaut man sich die aktuellen Umfragen an, verliert der Supreme Court immer mehr an Vertrauen. Mittlerweile ist er bzgl. des Vertrauens auf dem niedrigsten Stand seit 1973 [2]. Das Thema Schwangerschaftsabbruch, so kontrovers es in den USA (wie zu meist in der Welt) behandelt wird, hatte durch Roe v Wade eine Lösung erfahren und es wurde von über 2/3 der Bevölkerung nicht gewünscht, Roe v Wade von einer neuen Entscheidung abzulösen, insbesondere mit Sicherheit nicht durch ein Urteil wie es jetzt getroffen wurde. [3]

Die Mehrheit der US-Bürger hat insoweit auch das System des Precedent, wahrscheinlich häufig unbewusst, verinnerlicht. Es ist aber für das Vertrauen in den (Rechts-)Staat sehr misslich, wenn ein Gericht mehrheitlich Entscheidungen trifft, die für die Bürger nicht mehr nachvollziehbar sind. Insbesondere, wenn die Gesellschaft bereits viel weiter ist, als die Art, wie die Verfassung vom höchsten Bundesgericht interpretiert wird.

Die US-Bürger bewundern die Gründungsväter und auch ihre Verfassung sowie die Zusatzartikel. Dies m.E. auch zu Recht, denn die US-Verfassung enthält viele großartige Prinzipien. Aber dennoch herrscht nach meinen Erfahrungen häufig ein tieferes Verständnis für das Erreichte der Revolutionäre und Verfasser der Zusatzartikel, aber auch für die Fehler, die diese (wie jeder Mensch) hatten. Rückschritte in diese Zeit, insbesondere was die Rechte von Minderheiten und Frauen angeht, möchte die Mehrheit der US-Bevölkerung gerade nicht. Und auch nicht an eine Zeit von vor über 100 oder 200 Jahren gebunden sein, die die vielfältigen Fortschritte verneint.

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Bürgerrechte in den USA – Abschließendes Gesamtfazit

Abschließend kann man nach den 3 Teilen dieses Beitrages festhalten.: Dass der Supreme Court in dieser Zusammensetzung seine Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch revidieren wird, ist leider kaum zu erwarten. Ebenso sehe ich die große Gefahr, dass weitere Entscheidungen kommen können, die vor allem die Rechte von Frauen und Minderheiten einschränken.

Dabei hat die Theorie des Originalismus einige Schwächen und Widersprüche, die in der Beitragsserie aufgezeigt wurden. Insbesondere mag man sich aber auch überlegen, den Vertretern des „Living Constitutionalism“ wird von Seiten der Originalisten richterlicher Aktivismus vorgeworfen sowie die Einführung von Verfassungsrechten, die die US-Verfassung selbst nicht kennen würde.

Die Originalisten gehen davon aus, dass der Verfassungsgeber alle Begriffe nutzen soll, wie sie bei Schaffung eines Verfassungsartikels verstanden wurden. Wie geschildert gab es aber ein solches einheitliches Verständnis gerade nicht!

Umgekehrt muss man aber festhalten: Die Originalisten gehen davon aus, dass der Verfassungsgeber alle Begriffe nutzen soll, wie sie bei Schaffung eines Verfassungsartikels verstanden wurden. Wie geschildert gab es aber ein solches einheitliches Verständnis gerade nicht! Was regelmäßig an die Stelle der Interpretation tritt, ist das heutige Verständnis der Richter, wie ein Begriff damals genutzt wurde oder genutzt werden sollte. Dies ist m.E. gerade auch eine Form des „judicial aktivism“. Sogar ein gefährlicherer Aktivismus, als er unter dem „Living Constitutionalism“ besteht, da dieser unter dem Deckmantel eines angeblich eindeutigen Wortlautes steckt.

Schlussendlich: Die Revolutionszeit in den USA war auch viel von Widersprüchen und internen Auseinandersetzungen geprägt, die gerade auch für das Verständnis der Verfassung von großer Bedeutung sind. Blendet man dies aus und verlässt sich auf ein (scheinbar) idealisiertes Bild der 1780er Jahre, so bindet man die Bevölkerung an die Fehler einer vergangenen Zeit.

Am Denkmal von Thomas Jefferson in Washington, D.C. findet sich hierzu ein großartiges Zitat von ihm:

“I am not an advocate for frequent changes in laws and constitutions, but laws and institutions must go hand in hand with the progress of the human mind. As that becomes more developed, more enlightened, as new discoveries are made, new truths discovered and manners and opinions change, with the change of circumstances, institutions must advance also to keep pace with the times. We might as well require a man to wear still the coat which fitted him when a boy as civilized society to remain ever under the regimen of their barbarous ancestors.”

Thomas Jefferson

Gegenüber von Jeffersons Denkmal steht das Denkmal zu Ehren von Dr. Martin Luther King. Der Blick ist bewusst auf Jeffersons Denkmal ausgerichtet, um daran zu erinnern, zu ermahnen und darüber zu wachen, dass diese großen Worte, als auch die großen Ideale, die die Gründerväter hatten, für alle Menschen gelten und jeder in Freiheit nach seinem Glück streben kann.

Das ist das Versprechen Amerikas. Wer hohe Ideale hat, kann aber auch tief fallen und es gibt genug Punkte in der amerikanischen Geschichte, in der es diesen Idealen nicht gerecht geworden ist, genau wie es genug Moment gibt, in denen dies der Fall war.

Das Versprechen Amerikas hat aber auch die tiefsten Krisen überstanden und wird auch das Vermächtnis des originalistischen Supreme Courts von Donald Trump überstehen.  Denn eines wurde in der Geschichte des höchstens Gerichts trotz oder gerade aufgrund des Prinzips des Präzedenzfalles sinngemäß immer wieder festgehalten: Eine Entscheidung, die aus fundamental falschen Motiven erlassen wird, kann keinen Bestand haben.

Dr. Michael Hoerdt
Autor
Dr. Michael Hördt

Dr. Michael Hördt, M.C.L. (Mannheim/ Adelaide) studierte Jura an der Universität Heidelberg mit Praktika in Zürich und Dublin. Danach erwarb er den Master of Comparative Law der Universität Mannheim und der University of Adelaide und promovierte zum Thema „Pflichtteilsrecht und EuErbVO“ an der Universität Potsdam. Sein Referendariat absolvierte er am LG Darmstadt mit Stationen in Dublin und Washington, D.C. Er war Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei in Frankfurt a.M. im Arbeitsrecht und für das Irlandgeschäft der Kanzlei zuständig. Aktuell ist er Syndikusrechtsanwalt bei Infosys Limited im Arbeitsrecht in Frankfurt a.M.

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