Wann ist Beleidigung am Arbeitsplatz ein Kündigungsgrund?

Anzeige, Abmahnung, Kündigung? Was passiert, wenn es am Arbeitsplatz unter Kollegen oder gegenüber Vorgesetzten zu einer Beleidigung kommt.

Beleidigung am Arbeitsplatz – Ein Fall wie aus dem Lehrbuch

Eine Beleidigung wie aus dem Lehrbuch: „Komm doch her, du Arschloch, ich hau’ dir paar in die Fresse“. Diese Worte verwendete ein Bauarbeiter am Arbeitsplatz gegenüber seinem Vorgesetzten. Mit dem Fall, hatte sich das LAG Mecklenburg-Vorpommern auseinanderzusetzen (Az. 5 Sa 254/09). Der Bauarbeiter war bereits seit acht Jahren bei seinem Arbeitgeber und dort als schwieriger Zeitgenosse bekannt. Auf Kritik reagierte er stets sehr heftig und emotional. Eines Tages kam es zum verbalen Eklat und der Fall landete vor Gericht. Wie bewertete dieses die Beleidigung und droht in einem solchen Fall automatisch die fristlose Kündigung?

Konkreter Fall: Vorgesetzter provozierte wohl Beleidigung

Bevor es zu der Beleidigung am Arbeitsplatz kam, ging es jahrelang gut. Denn der Vorgesetzte in der Kolonne, in der der betreffende Arbeitnehmer üblicherweise eingesetzt wurde, kam mit ihm klar und wusste, wie er ihn „nehmen musste“. Anders war es in einer anderen Kolonne, in die der Arbeitnehmer kurzzeitig versetzt wurde.

In der Praxis werden sich einige finden, die den oben genannten Fall als eindeutigen Fall für eine fristlose Kündigung ansehen. So aber nicht das LAG.“

Dort kamen der Bauarbeiter und der Vorgesetzte überhaupt nicht miteinander klar. Als der Bauarbeiter sich mit einem Kollegen nach getaner Arbeit, während des Zusammenpackens seiner Arbeitsmaterialien unterhielt, rief ihm der Vorgesetzte als Aufforderung zur Weiterarbeit zu: „Soll ich mich noch dazu stellen und mit quatschen oder geht es jetzt weiter?“ Daraufhin erfolgte, wie es das LAG ausdrückte, das „A-Wort“.

Würde man nun eine Umfrage auf der Straße durchführen, würde wahrscheinlich eine große Mehrheit der Befragten eine außerordentliche Kündigung für gerechtfertigt halten. Die meisten Personen werden wohl der Auffassung sein, dass man sich gegenüber seinem Arbeitgeber im Griff haben muss. Auch unter Studenten und in der Praxis werden sich einige finden, die den oben genannten Fall als eindeutigen Fall für eine fristlose Kündigung ansehen. So aber nicht das LAG.

Wissenswertes über die fristlose Kündigung

Ebenfalls ist der besondere Kündigungsschutz sowie seine Voraussetzungen zu beachten, beispielsweise im Falle von schwerbehinderten Arbeitnehmern. Sodann wird auf erster Stufe geprüft, ob grundsätzlich ein geeigneter Grund für eine Kündigung vorliegt, was bei einer Beleidigung regelmäßig zu bejahen ist. Dann folgt auf der zweiten Stufe eine umfassende Interessenabwägung. Diese orientiert sich streng am Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB.

Demnach müssen „Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann“. Letztlich muss auch die Kündigungsfrist von zwei Wochen gewahrt sein.

Außerordentliche Kündigung wegen Beleidigung ist äußerstes Mittel

Hierbei ist es wichtig, dass – wie bei jeder Kündigung – auch bei der Kündigung wegen Beleidigung am Arbeitsplatz, das Prognoseprinzip und das ultima-ratio-Prinzip Anwendung finden. Denn die Kündigung ist, anders als oftmals angenommen, keine „Bestrafung“ für ein Verhalten, sondern soll zukünftige Störungen des Arbeitsverhältnisses verhindern. Daher muss prognostiziert werden, ob das Arbeitsverhältnis auch in der Zukunft erheblich durch die Störung beeinträchtigt wird.

Achtzugeben ist aber bei der Androhung von Gewalt. Zwar ist diese an sich für eine fristlose Kündigung geeignet, es darf sich aber um keine erkennbar ‚hohle‘ Drohung handeln.

Auch ist die außerordentliche Kündigung das letzte Mittel, um die Störung des Arbeitsverhältnisses zu beseitigen. Erst wenn mildere Mittel keinen Erfolg mehr versprechen, kann die außerordentliche Kündigung greifen. Zu den milderen Mitteln gehören beispielsweise die Abmahnung oder die Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz, aber auch die ordentliche Kündigung.

Achtzugeben ist aber bei der Androhung von Gewalt. Zwar ist diese an sich für eine fristlose Kündigung geeignet, es darf sich aber um keine erkennbar „hohle“ Drohung handeln. Im genannten Fall war dies für das Gericht erkennbar, da der Bauarbeiter sich weiter verbal mit seinem Vorgesetzten gestritten hat und danach noch bis zum Ende der Woche mit diesem arbeitete, ohne dass letzterer sich bedroht fühlte. Auch kam es in den acht Jahren, in denen das Arbeitsverhältnis bestand, nie zu körperlichen Auseinandersetzungen.

Abwägungsgrundsätze im Fall der Beleidigung am Arbeitsplatz

Bei einer Beleidigung sind mehrere Punkte zu beachten, und zwar sowohl diejenigen zulasten des Arbeitnehmers, als auch diejenigen zu seinen Gunsten. Das hat das LAG Mecklenburg-Vorpommern in seiner Argumentation getan. Hier ein Überblick, wie genau diese aussah: Das Erfolgen einer Beleidigung gegen den Vorgesetzten und die Infragestellung seiner Autorität fordern diesen besonders heraus und sind zulasten des Arbeitnehmers zu werten.

Hören weitere Arbeitnehmer die Beleidigung wie im Fall des LAG Mecklenburg-Vorpommern, wird deren Wirkung außerdem verstärkt. Nach der Rechtsprechung kann allerdings nur eine grobe Beleidigung, also nur eine solche, die eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen darstellt, zu einer außerordentlichen Kündigung führen. Der Arbeitnehmer und sein Vorgesetzter stritten zwar nach der Äußerung weiter, allerdings kam es zu keinen weiteren Beleidigungen.

Die Äußerung des Vorgesetzten wertete das Gericht als provozierend, auch weil der Bauarbeiter und dieser spezielle Vorgesetzte schon in der Vergangenheit Schwierigkeiten miteinander hatten und der Charakter des Arbeitnehmers bekannt war.

Jedoch dürfen die Gesamtumstände der Situation nicht außer Acht gelassen werden. So befand sich der Bauarbeiter nach Feierabend am Zusammenpacken seiner Arbeitsmaterialien und unterhielt sich nur aus diesem Grund mit einem Kollegen, als der Vorgesetzte seine obige Aussage traf.

Die Äußerung des Vorgesetzten wertete das Gericht als provozierend, auch weil der Bauarbeiter und dieser spezielle Vorgesetzte schon in der Vergangenheit Schwierigkeiten miteinander hatten und der Charakter des Arbeitnehmers bekannt war. Der Vorgesetzte hätte erkennen müssen, dass eine solche Ansprache zu Konflikten führen wird.

Gericht sah auch ordentliche Kündigung als ungerechtfertigt an

Das Gericht kam schließlich zu dem Schluss, dass ein milderes Mittel vorhanden ist. Der Bauarbeiter könne auch in anderen Kolonnen eingesetzt werden, da es genug Vorgesetzte gäbe, die ihn zu nehmen wissen würden. Die Nutzung des A-Wortes – bis dahin ein einmaliger Vorfall – könne in Zukunft durch eine solche andere Einteilung vermieden werden. Das Gericht wendet also sowohl das Prognose-, als auch das ultima-ratio-Prinzip an und kommt zu dem Ergebnis, dass die außerordentliche Kündigung nicht wirksam ist.

Ernsthafte betriebliche Störungen sah das Gericht gerade nicht. Der Arbeitgeber müsse damit leben, dass einige Arbeitnehmer und Vorgesetzte besser miteinander auskämen als andere und die Arbeit dementsprechend verteilen. Die hilfsweise ordentliche Kündigung sah das Gericht ebenfalls aus diesen Gründen als ungerechtfertigt an und sah die Abmahnung als milderes Mittel.

Allgemeiner Umgangston am Arbeitsplatz gibt vor, was überhaupt beleidigend ist

Andere Abwägungspunkte umfassen in Beleidigungsfällen die Frage, in welcher Umgebung die Beleidigung gefallen ist. Je nach Branche und Arbeitsplatz gibt es schließlich unterschiedliche Konventionen im Miteinander. Auf der Baustelle gilt dabei regelmäßig ein anderer Umgangston als etwa in einer Bank oder Kanzlei.

Je mehr sich in aufgebrachten Streitsituationen die andere Seite ebenfalls im Ton vergreift, desto mehr verliert die Beleidigung an Bedeutung.

Herrscht ohnehin gewohnheitsmäßig ein rauerer Umgang miteinander, sind die Hürden für eine grobe Ehrverletzung höher. Auch kommt es auf weitere Umstände an, in denen die Beleidigung geäußert wurde. Je mehr sich in aufgebrachten Streitsituationen die andere Seite ebenfalls im Ton vergreift, desto mehr verliert die Beleidigung an Bedeutung.

Auch eine angespannte Atmosphäre kann sich zu Ungunsten der Rechtfertigung der Kündigung auswirken. Anders ist es natürlich dann, wenn beispielsweise der Arbeitnehmer ohne Grund im Büro seines Vorgesetzten eine Schimpftirade startet. Ein weiterer erheblicher Punkt ist außerdem, ob es zu einer (ernst gemeinten) Entschuldigung gekommen ist. Letzteres spricht nämlich gerade gegen eine Negativprognose.

Fristlose Kündigung: Relevantes Thema sowohl in Klausuren als auch in der Praxis

Die fristlose Kündigung wegen Beleidigung erfordert sowohl in der Klausur als auch in der Praxis eine vorsichtige und umfassende Abwägung anhand der von den Gerichten genannten Kriterien. Die Relevanz dieses Themas ist erheblich. Sowohl im ersten, als auch im zweiten Examen gehört die fristlose Kündigung zum Prüfungsstoff und ist regelmäßig Thema in Klausuren.

Aber auch der Praktiker muss sich in diesem Bereich zurechtfinden und mit der Rechtsprechung vertraut sein. Das Thema Beleidigung im Arbeitsverhältnis gehört zu den Punkten im Studium, die eine große Praxisrelevanz aufweisen und gerade daher sicherlich auch mit zu den spannendsten Themen gehört.

Dr. Michael Hoerdt
Autor
Dr. Michael Hördt

Dr. Michael Hördt, M.C.L. (Mannheim/ Adelaide) studierte Jura an der Universität Heidelberg mit Praktika in Zürich und Dublin. Danach erwarb er den Master of Comparative Law der Universität Mannheim und der University of Adelaide und promovierte zum Thema „Pflichtteilsrecht und EuErbVO“ an der Universität Potsdam. Sein Referendariat absolvierte er am LG Darmstadt mit Stationen in Dublin und Washington, D.C. Er war Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei in Frankfurt a.M. im Arbeitsrecht und für das Irlandgeschäft der Kanzlei zuständig. Aktuell ist er Syndikusrechtsanwalt bei Infosys Limited im Arbeitsrecht in Frankfurt a.M.

Beleidigung am Arbeitsplatz — Das Wichtigste in Kürze

  • Ein Bauarbeiter hat seinen Vorgesetzten am Arbeitsplatz beleidigt und es kam zu einem Gerichtsverfahren.
  • Das Gericht bewertete die Beleidigung und prüfte, ob eine fristlose Kündigung gerechtfertigt war.
  • Der Bauarbeiter war bereits bekannt für sein schwieriges und aggressives Verhalten. Der Vorgesetzte hatte den Bauarbeiter provoziert.
  • Eine außerordentliche Kündigung wegen Beleidigung ist das äußerste Mittel und sollte erst angewendet werden, wenn mildere Maßnahmen wie eine Abmahnung oder Versetzung nicht erfolgreich waren.
  • Eine grobe Beleidigung, die eine erhebliche Ehrverletzung darstellt, kann zu einer außerordentlichen Kündigung führen.
  • Die Androhung von Gewalt kann auch zu einer fristlosen Kündigung führen, aber es darf keine offensichtliche leere Drohung sein.
  • In diesem Fall wurde die fristlose Kündigung abgelehnt, da es in den acht Jahren des Arbeitsverhältnisses keine physische Gewalt gab und der Vorgesetzte sich nicht bedroht fühlte.
  • Die Gesamtumstände der Situation müssen berücksichtigt werden.
  • Provokante Äußerungen des Vorgesetzten können zu Konflikten führen.
  • Der allgemeine Umgangston am Arbeitsplatz bestimmt, was als beleidigend angesehen wird. In Branchen mit rauem Umgangston sind die Hürden für eine grobe Ehrverletzung höher.
  • Die fristlose Kündigung wegen Beleidigung erfordert eine umfassende Abwägung anhand der Kriterien der Gerichte.
  • Das Gericht kann eine mildere Maßnahme als außerordentliche Kündigung anwenden, z. B. eine andere Einteilung des Bauarbeiters.
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