Verfassungsrechtliche Klimaklagen und neue Beschlüsse des BVerfG

Der Klimaschutz ist ein extrem wichtiges Ziel. Dennoch ist es richtig, dass gerichtlich keine konkreten Maßnahmen wie z.B. ein Tempolimit durchgesetzt werden können, sondern dem Gesetzgeber ein Umsetzungsspielraum gegeben werden muss.

Klimaklagen und neue Beschlüsse des BVerfG mit interessanten Fragen für die Prüfung

Der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts war eine bahnbrechende Entscheidung (BVerfG, 24. März 2021, 1 BvR 2656/18). Das Pariser Übereinkommen wurde als eine Konkretisierung der Staatszielbestimmung aus Art. 20 a GG anerkannt und eine Nachbesserung des Bundesklimaschutzgesetzes verlangt, so dass die Emissionsziele bis 2050 eingehalten werden. Es wurde der Begriff der „intertemporalen Freiheitssicherung“ geschaffen. Dies bedeutet, dass Klimaschutz so gestaltet werden muss, dass auch künftige Generationen in ihrer Freiheit bei effektiver Zielerreichung möglichst wenig eingeschränkt werden. Wer nun denkt, der Weg vor dem BVerfG war damit abgeschlossen und alle Fragen geklärt, hat sich geirrt. Das BVerfG wurde weiter mit dem Thema beschäftigt.

Sind die Bundesländer verpflichtet, konkrete Klimaschutzmaßnahmen durchzuführen?

Eine Vielzahl von Personen reichte beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde ein, mit dem Ziel, einzelne Bundesländer zu konkreten Klimaschutzmaßnahmen zu verpflichten (BVerfG, 18. Januar 2022, 1 BvR 1565/21). Die Verfassungsbeschwerden wurden jedoch bereits nicht zur Entscheidung angenommen.

— Gegen was können sich Verfassungsbeschwerden bzgl. des Klimaschutzes richten?

Das BVerfG hält in seinen Ausführungen, weshalb die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen werden, Folgendes fest:

„Die Grundrechte schützen davor, dass die durch das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG und die grundrechtlichen Schutzpflichten gegen Klimawandelfolgen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 14 Abs. 1 GG) aufgegebene Treibhausgasminderungslast einseitig auf spätere Zeiträume verlagert wird, wenn dies in der Zukunft zu unverhältnismäßigen Belastungen durch dann erforderliche Klimaschutzmaßnahmen führt.“

Insofern liegt bereits eine erste Einschränkung vor. Die Beschwerdeführer müssen zeigen, dass eine solche eingriffsähnliche Wirkung vorliegt, wenn der Gesetzgeber nicht ausreichend tätig wird. Dabei liegen weitere zu beachtende Punkte vor.

„Beschwerdeführende können danach mit der Verfassungsbeschwerde geltend machen, dass wegen der bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zugelassenen Menge an CO2-Emissionen anschließend binnen kurzer Zeit weitere Emissionsreduktionen in einem solchen Maße erforderlich sein werden, dass es dann zu nach heutigen Maßstäben unverhältnismäßigen Freiheitsbeschränkungen durch den Staat kommen wird. Dabei muss sich die Verfassungsbeschwerde grundsätzlich gegen die Gesamtheit der zugelassenen Emissionen richten …, weil regelmäßig nur diese, nicht aber punktuelles Tun oder Unterlassen des Staates die Reduktionlasten insgesamt unverhältnismäßig auf die Zukunft verschieben könnte.“

Dieser letzte Punkt ist wichtig. Zeigt er doch gerade auf, dass keine konkreten Maßnahmen gerichtlich verlangt oder durchgesetzt werden können, sondern der Gesetzgeber einen Spielraum innerhalb der Reduktionsziele hat, wie und mit welchen Maßnahmen er diese erreicht. Die Begründung für diesen zutreffenden Punkt, den das BVerfG nicht weiter erläutert, bietet sich aber sehr gut für die mündliche Prüfung im Examen an.

Der Gesetzgeber hat einen Umsetzungsspielraum, wenn im Rahmen des Klimaschutzes Gerichte konkrete Maßnahmen anordnen könnten, rein basierend auf Art. 20a GG und einem damit verbundenen Grundgesetz, würde ein Gesetzesvorbehalt komplett umgangen werden. Gewaltenteilung gäbe es nicht mehr, sondern die Gerichte würden entscheiden und konkrete Maßnahmen anordnen, obwohl dies dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Gerichtlich kann nur überprüft werden, ob die Reduktionsziele in ihrer Menge des Einsparenden CO2s generell so eingehalten werden, dass die Maßnahmen dazu dienen, dass künftige Generationen nicht zu sehr in ihrer Freiheit eingeschränkt werden; nicht aber welche Maßnahmen durchgeführt werden.

— Klimaschutz: Sind die Länder der richtige Adressat für eine Verfassungsbeschwerde?

Das BVerfG lässt im Übrigen offen, ob die Länder der richtige Adressat für die Forderungen sind. Mit guten Argumenten äußert es erhebliche Zweifel. Dabei kann man hier sehr gut in einer mündlichen Prüfung das Verhältnis von Bund und Ländern darstellen. So ist der Bund verpflichtet, auf Bundesebene die Vorgaben für den Klimaschutz vorzunehmen. Zwar sind die einzelnen Bundesländer in der Umsetzung einzubeziehen und müssen Maßnahmen durchführen sowie auch eigene Gesetze beschließen, ein eigenes CO2-Budget hat aber kein Bundesland.

Das Bundesgesetz, das Klimaschutzgesetz (KSG), wird aber in seiner aktuellen Fassung auch als ausreichend angesehen – diesen Punkt kann man in einer Prüfung aber sehr gut diskutieren. Das KSG legt im Übrigen die Reduktionsziele als Verpflichtung für den Gesamtstaat, nicht für einzelne Bundesländer fest. Im Übrigen ist zu beachten, dass sich auch hier wieder der Gestaltungsspielraum des Bundesgesetzgebers zeigt. Theoretisch kann er einzelnen Bundesländern ein CO2-Budget vorgeben. Er kann aber auch genauso vorgeben, dass einzelne Sektoren (Verkehr, Energie, etc.) ihren CO2-Ausstoß verringern müssen und im Rahmen seines Spielraumes entscheiden, welche Maßnahmen zielführend sind.

Somit zeigt sich, dass es gute Argumente dafür gibt, dass die Länder nicht der richtige Adressat für eine solche Verfassungsbeschwerde sind.

Die Beschwerdeführer hatten daher maßgeblich aufgrund dieser Gründe keinen Erfolg, zur Entscheidung angenommen zu werden.

Die nächste Verfassungsbeschwerde gegen das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG)

Es gab jedoch noch im Mai 2022 die nächste Verfassungsbeschwerde gegen das KSG (BVerfG, 22. Mai 2022, 1 BvR 188/22). Auch die neue Fassung des KSG, welche nach dem ursprünglichen Beschluss des BVerfG erfolgt ist, sei laut der Beschwerdeführer nicht ausreichend, um die Klimaziele zu erreichen. So sei nur eine Reduktion um 6,5% der Treibhausgase bis 2030 vorgesehen. Die Berechnungen des CO2 Budgets sei aber unter dem Pariser Übereinkommen neu erfolgt, sodass der Gesetzgeber hätte weiter tätig werden müssen-

Das BVerfG lieferte keine Begründung, weshalb es die Entscheidungen nicht annahm. Man kann daher auch nur spekulieren. Aber an dieser Stelle lassen sich für eine Prüfung im Examen natürlich spannende Fragen entwickeln. Kann z.B. per Verfassungsbeschwerde ein Tempolimit erreicht werden?

Die Antwort ist nein, da es Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers ist, wie die Klimaziele erreicht werden können. Ebenso kann man diskutieren, inwieweit der Gesetzgeber gezwungen ist, das Reduktionsziel weiter zu erhöhen. Hier ist die Eingriffsähnlichkeit zu beachten, der Gesetzgeber muss so freiheitsschonend wie möglich vorgehen, aber gleichzeitig effektiv den Klimaschutz gewährleisten.

Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

Als letztes sei festgehalten, dass die Beschwerdeführer die Durchsetzung weiterer Maßnahmen mit einer Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durchsetzen wollen. Es ist offen, wie der EGMR entscheiden wird.

Verfassungsrechtliche Klimaklagen – Abschließende Gedanken

Der Klimaschutz ist ein extrem wichtiges Ziel. Dennoch ist es richtig, dass gerichtlich keine konkreten Maßnahmen wie z.B. ein Tempolimit (so sinnvoll die einzelnen Maßnahmen auch erscheinen mögen) durchgesetzt werden können, sondern dem Gesetzgeber ein Umsetzungsspielraum gegeben werden muss. Der Gesetzgeber hat zwar dafür zu sorgen, dass die im Pariser Übereinkommen bestimmten Ziele erreicht werden müssen, kann (und muss) den Weg zur Zielerreichung aber selbst bestimmen.

Dies entspricht auch der Gewaltenteilung und der Wesentlichkeitstheorie, die besagt, dass wesentliche Entscheidungen im Parlament getroffen werden müssen. Das ist das Wesen des Rechtsstaats und der Demokratie. Es ist nicht nur eine akademische Frage, sondern von erheblicher Bedeutung für das Staatswesen. Klimaziele müssen erreicht werden, allerdings können diese nicht den demokratischen Prozess aushebeln, sondern müssen im Rahmen dessen erreicht werden. Wir sind gezwungen, auf unsere Umwelt mehr Acht zu geben und dies ist überragend wichtig – aber auf dem Weg müssen die demokratischen Prozesse gewahrt werden.

Dr. Michael Hoerdt
Autor
Dr. Michael Hördt

Dr. Michael Hördt, M.C.L. (Mannheim/ Adelaide) studierte Jura an der Universität Heidelberg mit Praktika in Zürich und Dublin. Danach erwarb er den Master of Comparative Law der Universität Mannheim und der University of Adelaide und promovierte zum Thema „Pflichtteilsrecht und EuErbVO“ an der Universität Potsdam. Sein Referendariat absolvierte er am LG Darmstadt mit Stationen in Dublin und Washington, D.C. Er war Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei in Frankfurt a.M. im Arbeitsrecht und für das Irlandgeschäft der Kanzlei zuständig. Aktuell ist er Syndikusrechtsanwalt bei Infosys Limited im Arbeitsrecht in Frankfurt a.M.