Arbeiten in der Dialyse — Meine Erfahrungen

Schwerpunktthema Gesundheit: Arbeiten in der Dialyse – Der Managing Partner einer erfolgreichen mittelständischen Sozietät schildert wie es ihm mit Dialyse im Kanzlei-Alltag geht.

Arbeiten in der Dialyse – Meine Erfahrungen

Die Lebenswelt der drei K’s kann ganz anderes aussehen als „Kinder, Küche, Kirche“ einerseits – oder „Konkurrenz, Karriere, Kollaps“ andererseits. Der Managing Partner einer sehr erfolgreichen mittelständischen Sozietät schildert, wie er es trotz massiver gesundheitlicher Beeinträchtigungen geschafft hat, dass es heute ihm und der Kanzlei gut geht.

Meine Ausgangssituation: Terminale Niereninsuffizienz

Ich kann mich noch genau erinnern. Damals – im Januar 2010 – trat ich in das Behandlungszimmer meiner Nephrologin ein. Sie schaute mich nur kurz an und sagte: „Ich glaube, jetzt ist es soweit! Sie haben eine terminale Niereninsuffizienz. Ich bereite alles vor, damit Sie gleich morgen mit der Dialyse beginnen können.“ Ich konnte es kaum glauben. Noch fühlte ich mich – na ja, einigermaßen – gut. Doch es wurde ernst, ich würde eine Transplantation benötigen.

Die Reaktion der Familie

Als ich meiner Frau diese Nachricht überbrachte, sagte sie nicht viel und verschwand an den Computer. Kurze Zeit später kam sie zurück und meinte nur: „Also, ich würde es machen!“ Nicht mehr und nicht weniger. Doch diese Aussage gab mir eine ungeheure Kraft und Zuversicht.

Wir hatten zudem einen riesigen Vorteil: Wir konnten  die Transplantation planen.  Eine Lebendspende erfordert umfassende Vorbereitungen seitens der Mediziner. Die Risiken für meine Frau sollten weitgehend gemindert werden. Die OP war daher für Anfang September angesetzt worden.

Dialyse und Laptop

Nun musste ich dreimal wöchentlich zur künstlichen Blutwäsche, morgens von 7 Uhr bis 13 Uhr. Ich war in guter Stimmung, wusste ich doch, welches Glück und welche Chancen ich hatte. Mein Körper war relativ jung und relativ gesund. Auch bei der Dialyse arbeitete ich – am Laptop, während meine Mitpatienten oft teilnahmslos die Behandlung über sich ergehen ließen oder uninteressiert Fernsehserien verfolgten.

Mir war das Risiko einer terminalen Niereninsuffizienz seit Jahren bewusst. Deshalb hatte ich die Kanzlei schon seit langem vorbereitet und entsprechend umstrukturiert.

Da ich erst mit der Dialyse angefangen hatte, war ich im Vergleich zu allen anderen in körperlich gutem Zustand. Wir fuhren in den Urlaub, mit Dialyse vor Ort, und alles schien machbar zu sein. Schleichend jedoch nahmen meine Kräfte ab. Es gab Tage, da brauchte ich Stunden, um mich von der Blutwäsche zu erholen.

Situation in der Kanzlei

Ich war Notar sowie Fachanwalt für Erbrecht und Familienrecht und arbeitete Vollzeit. Meine angestellte Kollegin war ebenfalls Fachanwältin für Erbrecht und Familienrecht in Vollzeit. Mein Notarkollege stand kurz vor der Pensionierung und bearbeitete praktisch nur Notarmandate. Wir beschäftigten zehn Mitarbeiter*innen.

Mein Vater, der Kanzleigründer, hatte sich bereits vor zwei Jahren aus dem aktiven Kanzleibetrieb verabschiedet. In der Kanzlei war schon lange bekannt, dass ich Risikopatient war. Niemand war also überrascht, als ich mitteilte, wie mein Zustand war und was mich erwartete.

Verunsicherung der Mitarbeiter

Gleichzeitig spürte ich eine gewisse Angst der Mitarbeiter. Wie sollte es weitergehen? Wie lange werde ich wegbleiben? Wie wird der Arbeitsaufwand bewältigt? Ich blieb in dieser Zeit optimistisch und aktiv. Fast euphorisch führte ich weiter Mandantengespräche und nahm Gerichtstermine wahr. Die Mitarbeiterinnen mussten die ständigen Terminausfälle oder -verschiebungen wegen meiner Krankheit den Mandanten nahebringen. Dadurch konnten sie sich nicht voll auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren.

Spezialisieren wir uns!

Ich kann nur noch einmal betonen, welchen großen Vorteil wir hatten, dass meine Krankheit planbar war. Kolleg*innen, die plötzlich erkranken, haben viel größere Aufgaben zu bewältigen. Mir war hingegen das Risiko einer terminalen Niereninsuffizienz seit Jahren bewusst. Deshalb hatte ich die Kanzlei schon seit Langem vorbereitet und entsprechend umstrukturiert: Waren wir ursprünglich eine zivilrechtliche Allgemeinkanzlei, so verfolgte ich das Ziel einer Spezialisierung. Nicht nur in dem Sinne, dass jeder Kollege eine – unterschiedliche – Spezialisierung aufweist, sondern ich wollte die gesamte Kanzlei auf Erbrecht und Familienrecht spezialisieren. 

Urlaub, Dialyse und Laptop – alles schien machbar.

Das bedurfte vielfältiger Überzeugungsarbeit. Die Kollegin war mit ganzem Herzen Arbeitsrechtlerin. Nun sollte sie einen dritten Fachanwaltstitel erwerben: Erbrecht. Das Konzept dahinter war, die Mandanten auf spezialisiertem Niveau zu betreuen, egal welcher Kollege das Gespräch führt. Als Nebeneffekt spezialisierten sich auch unsere Mitarbeiterinnen. Diese arbeiteten in unserer Kanzlei ohnehin sehr eigenständig. Im Zuge der Spezialisierung erlangten sie Kenntnisse, die weit über das Übliche hinausgehen. Auf dieser Basis konnten wir aufbauen.

Reorganisieren wir uns!

Wir entschieden uns, die Kanzlei für zwei Tage zu schließen und in Klausur zu gehen. Mit einer Trainerin besprachen wir unser Thema: Wie schaffen wir es, meinen vorhersehbaren Ausfall über Monate zu bewältigen? Wir bearbeiteten unsere Organisationsstrukturen intensiv, dadurch konnten wir einige Prozesse verschlanken.

Der Kollege, der kurz vor der Rente stand, war bereit, seine Zeit aufzustocken, um einen Teil meiner Beurkundungen zu übernehmen. Mein Vater ließ sich mit Freude reaktivieren, er war mein Notarvertreter. Die Kollegin fing die Anwaltsmandate auf. Alle Mitarbeiter*innen waren – auch durch die Klausurtagung – hoch motiviert und engagiert. Wir wuchsen vor dem Hintergrund der gemeinsamen Aufgabe als Team zusammen. 

Sprechen wir offen!

Lebhaft wurde darüber diskutiert, welche Sprachregelung wir wählen sollten. Einstimmig entschieden wir, die Situation offen zu kommunizieren. Dabei arbeiteten wir die positiven Seiten der Organspende heraus und die Stärken unserer spezialisierten Kanzlei. Über Wochen schrieben wir unter jeden Brief die sorgfältig formulierte Botschaft. Schwierig war die Situation am Telefon, denn dort konnte man keine festen Formulierungen verwenden.

Hier war eine häufige Aufgabe, den Mandanten zu überzeugen, dass ihr Mandant zumindest eine Weile nicht von ihrem vertrauten Anwalt bearbeitet wird, sondern von der Kollegin und den Kollegen. Hauptargumente waren hier die Spezialisierung und die Tatsache, dass im Übrigen hohe Kontinuität in der Kanzlei herrscht (z. B. unser langjähriges Personal). Die Mitarbeiterinnen haben dafür ein intensives Telefontraining absolviert. Die Mandanten haben diesen Wechsel akzeptiert und fühlten sich gut aufgehoben. 

Misslungene Kommunikation

Es kann aber auch anders gehen: Zu gleicher Zeit erkrankte ein Kollege von mir schwer an Krebs. In dieser Kanzlei mit zwei Anwälten gab es offenbar keine Sprachregelung. Bei meinen mehrfachen Anrufen konnte mir – auch nach Wochen – keine der Mitarbeiter*innen sagen, wie es mit der Mandatsbearbeitung in der Kanzlei weiterging.

Es wurde nicht einmal mitgeteilt, dass der Kollege erkrankt sei. Den Mitarbeiter*innen war es offenbar verboten, darüber zu sprechen, und entsprechend unsicher war deren Kommunikation. Die Angst des Kollegen, bei Offenbarung seiner Krankheit Mandate zu verlieren, ist nachvollziehbar und vielleicht auch nicht ganz unberechtigt.

Und dann: ein Traummandat

Dem Tapferen hilft das Glück. Tatsächlich bekam ich im Frühjahr ein Traummandat, wie zugeschnitten auf unsere Situation. In der Angelegenheit mit hohem Streitwert und ohne großen Termindruck (!) konnten sehr viele Aufgaben von einer erfahrenen Mitarbeiterin erledigt werden. Ich konnte wesentlich erleichterter den Krankenhausaufenthalt angehen, da ich wusste, dass die Löhne der Mitarbeiter*innen auf jeden Fall gesichert waren.

Die OP-Vorbereitung

An einem Donnerstag im August 2010 war mein letzter Arbeitstag. Die wenigen Meter vom Parkplatz zur Kanzlei konnte ich kaum mehr laufen, so schwach war ich. Am Schreibtisch machte ich einen anderen Eindruck. Ich arbeite an diesem Nachmittag, als wäre nichts geschehen. Im Wesentlichen war es übliche Dezernatsarbeit, keine besonderen Mandate in letzter Sekunde, keine Hektik. Ich wunderte mich selbst über meine Unaufgeregtheit angesichts der Situation.

Das Besondere an der Nierenspende durch meine Frau war die Tatsache, dass wir beide für etliche Tage im Krankenhaus waren. Wir hatten unser Testament überarbeitet, Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen wurden neu gefasst. In der Kanzlei hatte ich Vertretungsregelungen für Banken und für den allgemeinen Geschäftsbetrieb geregelt, auch Passwörter weitergegeben sowie den Tresorschlüssel. Dann verabschiedete ich mich und ging nach Hause.

Operation und Rekonvaleszenz

Die Operation war ein voller Erfolg. Die Nierenspende meiner Frau und meine positive Einstellung haben sicher dazu beigetragen. Und dennoch kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren. Kurz vor meiner Entlassung forderten die starken Medikamente ihren Tribut. Ich erlitt einen lebensgefährlichen Magendurchbruch und musste noch weitere drei Wochen in der Klinik bleiben.

Erst im Dezember konnte ich – sehr langsam – wieder in das Berufsleben einsteigen. Stundenweise arbeitete ich, bis ich schließlich Frühjahr 2011 wieder einsatzfähig war. Meiner Frau hatte ich das Versprechen gegeben, ihr Geschenk wertzuschätzen, indem ich nicht mehr so viel arbeite. Mittwochvormittags und freitags gehe ich daher nicht mehr in die Kanzlei.

Fazit nach zehn Jahren

Mir geht es gut. Ich bin weiterhin als Anwalt und Notar tätig – mit etwa 70 % in Teilzeit. Oft allerdings bin ich im Konflikt, wenn viel Arbeit anfällt und ich der Versuchung widerstehen muss, doch mehr zu arbeiten. In unserer Situation war die langfristige Strategie einer Spezialisierung der Kanzlei als Ganzes richtig und wesentlicher Faktor für die erfolgreiche Bewältigung der schwierigen Situation.

Die offene Kommunikation der Situation gegenüber den Mandanten hat sich ebenfalls als richtig erwiesen. Die Einbindung einer professionellen Trainerin/Coach war nicht nur eine gute, sondern sogar eine notwendige Investition. Mein Rat: Sorgen Sie dafür, dass Sie alle notwendigen Themen geklärt haben: Testament, Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, Passwortliste… etc.

Übernehmen Sie die Verantwortung.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Juracon Jahrbuch 2020

Dr. Mathias Schaefer
Autor
Dr. Mathias Schäfer

Mathias Schäfer ist Rechtsanwalt und Notar in Limburg / Lahn