Dissertation zur Krisenresilienz im Finanzrecht – Interview mit Baker-McKenzie-Preisträger Dr. Kevin Hinzen

Dr. Kevin Hinzen erhält den Preis für seine Dissertation “Fiskalresilienz im Budgetparlamentarismus – Krisenreaktionsphänomene im deutschen und europäischen Recht der öffentlichen Finanzen“. 

Dr. Kevin Hinzen erhält Auszeichnung für Dissertation zur Krisenresilienz im Finanzrecht

Dr. Kevin Hinzen erhält den Preis für seine Dissertation “Fiskalresilienz im Budgetparlamentarismus – Krisenreaktionsphänomene im deutschen und europäischen Recht der öffentlichen Finanzen“. “Die Umwälzungen in den öffentlichen Finanzen der letzten eineinhalb Jahrzehnte werfen regelmäßig Schlaglichter auf den Nutzen von Fiskalregeln und gleichzeitig auf die damit verbundenen Schwierigkeiten. Die große Stärke von Kevin Hinzens Arbeit und deren Beitrag zur rechtswissenschaftlichen Forschung sehe ich darin, dass sie umfassend das Phänomen der Flexibilisierung im öffentlichen Finanzrecht untersucht“, so der Betreuer der Arbeit, Prof. Dr. Matthias Goldmann. Für die Weiterentwicklung des europäischen Finanzrechts liefere das Werk wichtige Impulse.

Herr Dr. Hinzen, herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung! Wie sind Sie auf das Thema Ihrer Dissertation gekommen und was hat Ihr Interesse am öffentlichen Finanzrecht – insbesondere an Fragen der Krisenresilienz – geweckt, ein Ereignis oder eine Entwicklung vielleicht?

Herzlichen Dank! Im dritten Studiensemester durfte ich mein juristisches Verwaltungspraktikum in der Haushaltsabteilung des Bundesministeriums der Finanzen absolvieren. Ein Schlüsselerlebnis war, den damaligen, für die Haushaltspolitik zuständigen Staatssekretär zu einer Sitzung des Haushaltsausschusses des Bundestages zu begleiten, in der es um Maßnahmen zur Stabilisierung der Eurozone in der Staatsschuldenkrise ging.

Mich hat damals nachhaltig fasziniert, wie in der Arbeit der Bundestagsausschüsse Ministerialverwaltung und Parlament interagieren. Es kam und kommt entscheidend darauf an, dass die in Krisensituationen innerhalb weniger Stunden zu treffenden Entscheidungen der Exekutive ausreichend an das Parlament rückgebunden und ihm gegenüber demokratisch verantwortet werden können. Das fand ich spannend.

Wollten Sie schon immer promovieren oder hat sich dieser Wunsch erst im Lauf Ihres Studiums oder Referendariats entwickelt?

„Schon immer“ ist vielleicht etwas zu weit gegriffen. Der Wunsch, mich eine längere Zeit mit bestimmten Rechtsfragen zu beschäftigen, diese wissenschaftlich vertieft aufzubohren und selbst einzuordnen, kam im Studium auf, das sich ja überwiegend auf das Schreiben von Klausuren fokussiert. Vor meinem Studium wusste ich auch nicht, was eine Promotion im juristischen Bereich genau erfordert und was dafür erwartet wird. Bei Freunden aus höheren Semestern konnte ich beobachten, welcher Weg bei der Erstellung einer Doktorarbeit zu gehen ist.

Sie beschäftigen sich mit Haushalts- und Fiskalregeln – ein Thema, das viele auf den ersten Blick für unattraktiv halten würden, warum?

Das Haushaltsrecht bzw. Haushalts- und Finanzverfassungsrecht bildet ein Scharnier für mehrere Systeme unserer Gesellschaft: Recht, Wirtschaft und Politik. Die Rechtsvorschriften zur Bewilligung von Ausgaben sind z.B. durch sehr alte Rechtsnormen der Preußischen Verfassung von 1920 geprägt und dadurch dogmatisch und rechtshistorisch interessant. Wer sich zudem für ökonomische Bewertungen und Modellierungen interessiert, kann sich vielleicht interdisziplinär für das Recht der öffentlichen Finanzen begeistern. Denn die Rechtsvorschriften zur Staatsverschuldung beziehen sich auch auf ökonomische Begriffe. Und schließlich betrifft das Budgetrecht als „Königsrecht“ des Parlaments grundlegende Fragen der Verfassungslehre. Daher ist es für alle spannend, die sich mit dem Verhältnis von Recht und Politik in staatsorganisatorischer Hinsicht beschäftigen wollen.

Mit welchen Erwartungen sind Sie an Ihre Dissertation herangegangen?

Meine Erwartung war, dass ich nach zwei Jahren ein bewertungsreifes Manuskript abgeben könnte. Wie es aber so ist, kam es ein wenig anders als geplant. Zwei Absagen von Stiftungen, bei denen ich mich um Finanzierungen bewarb, sowie Änderungen beim Zuschnitt des Themas und der Forschungsfrage haben zu Verzögerungen geführt. Nicht zuletzt hatte die Corona-Krise erhebliche Auswirkungen auf den Verlauf meiner Forschung: Geschlossene Bibliotheken und ein pandemiebedingt erst später erfolgter Forschungsaufenthalt am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz haben meine Planungen gehörig durcheinandergewirbelt.

Wie leicht oder schwer fiel es Ihnen, sich in ein so komplexes und interdisziplinär geprägtes Thema einzuarbeiten?

Man entwirft ein Forschungsprojekt in der Regel nicht detailliert am Anfang auf dem Reißbrett und schreibt es über mehrere Jahre hinweg herunter. Der Erkenntnisgewinn steht jedoch auch nicht erst am Ende eines mehrjährigen reinen Leseprozesses der einschlägigen Literatur. Die Forschungsfrage war bei mir jedenfalls immer im Fluss und hat sich im Verlauf ständig gewandelt.

Die Idee, das Thema des Haushaltsrechts unter den Stichworten von „Krisenreaktionsfähigkeit“ und „Resilienz“ zu fassen, kam z.B. erst nach ca. zwei Jahren während der Corona-Pandemie. Rückblickend ist das Thema möglicherweise auch zu groß angelegt gewesen. Es hätte wohl ausgereicht, sich ausschließlich auf die nationale bzw. europäische Ebene zu fokussieren. Angehenden Doktorandinnen und Doktoranden gebe ich den Tipp, sich über den Umfang der Doktorarbeit früh klar zu werden.

Inwiefern hat sich die Corona-Pandemie oder auch die europäische Staatsschuldenkrise in Ihre Analyse eingeschrieben?

Das hängt eng mit der erwähnten Corona-Pandemie zusammen. Während dieser Zeit wurden erstmals fast alle fiskalischen Krisenreaktionsinstrumente aktiviert oder zumindest in die Diskussion gebracht: die diskutierte Einführung eines „Corona-Solis“ und einer einmaligen Vermögensabgabe; die tatsächlich realisierten nationalen Staatsverschuldungsprogramme; die Ausnahme von den europäischen Fiskalregeln; die Einrichtung eines 750 Milliarden. Euro-Fonds auf EU-Ebene. Während der Corona-Krise habe ich die Struktur der Arbeit noch einmal fast gänzlich umgeworfen.

Gab es während Ihrer Forschung besondere Herausforderungen – z. B. bei der Einordnung europäischer Entwicklungen oder beim Umgang mit wechselnden politischen Rahmenbedingungen?

Die Reaktion der Europäischen Union auf die Corona-Pandemie war insofern herausfordernd, als die politischen Entwicklungen schnelllebig waren, es keine oder nur wenig Literatur zu den Themen gab und die vorhandene Literatur in den Bibliotheken zu dem Zeitpunkt nur erschwert erhältlich war, weil die Bibliotheken geschlossen waren. Meine Untersuchungen waren aber selbst nicht von wechselnden politischen Rahmenbedingungen beeinflusst oder abhängig. Dann wäre wahrscheinlich auch die Forschungsfrage falsch ausgewählt.

Können Sie uns einige Ihrer wichtigsten Ergebnisse oder Thesen in verständlicher Weise zusammenfassen?

Ausgehend vom Begriff der Resilienz untersuche ich den Bereich der Haushalts- und Finanzpolitik. Ziel der Arbeit ist es, die Krisenmomente, mit denen der Staat in den vergangenen Jahren in politischer und ökonomischer Hinsicht konfrontiert gewesen ist – z.B. die Staatsschuldenkrise, die Corona-Krise und zum Teil auch die durch den Ukraine-Krieg erforderlich gewordenen Hilfen – rechtlich zu analysieren, das staatliche Instrumentarium für Krisenreaktion in den Blick zu nehmen und daraus ein normatives Konzept von Fiskalresilienz zu entwickeln. Dabei greife ich u.a. auch das berühmte „Haushaltsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts aus November 2023 auf. Dieses zeigte, dass das Haushaltsverfassungsrecht kein Recht minderen Ranges ist. Auch in der Krise kann fiskalische Flexibilität nicht fiskalische Beliebigkeit bedeuten.

Gibt es Bereiche, in denen Sie sich eine rechtspolitische Weiterentwicklung besonders wünschen?

Ich werde mit Spannung beobachten, ob und wie sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur sog. „haushaltspolitischen Gesamtverantwortung“ entwickeln wird. Mit diesem Begriff schreibt das Gericht dem Deutschen Bundestag das Budgetrecht als zentralen Schutzbereich nationaler Identität und als zentrales Element der demokratischen Willensbildung zu. Dem Deutschen Bundestag müssen – so die Vorgabe – stets Aufgaben und Befugnisse von substanziellem Gewicht verbleiben.

Ausgeschlossen sind hoheitliche Übertragungsakte, die der Einräumung einer Generalermächtigung gleichkommen. Die Bundesrepublik darf sich auf EU-Ebene zudem nicht einem unüberschaubaren, in seinem Selbstlauf nicht mehr steuerbaren ‚Automatismus‘ unterwerfen, d.h. keine automatischen Gewährleistungs- und Zahlungsverpflichtungen eingehen, die nicht vom Bundestag beschlossen worden sind. Es bleibt spannend, welche Anwendungsfälle sich für diese Rechtsprechungslinie künftig ergeben werden.

Was würden Sie Studierenden raten, die mit dem Gedanken spielen, eine Dissertation zu schreiben – gerade in einem komplexen und politisch aufgeladenen Rechtsgebiet wie dem Finanzverfassungsrecht?

Ich empfehle, eine Forschungsfrage zu suchen, die sich nicht darin erschöpft, zu sagen, ob etwas rechtmäßig oder unrechtmäßig ist, d.h. im Ergebnis ein Rechtsgutachten zu schreiben. Vielmehr sollte es darum gehen, Prinzipien oder Strukturen herauszuarbeiten. Das macht ein solches Forschungsprojekt, das sich in der Regel über mehrere Jahre erstreckt, zudem weniger anfällig für (rechts-)politische Entwicklungen, die die Forschungsfrage „überholen“ könnten.

Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung – persönlich und mit Blick auf Ihre weitere akademische oder berufliche Laufbahn?

Ich fühle mich sehr geehrt, den Preis zu erhalten. Er motiviert mich auch dazu, meine Forschungen auf dem Gebiet des deutschen und europäischen Rechts der öffentlichen Finanzen nebenberuflich weiterzuverfolgen. An Rechtsfragen im Bereich des deutschen Haushalts- bzw. Finanzverfassungsrechts oder solchen der EU-Finanzen mangelt es jedenfalls nicht.

Kevin Hinzen
Autor
Dr. Kevin Hinzen
Dr. Kevin Hinzen hat an der Goethe-Universität Frankfurt Rechtswissenschaften studiert und ist Referent im Bundesministerium der Finanzen, Abteilung Europapolitik & Internationale Finanzpolitik.

 

Über Baker McKenzie

Als eine der führenden deutschen Anwaltskanzleien berät Baker McKenzie nationale und internationale Unternehmen und Institutionen auf allen Gebieten des Wirtschaftsrechts. In Deutschland vertreten rund 200 Anwält:innen mit ausgewiesener fachlicher Expertise und internationaler Erfahrung die Interessen ihrer Mandant:innen an den Standorten Berlin, Düsseldorf, Frankfurt/Main und München. Baker McKenzie ist regelmäßig auf den Karrieremessen von IQB und Myjobfair vertreten.