Sind Crowdworker Arbeitnehmer?

Crowdworking und Arbeitsrecht: Sind Crowdworker Arbeitnehmer? Wir beleuchten die aktuellen Herausforderungen und Stand der Rechtsprechung.

Sind Crowdworker Arbeitnehmer?

Die Digitalisierung bringt zahlreiche neue Geschäftsmodelle hervor. Neue Geschäftsmodelle bedeuten allerdings auch zunehmend neue Herausforderungen für das Recht und seine Systematik.

Eine der neuen Organisationsformen von Arbeit, die in das herkömmliche Schema der Vertragstypen nur schwer einzuordnen ist, ist das Crowdsourcing oder Crowdworking.

Sind Crowdworker rechtlich als Subunternehmer oder als Arbeitnehmer einzuordnen? Wie blickt die Rechtsprechung auf das Crowdworking? Und welche Herausforderungen können uns in diesem Zusammenhang in der Examensklausur begegnen?

Wir sehen uns im heutigen Artikel den aktuellen Stand der Rechtsprechung an und arbeiten einige argumentative Ansätze zur Einordnung von Crowdworking im Vertragsrecht heraus.

Was sind Crowdworker?

Crowdworker erbringen Leistungen, die im Regelfall über zentrale Plattformen vermittelt werden. Das Unternehmen stellt eine Plattform zur Verfügung, auf welcher sich sowohl Crowdworker als auch Kunden registrieren und dann dementsprechend Leistungen anbieten oder nachfragen können. Üblich ist es hierbei, dass die Zuteilung und Vergütung der Aufträge zentral über den Plattformanbieter abgewickelt wird, der Kunde den Crowdworker also nicht direkt bezahlt.

Zudem sind auch die Arbeitsabläufe und Kontrollstrukturen je nach Plattform mehr oder weniger einheitlich. Die Plattformökonomie, die sich des Crowdworkings bedient, existiert sowohl für den B2C-Bereich (Beispiel: Lebensmittellieferdienst) als auch den B2B-Bereich (Beispiel: Clickworking zur Datenaufbereitung). Vermittlung und Zahlungsabwicklung sind dabei allerdings im Regelfall sehr ähnlich organisiert.

Wie viele Crowdworker gibt es in Deutschland?

Die genaue Anzahl der Crowdworker ist aufgrund der nicht ganz eindeutigen Definition schwierig zu erfassen. Nach einer Studie des Bundesministeriums für Arbeit beziehen in Deutschland etwa 3 Millionen Personen einen signifikanten Anteil ihres Einkommens über Plattformen, deren Geschäftsmodell auf Crowdworking aufbaut. [1] Die rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Crowdworking haben insofern erhebliche Praxisrelevanz.

Statista Grafik: Wo Crowdworking zum Einsatz kommen kann.

Einsatzmöglichkeiten für Crowdworking: Statista

Wie blickt die Rechtsprechung auf Crowdworking?

Da Crowdworking nicht nur technisch, sondern auch rechtlich sehr unterschiedlich strukturiert sein kann, kann die Abgrenzung zwischen einem Arbeitsverhältnis und einem freien Dienstleistungsverhältnis im Einzelfall sehr schwierig sein.

Die allgemeinen Kriterien der Abgrenzung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Beschäftigung im Hinblick auf das Sozialversicherungsrecht sind komplex. Der Fall des Crowdworking wirft zusätzlich noch einige speziellere Rechtsfragen auf.

Grundsätzlich ist es möglich, dass Crowdworker Arbeitnehmer sein können. Dies hat das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 01.12.2020 (Az. 9 AZR 102/20) festgestellt. Die Begründung des Urteils lässt einige zentrale Kriterien zur Beurteilung des Crowdworking-Verhältnisses erkennen. [2]

Merke: Bei der Prüfung eines Arbeitsverhältnisses muss immer beachtet werden, ob die Normen des Arbeitsrechtes oder des Sozialversicherungsrechtes streitentscheidend sind. Die Fallgruppen “abhängig beschäftigte Personen” (SGB) und “Arbeitnehmer” (BGB) sind zwar faktisch weitgehend deckungsgleich, dürfen aber nicht synonym verwendet werden, da die konkreten Rechtsfolgen unterschiedlich sind. Da in Gerichtsurteilen über ein bestimmtes Klagebegehren entschieden wird, muss die anzuwendende Norm anhand ihrer Rechtsfolgen bestimmt werden: Wird beispielsweise Kündigungsschutz geltend gemacht, ist das BGB anwendbar, da der Kündigungsschutz hier zu den möglichen Rechtsfolgen gehört.

Urteil des BAG zum Arbeitnehmerstatus eines Crowdworkers

Sachverhalt

Der moderne Arbeitsmarkt: Crowdworker als Auftragnehmer im digitalen Zeitalter

Der Kläger im Hauptsacheverfahren war ein Auftragnehmer bzw. Crowdworker, der auf einer Internetplattform der Beklagten registriert war. Über diese Plattform wurden den Crowdworkern Aufgaben angeboten, welche die Beklagte für ihre Kunden (andere Unternehmen) übernommen hatte. Die Aufgaben hatten dabei jeweils eine klar definierte Zielsetzung und waren innerhalb eines kurzen zeitlichen Rahmens zu erledigen.

Sobald ein Nachweis über die Erledigung vorlag, wurde dem Crowdworker ein zuvor für die Aufgabe ausgeschriebenes Guthaben gutgeschrieben. Dieses Guthaben vermittelte dem Auftragnehmer neben einem Auszahlungsanspruch in Geld auch sogenannte Erfahrungspunkte, durch deren Ansammeln er mehr und lukrativere Aufträge auf der Plattform erhalten konnte.

Kündigungsstreit im Crowdworking: Arbeitsverhältnis nach § 611a BGB – Ein Fallbericht

In § 1 der Nutzungsbedingungen der Plattform wurde ausdrücklich festgelegt, dass der Crowdworker unter keinen Umständen verpflichtet ist, Aufträge anzunehmen. Zudem agierte der Auftragnehmer ausdrücklich weisungsfrei und ohne Bindung an Arbeitszeiten oder Arbeitsorte. Konkrete Pflichten entstanden lediglich im Hinblick auf einzelne angenommene Aufträge. Umgekehrt bestand keine Pflicht der Auftraggeberin, Aufträge anzubieten.

Die Geschäftsführung der Auftraggeberin teilte dem Auftragnehmer am 10.04.2018 per E-Mail mit, dass er keine weiteren Aufträge erhalten werde und sein Account nach Auszahlung des verbleibenden Guthabens deaktiviert werde. Der Auftragnehmer vertrat die Ansicht, dass diese Kündigung nach den Regeln des Arbeitsrechtes erfolgen müsse und in der elektronischen Form somit unwirksam sei.

Zudem stünde ihm noch bezahlter Urlaub nach §§ 1, 3 BUrlG sowie eine Vergütung für die zu Unrecht entgangenen Aufträge zu. All dies folge aus der Tatsache, dass zwischen ihm und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis im Sinne von § 611a BGB zustande gekommen sei. Mit der Klageerhebung vor dem Arbeitsgericht begehrt der Auftragnehmer die Feststellung des Arbeitsverhältnisses und verfolgt die entsprechenden arbeitsrechtlichen Ansprüche.

Problemstellung: Crowdworking und Arbeitsverträge: Eine Analyse der Weisungsgebundenheit gemäß § 611a BGB

Voraussetzung für den Anspruch auf bezahlten Urlaub sowie die weiteren geltend gemachten Ansprüche ist das Vorliegen eines Arbeitsvertrages gemäß § 611a BGB. Ein Arbeitsverhältnis ist dadurch gekennzeichnet, dass eine der Parteien (der Arbeitnehmer) sich zur fremdbestimmten, weisungsgebundenen Verrichtung von Aufgaben gegen Zahlung eines Entgeltes verpflichtet.

Streitig ist im hier vorliegenden Fall, ob die Vereinbarungen zwischen Crowdworker und Plattformbetreiberin ein solches fremdbestimmtes Verhältnis darstellen. Dagegen spricht, dass der Crowdworker nicht verpflichtet ist, Aufträge anzunehmen.

Er kann also nach eigenem Ermessen kurz- oder langfristig ohne Arbeit und ohne Vergütung verbleiben. Nimmt er allerdings einen speziellen Auftrag an, so ist er hinsichtlich des Zeitplanes und der Art und Weise der Durchführung strikt weisungsgebunden und umfassend rechenschaftspflichtig. Während der Verrichtung von Aufgaben liegt somit das Merkmal der Weisungsgebundenheit vor.

Begründung

Im vorliegenden Fall ist die Weisungsgebundenheit im Rahmen der einzelnen Aufträge entscheidend. Ein Arbeitsverhältnis setzt eben nicht die dauerhafte, langfristige und unterbrechungsfreie Beschäftigung voraus, sondern knüpft an die Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmung an. Unterbrechungen der Tätigkeit und der dafür zustehenden Vergütung sprechen nicht gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses.

Begründung des BAG

“Es kann, muss aber nicht gleichermaßen Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Nur wenn jedwede Weisungsgebundenheit fehlt, liegt idR kein Arbeitsverhältnis vor.”

Dies bedeutet, dass bereits bei einer teilweisen Weisungsgebundenheit im Zweifelsfall ein Arbeitsverhältnis anzunehmen ist. Für den Fall des Crowdworkers bedeutet dies: Wenn einzelne, freiwillig angenommene Aufträge weisungsgebunden durchgeführt werden, genügt dies, um das Vertragsverhältnis als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren.

BAG zum Kriterium der Fremdbestimmung

“Sie zeigt sich insbesondere in der Eingliederung des Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers”

Wichtiger als die ununterbrochene Leistungsausführung ist also die organisatorische Komponente: Ist der Auftragnehmer so in die organisatorische Struktur des Auftraggebers eingebunden, dass jederzeit die Möglichkeit bestünde, auf seine Arbeitskraft zuzugreifen, spricht dies für ein fremdbestimmtes Arbeitsverhältnis. Das BAG führt hier auch das System der Erfahrungspunkte ins Feld: Das beschriebene Level-System würde die Crowdworker dahingehend beeinflussen, dass die zur regelmäßigen Annahme von Aufträgen motiviert würden, um in der Struktur der Plattform zu bestehen.

Analog dürften im Regelfall auch Bewertungssysteme zu sehen sein: können einzelne Crowdworker auf einer Plattform Rezensionen für ihre Auftragserfüllung sammeln, so motiviert sie dies zur regelmäßigen Annahme von Aufträgen, da sie so innerhalb der von der Plattform vorgegebenen Struktur vorankommen.

Fazit — „BAG und die Plattform-Ökonomie: Eine Neubewertung des Arbeitsverhältnisses von Crowdworkern in Deutschland

Der Fall ist dahingehend spannend, dass er das typische Bild des Arbeitsvertrages in ein neues Licht rückt: Die kontinuierliche, ununterbrochene Arbeitsausübung wird häufig intuitiv als zentraler Indikator für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses herangezogen. Das BAG stellt allerdings fest, dass es vielmehr auf die Art der Einbindung in eine vorgegebene Struktur ankommt. Eine starke, standardisierte Einbindung sowie integrierte Belohnungssysteme geben der Arbeit eines Crowdworkers eine stark fremdbestimmte Prägung.

Dies spricht dafür, dass die Crowdworker der meisten derzeit relevanten Plattformen als Arbeitnehmer einzustufen sein dürften. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Auffassung des BAG als ständige Rechtsprechung etabliert und wie sich dies auf die Praxis der Plattform-Ökonomie in Deutschland auswirken wird. In jedem Fall beleuchtet der Fall einige sehr spezielle Aspekte des Arbeitsrechtes, die einem auch im Staatsexamen begegnen könnten.

Tobias NIelsen - Autor im IQB Karrieremagazin
Autor
Tobias Nielsen

Tobias Nielsen studiert Rechtswissenschaften und Digital Humanities mit Fokus auf Legal Tech und Digitalisierung rechtlicher Vorgänge im wirtschaftlichen Kontext in Göttingen. Er ist Gründer und Chefredakteur des Wirtschaftsrechts-Blogs Unternehmensrecht Aktuell sowie Mitbegründer und CEO des Legal Tech-Startups IdeaJuris. Neben seinem Studium berät er Unternehmen in allen Fragen der Digitalisierung rechtlicher Vorgänge und der Erstellung und Vermarktung digitaler Produkte.

Das Wichtigste in Kürze – Sind Crowdworker Arbeitnehmer?

  • Die Digitalisierung bringt neue Geschäftsmodelle hervor, wie das Crowdsourcing oder Crowdworking, was rechtliche Herausforderungen mit sich bringt.
  • Crowdworker erbringen Leistungen über Plattformen, bei denen die Zuteilung und Vergütung der Aufträge zentral abgewickelt werden.
  • Die genaue Anzahl der Crowdworker in Deutschland ist schwer zu erfassen, aber es wird geschätzt, dass etwa 2,7 Millionen Menschen ihr Einkommen über Crowdworking-Plattformen beziehen.
  • Die rechtliche Einordnung von Crowdworking als Arbeitsverhältnis oder freier Dienstleistung ist komplex und umstritten.
  • Die Rechtsprechung betrachtet die Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation als entscheidende Kriterien zur Abgrenzung.
  • Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil festgestellt, dass Crowdworker Arbeitnehmer sein können, wenn sie in die Plattformstruktur eingebunden und weisungsgebunden sind.
  • Die kontinuierliche Arbeitsausübung ist nicht entscheidend, die Art der Einbindung in die Plattformstruktur ist maßgeblich.
  • Plattform-Ökonomie und Bewertungssysteme können die Arbeit von Crowdworkern stark fremdbestimmt prägen und somit als Indikatoren für ein Arbeitsverhältnis dienen.
  • Die rechtliche Einordnung von Crowdworking kann erhebliche Auswirkungen auf die Plattform-Ökonomie in Deutschland haben.
  • Es bleibt abzuwarten, wie sich die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsprechung etabliert und welche Konsequenzen dies für die Praxis der Plattform-Ökonomie haben wird.

FAQs – Sind Crowdworker Arbeitnehmer?

Crowdworker erbringen Leistungen über zentrale Plattformen, auf denen sie Aufträge von Kunden annehmen und erledigen können.

Die Zuteilung und Vergütung der Aufträge wird zentral über den Plattformanbieter abgewickelt, und der Kunde bezahlt den Crowdworker nicht direkt.

Crowdworking ist eine neue Organisationsform von Arbeit, die sich nur schwer in das herkömmliche Schema der Vertragstypen einordnen lässt.

Die genaue Anzahl der Crowdworker in Deutschland ist schwer zu erfassen, aber es wird geschätzt, dass etwa 2,7 Millionen Menschen ihr Einkommen über Crowdworking-Plattformen beziehen.

Die Rechtsprechung betrachtet die Abgrenzung zwischen Arbeitsverhältnis und freiem Dienstleistungsverhältnis aufgrund der unterschiedlichen Strukturen von Crowdworking als schwierig.

Das Vorliegen von Weisungsgebundenheit und die Einbindung in die Arbeitsorganisation des Plattformbetreibers sind entscheidende Kriterien für die rechtliche Einordnung.

Ja, das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil festgestellt, dass Crowdworker als Arbeitnehmer eingestuft werden können, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind.

Nein, das BAG stellt klar, dass es vielmehr auf die Art der Einbindung in die Plattformstruktur und Weisungsgebundenheit ankommt.

Erfahrungspunkte und Bewertungssysteme können die Arbeit von Crowdworkern stark fremdbestimmt prägen und somit für ein Arbeitsverhältnis sprechen.

Die Einordnung von Crowdworking als Arbeitsverhältnis könnte weitreichende Auswirkungen auf die Plattform-Ökonomie in Deutschland haben, und es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung entwickelt.