Gesundheit vs. Datenschutz? Die Corona-Warn-App und ihre Kritik verfassungsrechtlich betrachtet

Immer wieder hört man von ihr – der sogenannten Corona-App. Kurz nach ihrer Ankündigung hat sie bereits Kritiker und Datenschützer auf den Plan gerufen. Das Programm fürs Smartphone soll zwar helfen, Infektionsketten nachverfolgen zu können – doch das geht nicht, ohne sensible Daten zu erfassen. Was sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine solche App? Kann diese App für alle verpflichtend sein? Kann der Staat uneingeschränkt unsere Kontakte erfragen und nachverfolgen?

Dieser Beitrag soll grundlegende Prinzipien und Ideen rund um die verfassungsrechtliche Betrachtung der Corona-Warn-App aufzeigen. Er beschäftigt sich dabei ausschließlich mit abstrakten Fragestellungen. Das bedeutet: Er ersetzt weder ein umfangreiches Gutachten, noch können daraus Rückschlüsse darüber gezogen werden, wie die App tatsächlich funktioniert für diejenigen Leserinnen und Leser, die nun bald ihr mündliches Examen vor sich haben, soll dieser Beitrag außerdem Anregungen für ein Prüfungsgespräch zum Thema „Corona-Warn-App“ geben.

Corona-App für alle? Zur Frage, ob das Programm verpflichtend sein kann

Ein Punkt in der Diskussion rund um die Corona-Warn-App ist immer wieder die Frage, ob diese zwangsinstalliert werden kann. Dieser Punkt ist aus meiner Sicht verfassungsrechtlich zu verneinen. Denn damit wäre ein Verstoß gegen mehrere grundrechtliche Positionen gegeben.

I. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

An dieser Stelle kommt vor allem Art. 2 GG ins Spiel. Dieser schützt u. a. das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Sobald Daten preisgeben werden müssen, ist der Schutzbereich des Grundrechtes eröffnet. Das gilt auch für die Erhebung in anonymisierter Form.

Der Eingriff in das Grundrecht ist in diesem Fall unschwer zu bejahen. Der entscheidende Punkt in der Prüfung ist ein anderer: Nämlich die Frage, ob eine Zwangsinstallation verhältnismäßig wäre. Hier ist eine Abwägung mit dem Schutz auf Gesundheit und Leben vorzunehmen. Die Frage ist, ob mildere Maßnahmen vorhanden sind. Natürlich kommt es hierbei auch auf die konkrete Gestaltung der App an. Auch eine freiwillige Nutzung ermöglicht eine weitgehende Nachverfolgung von Infektionsketten. Hier wäre zum Beispiel Werbung für die Nutzung der Corona-Warn-App ein milderes Mittel als Zwang.

Zu beachten ist auch: Nicht alle Bürger besitzen ein Smartphone. Daher kann ein 100%iger Schutz ohnehin nicht erreicht werden. Ebenfalls ist abzuwägen, ob die aktuellen Maßnahmen – d.h. Maskenpflicht und Abstandsgebot – nicht mildere Mittel sind als eine Zwangs-App, um den Gesundheitsschutz zu verwirklichen. Die Corona-App verhindert ja nicht eine Infektion, sondern soll den User nur warnen und dafür sorgen, dass er sich in Quarantäne begibt. Das soll mögliche weitere Ansteckungen verhindern. Maskenpflicht und Abstandsgebot setzen aber direkt an der Quelle an, um Infektionen von vorneherein zu verhindern. Und das ganz ohne Preisgabe von Daten

II. Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme

Ein junges, auch von einer Corona-App betroffenes Grundrecht, ist das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Dieses Grundrecht wurde erst im Jahr 2008 vom Bundesverfassungsgericht entwickelt (BVerfG v. 27. Februar 2008 – 1 BvR 370/07 u. 1 BvR 595/07). Es ist ein Auffanggrundrecht und schützt vor Zugriffen auf Computer, Netzwerke und vergleichbare Systeme, wenn diese Zugriffe das Persönlichkeitsrecht des betroffenen gefährden.

Einer Verhältnismäßigkeitsprüfung halten nur extrem hohe Güter stand. Die Gesundheit kann selbstverständlich dazu gehören. Allerdings muss auch hier beachtet werden, dass es mildere Mittel als Zwang geben kann. So z.B. die freiwillige Nutzung, Maskenpflicht und Abstandsgebot.

Corona-Warn-App: So sieht Datenschutz-konforme Umsetzung aus

In der Folge kann der Staat aber auch nicht bei einer freiwilligen Nutzung der Corona-App „schalten und walten“, wie er möchte. Das Grundgesetz setzt auch an dieser Stelle Grenzen, nämlich im bereits erwähnten Art. 2 GG.

An dieser Stelle sollen nur einige Punkte genannt werden, die es bei der Sammlung von Daten zu beachten gilt: Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit für Daten aus Telekommunikationsvorgängen festgelegt, dass der Abruf und die Nutzung der Daten nur dann verhältnismäßig sind, wenn sie überragend wichtigen Aufgaben dienen. Außerdem muss die Ausgestaltung der Datenspeicherungen dem besonderen Gewicht des Eingriffs angemessen sein.

Das Gericht hat dargestellt, dass hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes notwendig sind (BVerfG, v. 2.3.2010 – 1 BvR 256/08 , 1 BvR 263/08 , 1 BvR 586/08).

I. Erster Schritt zum Datenschutz: Anonymisierung

Die Nutzer der Corona-App sollen informiert werden, wenn sie mit einer mit Corona infizierten Person Kontakt hatten. Aus Persönlichkeitsrechtsgründen müssen die Daten allerdings anonymisiert werden: Der Staat darf nicht wissen, wer mit wem Kontakt hatte.

Das heißt zum einen, dass Maria Musterfrau nicht informiert werden darf, dass Max Mustermann Corona hat – neben den datenschutzrechtlichen Problemen zwischen den Privatpersonen, weiß dann nämlich auch der Staat, wer betroffen ist. Zum anderen darf aber auch der Staat nicht wissen, wer der Nutzer ist. Eine Pseudonymisierung in der Form, dass z.B. Marina Musterfrau „Nutzer 1“ ist und Max Mustermann „Nutzer 2“, ist nicht zulässig.

Die Daten dürfen nicht zusammengefügt werden können. Vielmehr muss der Nutzer melden, dass eine Infizierung mit Corona vorliegt. Dann müssen die Daten anonym weitergeleitet werden, sodass der Staat nicht weiß, von wem an welche Person weitergeleitet wird. Die Nutzer dürfen nur erfahren, dass sie mit einer positiv getesteten anderen Person in Kontakt waren. Diese Lösung ist technisch machbar und greift nur die wirklich benötigten Daten von den Betroffenen ab. Gerade so wird Datensparsamkeit mit dem mildesten Mittel verbunden.

II. Grenzen der Datensammlung- und verarbeitung

Es gibt das Sprichwort „viel hilft viel“. Hinsichtlich der Datensammlung und -verarbeitung gilt dies jedoch nicht. Es muss – wie gerade genannt – sichergestellt werden, dass keine Daten gespeichert werden, die nicht zur Kontaktverfolgung notwendig sind.

Daten sollten lokal gespeichert werden und nicht auf zentralen Servern. Der Zugriff des Staates auf die Daten muss so gering wie möglich sein. Nur auf diesem Weg kann die personelle Selbstbestimmung gewahrt werden.

Auch dürfen keine Daten gespeichert werden, die nicht zur Kontaktverfolgung notwendig sind. Nur die benötigten Daten dürfen überhaupt gespeichert werden. Es gilt, z.B. die Erstellung von Bewegungsprofilen zu vermeiden. Eine Erstellung von Bewegungsprofilen ist verfassungsrechtlich nicht zulässig.

III. Löschung von Daten

Sichergestellt werden muss auch, dass die Daten gelöscht werden, sobald sie nicht mehr benötigt werden. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn die Inkubationszeit verstrichen ist. Ggf. könnte die Dauer der Speicherung um einen angemessenen  „Sicherheitszuschlag“ verlängert werden. Eine längere Speicherung ist nicht erforderlich und daher verfassungswidrig.

IV. Löschen der App mitsamt der Daten

Die App muss nicht nur rückstandslos gelöscht werden können – sondern mit ihr auch sämtliche gesammelte Daten. Insbesondere besteht aus verfassungsrechtlicher Sicht kein Grund, Daten in irgendeiner Form weiterhin zu speichern, wenn eine Löschung erfolgt ist. Gleiches gilt auch, wenn die Corona-Situation überstanden ist. Die App aus Vorsorge für den Fall einer neuen Pandemie weiterlaufen zu lassen, ist nicht möglich. Auch der Zugriff weiterer staatlicher Stellen auf die Daten und eine eventuelle Speicherung der Daten auf dortigen Servern ist nicht zulässig. Naturgemäß melden in solchen Fällen die Sicherheitsbehörden häufig Ansprüche an und fordern Zugriff auf die Daten. Allerdings könnten auf diese Weise alle Nutzer überwacht werden, sodass ein Eingriff unverhältnismäßig wäre. Die überragend wichtigen Aufgaben, die einen Eingriff rechtfertigen, wären nämlich gerade nicht gegeben, wenn eine anlasslose Überwachung aller Nutzer erfolgt.

 Kritik den Wind aus den Segeln nehmen – So kann die App Datenschutz umfangreich gewährleisten

Die Corona-App wirft eine Vielzahl von Fragen und Kritik, nicht nur rund um das Thema Datenschutz auf, die an dieser Stelle nur angeschnitten werden konnten. Eine Vielzahl von Punkten muss aus verfassungsrechtlicher Sicht beachtet werden. Dazu gehören u.a. die Freiwilligkeit, die Anonymisierung, der Grundsatz der Datensparsamkeit, das Vermeiden der Erstellung von Bewegungsprofilen und die komplette Löschung der App mitsamt den zugehörigen Daten. Werden diese Grundsätze eingehalten, ist die Corona-App aus verfassungsrechtlicher Sicht durchaus umsetzbar.

Dr. Michael Hoerdt
Autor
Dr. Michael Hördt

Dr. Michael Hördt, M.C.L. (Mannheim/ Adelaide) studierte Jura an der Universität Heidelberg mit Praktika in Zürich und Dublin. Danach erwarb er den Master of Comparative Law der Universität Mannheim und der University of Adelaide und promovierte zum Thema „Pflichtteilsrecht und EuErbVO“ an der Universität Potsdam. Sein Referendariat absolvierte er am LG Darmstadt mit Stationen in Dublin und Washington, D.C. Er war Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei in Frankfurt a.M. im Arbeitsrecht und für das Irlandgeschäft der Kanzlei zuständig. Aktuell ist er Syndikusrechtsanwalt bei Infosys Limited im Arbeitsrecht in Frankfurt a.M.

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