Falllösungen im Jurastudium und Examen – 9 Tipps für die Herangehensweise

Fallösungen im Jura Examen zu entwickeln. Dr. Michael Hördt hat Tipps & Strategien zur erfolgreichen Bearbeitung von Prüfungsfällen.

Falllösungen – 9 Tipps und Tricks für bessere Ergebnisse

Fälle zu lösen, ist der wohl wichtigste Punkt im Jurastudium und Examen. Schon in meiner ersten Vorlesung stand ein Prüfungsfall auf dem Programm: Ein Kaufvertrag, der ins Sachenrecht überging. Was viele aber oft spät oder gar nicht lernen, ist der richtige Umgang mit dem Sachverhalt. Wie geht man eine Falllösung strategisch an? Worauf sollte man bei der Vorbereitung achten?

Ich fasse hier Erfahrungen aus meinem Studium und Freundeskreis zusammen. Einige der folgenden Tipps hätte ich selbst gern früher gekannt.

1. Niemand will die Prüflinge reinlegen

Ganz wichtig zu Beginn: Niemand im Examen will die Prüflinge in die Falle locken. Das Prüfungsamt prüft, es trickst nicht. Es kursieren Gerüchte über Klausuren, die angeblich so konstruiert sind, dass man scheitert – etwa weil an mehreren Punkten ein Hilfsgutachten nötig wäre, dieses aber im Bearbeitervermerk ausgeschlossen ist und damit die richtige Lösung der Klausur 20 Minuten dauern würde. Solche Geschichten bleiben Legenden. Lass dich davon nicht verrückt machen!

Die Legenden von fiesen Tricks in den Klausuren, die die Prüflinge in eine Falle locken und reihenweise durchfallen lassen sollen, gibt es wahrscheinlich genauso lange wie das juristische Studium. Schwere Klausuren gibt es sicherlich (wobei das natürlich auch immer im berühmten „Auge des Betrachters“ liegt), aber keine, die reinlegen wollen.

2. Beginne immer mit der Fallfrage

Beginne mit der Fallfrage. So weißt du sofort, was du beim Lesen des Sachverhalts beachten musst – und kannst direkt mit einer groben Gliederung starten. Wer beim Sachverhalt „die A hat der B einen Gegenstand verkauft, der von C an D weiterverkauft wird, weil C behauptet Eigentümer zu sein“ nach der Frage „Welche Ansprüche hat B gegen C?“ sucht, liest denselben Text anders als jemand, der Eigentumsverhältnisse klären soll. Mit der richtigen Frage im Kopf arbeitest du gezielt und sparst Zeit, weil du dich gedanklich nicht mit Punkten aufhältst, die nicht gefragt sind.

3. Markieren – so wie es für dich passt

Viele Lernende heben Textstellen hervor – ob durch Markieren oder Unterstreichen. Wie, ist Geschmackssache. Manche verwenden viele Farben, andere fast keine. Entscheidend ist, wie und womit du am besten arbeitest. Halte dich an dein System, egal wie bunt oder schlicht es ist.

Ich habe immer sehr wenige Markierungen und Unterstreichungen vorgenommen, weil ich mir sehr gut Textbilder merken kann und Absätze oder Sätze ohne Markierungen mitunter schneller wiederfinde als mit Hervorhebungen. Eine Kommilitonin jedoch hatte drei Farben zum Markieren, eine andere nutzte gar ein System von fünf Farben. Man muss eben sehen, was für einen selbst am besten funktioniert und die Kommilitonin mit den fünf Farben hat tolle Klausuren geschrieben, genauso wie andere mit wenigen Markierungen.

4. Gliedern schafft Struktur

Eine Gliederung hilft immer. Fast niemand schreibt im Examen drauflos. Ob du die Prüfschritte knapp notierst oder schon Argumente stichwortartig festhältst – finde deinen Stil. Die Gliederung gibt keine Punkte; sie ist dein Werkzeug, um strukturiert zu bleiben.

Meine persönliche Methode war, die einzelnen Prüfschritte in Stichworten niederzuschreiben und zu vermerken, wo man in die Tiefe gehen muss. Bei Meinungsstreits habe ich mir meist nur markiert, um welchen Streit es sich handelt. Andere haben sich hierbei auch gerne schon Argumente notiert. Das ist eine Geschmacksfrage.

5. Behalte die Zeit im Blick

Die beste Gliederung nützt nichts, wenn du am Ende keine Zeit für das Gutachten hast. Lege für die Gliederung eine feste Zeit fest – zum Beispiel maximal eine Stunde bei fünf Stunden Gesamtdauer, im Strafrecht etwas weniger. Feste Zeitabläufe helfen, denn Routine gibt Sicherheit.

Übungstipp: Gliedere regelmäßig Übungsklausuren. Das schult das Denken, trainiert das Zeitgefühl und war für mich eine der effektivsten Lernmethoden.

6. Gliederung ist kein Autopilot

Verlasse dich nicht blind auf deine Gliederung. Prüfe unterwegs immer mit, ob sie noch passt, und korrigiere notfalls. Übung hilft dabei, in stressigen Situationen flexibel zu bleiben.

Viele Prüflinge berichten, dass sie nach dem Erstellen einer Gliederung nur noch den Text dazu geschrieben haben. Das kann problematisch sein. Es ist sehr wichtig, beim Schreiben mitzudenken, damit man im Notfall flexibel reagieren und von der eigenen Gliederung abweichen kann. Fehler können immer passieren – und dann muss man in der Lage sein, passend darauf zu reagieren. Aus diesem Grund sind Übungsklausuren sehr wichtig: Bei ihnen passiert es oft, dass man einen Fehler in die Gliederung einbaut. Wer so eine Situation schon einmal geübt hat, bleibt im echten Examen ruhiger und kann die Klausur trotzdem gut zu Ende bringen.

7. Verstehe – lerne nicht auswendig

Präge dir nicht nur Fälle ein, sondern verstehe Hintergründe und Strukturen. Wer nur Texte auswendig lernt, erkennt ähnliche Konstellationen später nicht. Wenn du das Prinzip eines Falles verstanden hast, findest du auch unter neuen Namen und Details die Lösung.

In meiner Arbeitsgemeinschaft (AG) zum Sachenrecht habe ich in der zweiten Stunde den bekannten „Fräsmaschinenfall“ mit den Studenten besprochen. In der dritten Stunde habe ich den gleichen Fall noch einmal verwendet, allerdings den Sachverhalt leicht verändert: Die Namen der Beteiligten waren anders und es ging diesmal nicht um eine Fräsmaschine, sondern um einen Staubsauger. In fast drei Semestern, in denen ich die AG geleitet habe, hat nur eine Studentin während des Unterrichts gemerkt, dass wir diesen Fall schon einmal behandelt hatten.

Und genau das war mein Ziel: Zu zeigen, dass es beim Lernen im Jurastudium nicht darum geht, so viele Fälle wie möglich auswendig zu wissen. Viel wichtiger ist es, die dahinterliegenden Grundsätze zu verstehen. Im Examen zählen nicht auswendig gelernte Fälle, sondern das Verstehen des Systems hinter den Fällen. Nur dann kann auch der unbekannte Fall ohne weiteres gelöst werden.

8. Denke in Strukturen

Warum prüfe ich vertragliche Ansprüche vor dem EBV und vor dem Deliktsrecht? Worin unterscheidet sich die Übertragung von beweglichem und unbeweglichem Eigentum? Wer diese Systematiken und Strukturen verstanden hat, findet sich sicher durch unbekannte Sachverhalte.

9. Kein unnötiges Wissen ausbreiten

In der Klausur bringt es wenig, alles Gelernte auszurollen. Gute Lösungen bleiben beim Thema. Prüfer erwarten eine präzise Antwort, keine Schautafel deines Wissens. Auch im Arbeitsleben zählt bei Anfragen nur die konkret gesuchte Lösung, nicht das ganze Lehrbuch.

Viele denken es sei gut, einfach möglichst viel Wissen aufzuschreiben, ohne darauf zu achten, ob es für die Lösung des konkreten Falls wichtig ist. Es geht in einer Klausur aber nicht darum, alles, was man weiß, aufzuzählen. Beim Versuch, viel zu zeigen, setzen viele die falschen Schwerpunkte.

Als Tutor hatte ich eine sehr gute Studentin, die ihren Falllösungen immer noch etwas „Besonderes“ hinzufügen wollte, um sich von anderen abzuheben. Dadurch hat sie sich vom eigentlichen Fall entfernt und die Aufgabe schlechter gelöst. Natürlich möchte man sein Wissen zeigen. Die wirkliche Kunst ist aber, das Wissen genau da einzubringen, wo es gefragt ist.

Das gilt auch im Arbeitsleben. Ich bin Syndikusrechtsanwalt und berate das Unternehmen zu arbeitsrechtlichen Fragestellungen. Geschäftsführung und Personalabteilungen wollen von mir keine umfassenden Vorträge, sondern eine konkrete Antwort auf ihr Problem. Im Examen ist es ähnlich – das konkrete Problem muss dargestellt und gelöst werden, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Zum Schluss

Die Tipps beruhen auf meinen Erfahrungen und denen vieler anderer. Das Examen bleibt eine große Herausforderung, aber mit klugem Vorgehen und der richtigen Vorbereitung wird es überschaubarer. Viel Erfolg – und natürlich das kleine, aber gern gesehene Quäntchen Glück!

Dr. Michael Hoerdt
Autor
Dr. Michael Hördt

Dr. Michael Hördt, M.C.L. (Mannheim/ Adelaide) studierte Jura an der Universität Heidelberg mit Praktika in Zürich und Dublin. Danach erwarb er den Master of Comparative Law der Universität Mannheim und der University of Adelaide und promovierte zum Thema „Pflichtteilsrecht und EuErbVO“ an der Universität Potsdam. Sein Referendariat absolvierte er am LG Darmstadt mit Stationen in Dublin und Washington, D.C. Nach Stationen als Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei in Frankfurt a.M. für Arbeitsrecht und das Irlandgeschäft der Kanzlei und anschließend als Syndikusrechtsanwalt bei einem indischen IT-Konzern ist er aktuell als Assistant General Counsel EMEA Legal HR bei Elanco tätig.

Die Ansichten in seinen Beiträgen sind seine eigenen und spiegeln nicht notwendigerweise die des Unternehmens wider.