Wie und wird man eigentlich Insolvenzverwalter? Ein Blick auf die Berufsgruppe

Insolvenzverwalter arbeiten nicht nur juristisch, sie agieren auch unternehmerisch. Wir werfen einen Blick auf einen Berufsstand, der es niemandem Recht machen kann.

Wie und wird man eigentlich Insolvenzverwalter?

„Man sollte sie alle erhängen“ Das Zitat eines namhaften Repetitors referiert plakativ die Meinung der Allgemeinheit und vieler Juristen gegenüber der Berufsgruppe der Insolvenzverwalter. Warum ist das so, wenn Insolvenzverwalter nach dem gesetzlichen Leitbild doch wichtige Aufgaben für eine funktionierende Wirtschaftsordnung wahrnehmen?

Insolvenzverfahren in Deutschland

§ 1 der Insolvenzordnung benennt als Ziele (bundesdeutscher) Insolvenzverfahren die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger eines Schuldners durch die Verwertung seines Vermögens sowie, nach Möglichkeit, den Erhalt des Unternehmens[1]. Schließlich soll dem redlichen Schuldner ermöglicht werden, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien, um wieder am Wirtschaftsleben teilnehmen zu können. Dazu zunächst ein paar statistische Informationen: Im Jahr 2017 wurden in Deutschland insgesamt 115.632 Insolvenz­verfahren eröffnet; bei 20.093 handelte es sich um Unternehmensinsolvenzen, die übrigen Verfahren waren – weit überwiegend – sogenannte Verbraucherinsolvenzverfahren.

Wie wird man Insolvenzverwalter?

Voraussetzungen & Qualifikationen für das Amt des Insolvenzverwalters

Gemäß Insolvenzordnung (§ 56 Bestellung des Insolvenzverwalters) sind für die Position des Insolvenzverwalters spezifische Qualifikationen erforderlich. Ein Insolvenzverwalter muss eine natürliche Person sein, die nicht nur für den spezifischen Fall geeignet ist, sondern auch über geschäftliches Know-how verfügt und sowohl von den Gläubigern als auch vom Schuldner unabhängig ist.

Obwohl keine formale Qualifikation ausdrücklich vorgeschrieben ist, wird von einem Insolvenzverwalter erwartet, dass er über umfassende juristische und wirtschaftliche Kenntnisse verfügt. Diese Expertise findet sich häufig bei Juristen, insbesondere solchen mit Spezialisierung im Insolvenzrecht, sowie bei Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern.

Die Insolvenzordnung sieht vor, dass Insolvenzverwalter aus dem Kreis der zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen gewählt werden. Dieser Personenkreis wird durch die Gerichte definiert, die Kandidaten auf Basis ihrer Eignung und Qualifikationen vorauswählen.

Wie arbeitet ein Insolvenzverwalter? Ein Beispiel

Der nachfolgende, fiktionale Fall soll die Tätigkeit eines Insolvenzverwalters illustrieren. Die X AG, ein deutscher Mittelständler in der strukturschwachen Region Kleinbüttelsheim, ist ein seit vielen Jahren weltweit tätiges Unternehmen. In den vergangenen Jahren erfolgte dabei mehr und mehr eine Spezialisierung und Konzentration auf die Herstellung von Photovoltaikanlagen. Die Gesellschaft beschäftigt ca. 500 Arbeitnehmer.

Die Photovoltaikbranche als Lieferant grüner Energie wurde durch die Politik seit Anfang der 2000er-Jahre stark gefördert, sodass die Nachfrage bei der X AG geradezu explodierte. Aufgrund von anfänglichen Erfolgen entschloss man sich zur Expansion. Man baute größere Produktionshallen und stellte weiteres Personal ein.

Die Förderprogramme erwiesen sich dabei aber als zu erfolgreich. Die vorgesehenen Budgets waren schnell ausgeschöpft, die Förderung musste zurückgefahren werden und wurde letztlich weitgehend eingestellt. Daneben drängte zunehmend kostengünstigere Konkurrenz aus Fernost auf den Markt.

Die von der Entwicklung völlig überraschte X AG rutschte zunehmend in die Krise. Nach mehreren Monaten des zähen Ringens entschloss sich der Vorstand daher, einen Insolvenzantrag zu stellen, nachdem die Banken die Darlehen gekündigt und fällig gestellt hatten. Hierzu war der Vorstand verpflichtet.

1 – Insolvenzgrund und Insolvenzantrag

Organe einer juristischen Person müssen regelmäßig bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes einen Insolvenzantrag stellen. Diese Pflicht ist strafbewehrt. Insolvenzgründe sind die Überschuldung oder die Zahlungsunfähigkeit. Überschuldung liegt dann vor, wenn die Verbindlichkeiten der Gesellschaft ihr Vermögen übersteigen. Von Zahlungsunfähigkeit ist die Rede, wenn die Gesellschaft in einem Zeitraum von drei Wochen nicht dazu in der Lage ist, 90 % ihrer fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen.

Einleitung des Invsolvenzverfahrens

Als die beim Amtsgericht Kleinbüttelsheim für Insolvenzverfahren zuständige Richterin den Antrag der X AG auf den Tisch bekommt, muss sie erst einmal schlucken. Die X AG ist der größte Arbeitgeber im Bezirk. Der Zusammenbruch des Unternehmens und der Verlust der Arbeitsplätze hätten einschneidende Konsequenzen für die Region. Sie ruft daher in der Kanzlei des erfahrensten Insolvenzverwalters G(eier) an und fragt an, ob dieser die Sache übernehmen könnte. G sagt sofort zu.

2 – Voraussetzung für die Arbeit als Insolvenzverwalter

Insolvenzverwalter(in) wird man, indem man von einem Insolvenzgericht hierzu bestellt wird. Es gibt keine staatliche Prüfung oder gar ein spezielles Studium. Bei der Auswahl des Verwalters ist der zuständige Richter frei in seinem Ermessen.

Er soll laut Gesetz eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person bestellen, die aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist. Welche konkreten Voraussetzungen verlangt werden, ist von Gericht zu Gericht unterschiedlich. In der Regel verlangen Gerichte den Nachweis einer mehrjährigen umfassenden verwalterspezifischen Tätigkeit in einem Insolvenzverwalterbüro.

Beschlüsse des Gerichts

Nach der Zusage des G erlässt die Richterin sofort zwei Beschlüsse. Mit dem ersten Beschluss bestellt sie den G zum Sachverständigen im Insolvenzantragsverfahren der X AG und beauftragt den G, binnen vier Wochen ein Gutachten auszuarbeiten, um festzustellen, ob die X AG insolvent ist. Mit dem zweiten Beschluss ordnet das Gericht vorläufige Sicherungsmaßnahmen an und bestellt G zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Nachdem G die Beschlüsse erhalten hat, steigt er in sein Auto und fährt ins beschauliche Kleinbüttelsheim.

3 – Anordnung von Sicherungsmaßnahmen

Die Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen ist lediglich eine Option. Sie wird regelmäßig dann gewählt, wenn ein laufender Geschäftsbetrieb vorhanden ist oder wenn ohne die Maßnahmen zu befürchten wäre, dass kurzfristig erhebliche Vermögensgegenstände verloren gehen könnten. Das Gericht kann etwa anordnen, dass vorläufig die Zwangsvollstreckung gegen die Schuldnerin untersagt wird. Damit soll ein Wettlauf der Gläubiger verhindert werden.

Der Betrieb soll einstweilen funktionsfähig bleiben, um dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Gelegenheit zu geben, den Sachverhalt aufzuklären und nach möglichen Lösungen zu suchen. Die vorläufige Insolvenz spannt einen vorübergehenden Schutzschirm über das Unternehmen, um dieses zu beruhigen und zu stabilisieren.

Insolvenzgeld und Eigentumsvorbehalt

Nach Ankunft des G bei der X AG herrscht eine desolate Stimmung. Bei einer eilig einberufenen Betriebsversammlung beruhigt G zunächst die Belegschaft. Er versichert, dass die pünktliche Zahlung der Löhne sichergestellt sei. Seine Mitarbeiter kümmerten sich bereits um das sogenannte Insolvenzgeld.

Darüber hinaus laufe der Betrieb einstweilen weiter wie bisher. Für G stellen sich derweil eine Vielzahl rein praktischer Probleme. Die Leasinggesellschaften des Fuhrparks haben angekündigt, binnen 24 Stunden die Sicherstellung der gesamten Fahrzeugflotte durchzuführen. Lieferanten schicken derweil Mitarbeiter, um die auf Lager liegenden und unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Waren abzuholen; außerdem hat der kommunale Stromlieferant einen Mitarbeiter geschickt, um die Stromversorgung zu sperren.

Zwar geben die vorläufigen Sicher­ungsmaßnahmen dem Verwalter die Möglichkeit, all dies zu verhindern, die praktische Umsetzung nimmt aber regelmäßig viel Zeit in Anspruch, der Gesprächsbedarf bei allen Beteiligten ist hoch. Parallel dazu begibt sich G auf Investorensuche.

4 – Insolvenzverordnung: vorläufiges Verfahren

In den allermeisten Unternehmensinsolvenzen entscheidet sich die Zukunft eines Unternehmens bereits im vorläufigen Verfahren, da der Schutz, den die Insolvenzordnung gewährt, regelmäßig nur dann den Zusammenbruch verhindern kann, wenn es schnell gelingt, frisches Kapital einzuwerben. Die Investoren- oder Käufersuche im Falle einer Insolvenz ist mit einem normalen M&A-Prozess vergleichbar. Dafür hat der Insolvenzverwalter Möglichkeiten, die ein normales Unternehmen nicht hat. So ermöglicht die Insolvenzordnung dem Käufer etwa die Fortführung des Unternehmens, ohne dass ihm das Risiko der Übernahme von Altverbindlichkeiten droht. Scharfe Schutzvorschriften zugunsten des Handelsverkehrs, wie beispielsweise der § 25 HGB, sind durch die Insolvenzordnung ausgehebelt.

Gläubigerversammlung und Investoren

G gelingt es, für die X AG zwei ernsthafte Interessenten zu finden. Die größte auf dem deutschen Markt angesiedelte Konkurrentin der X AG bietet den höheren Preis. Sie möchte schnell nach dem Erwerb Synergieeffekte nutzen, um das Unternehmen effizient aufzustellen, sie möchte also Arbeitsplätze abbauen.

Das zweite Angebot kommt von einem Konzern aus Fernost. Der gebotene Preis liegt zwar deutlich unter dem des deutschen Konkurrenten, allerdings bietet der der Investor eine Garantie für den Erhalt aller Arbeitsplätze; man wolle langfristig einen westeuropäischen Vertriebs- und Produktionsstandort aufbauen. G entscheidet sich für den Investor aus Fernost. Der Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze ist eines der vorrangigen Ziele eines Insolvenzverwalters.

Der fertig ausverhandelte Asset-Deal wird unmittelbar nach Insolvenzeröffnung unterschrieben und drei Monate später von der Gläubigerversammlung, dem obersten Organ eines Insolvenzverfahrens, genehmigt. Der vormalige Geschäftsbetrieb der X AG ist durch die sogenannte übertragende Sanierung gerettet, G mit Eröffnung des Verfahrens und Abschluss des Kaufvertrages schlagartig nur noch der Verwalter einer leeren Gesellschaftshülle.

Das weitere Vorgehen – Schadensersatzansprüche und Insolvenzanfechtungen

Für G schließt sich jetzt die Aufarbeitung der Vergangenheit an. Die Gläubiger können nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Forderungen gegen die X AG bei G anmelden. Dieser nimmt jeden Gläubiger in eine Tabelle auf und prüft, ob er die Forderungen anerkennt. G muss darüber hinaus den gesamten Forderungseinzug der X AG bis zum Zeitpunkt der Übertragung des Geschäftsbetriebes abwickeln. Da die X AG in jüngerer Zeit mit Qualitätsproblemen zu kämpfen hatte, verlangen Kunden von G außerdem Nacherfüllung. Ihre Position ist allerdings schwach. Nacherfüllen muss G nicht. Er darf die Kunden darauf verweisen, die Mängel als Schadenersatzansprüche zur Tabelle anzumelden. Sie können allenfalls gegen noch offene Forderungen der X AG aufrechnen.

Mit Eröffnung des Verfahrens sind darüber hinaus alle steuerlichen Erklärungspflichten der X AG auf G übergegangen. G bedient sich hierzu eines Steuerberaters. G prüft zudem, ob Insolvenzanfechtungen möglich sind. War die X AG bereits insolvent und erhielten Gläubiger nach diesem Zeitpunkt dennoch Zahlungen, obwohl andere Gläubiger mit offenen Forderungen leer ausgingen, kann G diese Zahlungen zurückfordern – im Extremfall sogar solche, die zehn Jahre zurückliegen.

5 – Forderungen, Geld- und Haftstrafen

Der Gesetzgeber bezweckt hiermit die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger. Da es sich in der Regel um Zahlungen handelt, die der Gläubiger seinerzeit zu Recht erhalten hat, ist das Instrument der Insolvenz­anfechtung dem allgemeinen Geschäftsverkehr nur schwer vermittelbar und löst vielfach heftige Reaktionen aus. Praktisch jede Forderung kann der Anfechtung unterliegen. Der zahlenmäßig häufigste Anfechtungsgegner dürfte das Finanzamt sein, das gezahlte Steuern zurückerstatten muss. Sogar geleistete Geldstrafen können grundsätzlich angefochten werden – mit der möglichen Folge der Umwandlung in eine Haftstrafe.

6 – Haftungsansprüche

Schließlich ist es die Aufgabe des Verwalters, mögliche Haftungsansprüche gegen Organe und Berater der Gesellschaft zu prüfen. Wenn es die Organe beispielsweise versäumt haben sollten, rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen, häufig aus sehr nachvollziehbaren Gründen, dann haften sie der Gesellschaft für die nach Insolvenzreife geleisteten Zahlungen. Im Falle eines mittelständischen Unternehmens mit 500 Mitarbeitern und entsprechenden Umsätzen ergeben sich hier sehr schnell Forderungshöhen, die für die Organträger existenzgefährdend sind. Nach all diesen Anstrengungen des Insolvenzverwalters, die Insolvenzmasse zu mehren, erhalten die Gläubiger oftmals dennoch nicht mehr als 3 % ihrer angemeldeten Forderungen.

Fazit: Insolvenzverwalter können es niemandem recht machen

Insolvenzverwalter können es unter dem Strich niemandem recht machen. Der Anlass ihrer Tätigkeit, das wirtschaftliche Ende von Unternehmen oder Privatpersonen, und das Ziel einer geordneten Bereinigung der Situation bedingt dies jedoch. Was die Berufswahl betrifft, ist das Insolvenzrecht im Allgemeinen und die Insolvenzverwaltung im Besonderen dennoch einen näheren Blick wert.

Das Insolvenzrecht verdrängt nicht die sonstigen Rechtsfragen, die in dem insolventen Unternehmen eine Rolle spielten. Es stellt sie lediglich neu unter dem spezifischen Gesichtspunkt der Insolvenz. Das Insolvenzrecht ermöglicht außerdem, eine Vielzahl von Branchen und ihre ökonomischen, rechtlichen oder tatsächlichen Gesetzmäßigkeiten über die Insolvenz einzelner Marktteilnehmer kennenzulernen. Die Insolvenzverwaltung eignet sich für alle, die zugleich juristisch arbeiten und zumindest gelegentlich auch unternehmerische Entscheidungen treffen und durchsetzen wollen.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Juracon Jahrbuch 2019

Gregor Braun, Rechtsanwalt, Wiesbaden
Autor
Gregor Braun

Gregor Braun ist Rechtsanwalt bei BKF Braun Köppen Fautsch, Wiesbaden