Gute Gründe für ein Auslandssemester im Jurastudium

Ein Auslandsemester während des Jurastudiums kostet Zeit und fordert präzise Planung. Aus welchen Gründen es sich trotzdem lohnt, erfahrt ihr hier.

Auslandssemester in der Rechtswissenschaft: Zeitverschwendung oder wertvolle Erfahrung?

Die meisten Studiengänge bieten die Möglichkeit, eine Zeit lang an einer ausländischen Universität zu lernen – so auch das Studium der Rechtswissenschaften. Doch anders als es bei Bachelor- und Masterstudiengängen für gewöhnlich der Fall ist, kann man sich für Jura die im Ausland erbrachten Leistungen an den meisten deutschen Universitäten nicht anrechnen lassen. Ist so ein Semester dennoch sinnvoll oder sollte man die Zeit lieber nutzen, um in Deutschland weiter Scheine zu sammeln?

Jura: Mein Auslandssemester in Belgien

Im Anschluss an mein viertes Studiensemester habe ich ein halbes Jahr in einer kleinen Stadt in Belgien verbracht. Und eins kann ich vorwegnehmen: Es ist schon ein wenig frustrierend, zurück zu kommen und zu sehen, dass die Freunde auf einmal im Pflichtstoff viel weiter sind als man selbst, obwohl man doch nur ein paar Monate weg war.

Welche Gründe sprechen für ein Auslandssemester im Jurastudium?

Also warum nun im Jura im Ausland? Nun ja, zunächst einmal bietet das Ausland einem etwas, was an der altbekannten Heimatuni wohl nicht so leicht zu finden ist: Eine echte Horizonterweiterung. Selbst, wenn man nur einen kleinen Sprung in ein europäisches Nachbarland wagt, wird man sofort mit unbekannten Sitten, neuen Leuten und fremden Sprachen konfrontiert.

Es lohnt sich, bereits bei der Planung eines Auslandssemesters zu überlegen, für welche Rechtsgebiete man sich persönlich begeistern kann

Auf diese Weise schließt man nicht nur schnell Freundschaften oder verbessert seine Sprachkenntnisse, sondern lernt auch eine Menge über sich selbst. Zum Beispiel, wie man sich allein in einer völlig unbekannten Umgebung und Situation zurechtfindet. Außerdem bekommt man die Möglichkeit, sich einmal fernab von Pflichtstoff, Leistungs- und Zeitdruck selbst auszuprobieren.

So kann man in ein völlig neues Rechtssystem eintauchen, wenn man das möchte. Die meisten europäischen Unis bieten darüber hinaus auch interessante Vorlesungen zu internationalem oder Europarecht an – Fächer, die den Horizont erweitern und einen auch im späteren Studium weiterbringen können.

Neue Rechtsgebiete entdecken

Es lohnt natürlich, sich bereits bei der Planung eines Auslandssemesters Gedanken darüber zu machen, für welche Rechtsgebiete man sich persönlich begeistern kann und dementsprechend zu schauen, welche ausländische Partneruni diese anbietet.

Denn wenn man eine Vorlesung mal hauptsächlich aus eigenem Interesse und weniger aus Pflichtgefühl besucht, merkt man schnell etwas, was man – zumindest meiner Erfahrung nach – im stressigen Studien-Alltag in Deutschland manchmal aus den Augen verliert: Dass Jura ein wirklich spannendes Fach ist, in dem viel mehr steckt, als das Auswendiglernen umständlich formulierter Definitionen oder der dritten, vierten und fünften Meinung eines Streitstands.

Den eigenen Horizont erweitern

Im Übrigen ist eine längere Zeit in einem anderen Land natürlich auch prädestiniert dazu, sie zu nutzen, um etwas von der Welt zu sehen. Nicht nur an einem Ort zu bleiben, sondern auch mal in seinem Gastland und vielleicht sogar in dessen Nachbarländern herum zu reisen.

Und dazu, Menschen aus den verschiedensten Ländern kennenzulernen. Als Austauschstudent:in bekommt man meistens in Einführungswochen oder ähnlichen Veranstaltungen die Gelegenheit, andere Austauschstudent:innen aus aller Welt zu treffen.

Auslandssemester: Lernen vom Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs

Um diese Theorie etwas anschaulicher zu machen: Ich habe in meinem Auslandssemester nicht nur sehr viel von Belgien gesehen, sondern auch ein bisschen was von den Niederlanden, Luxemburg und Frankreich. Und habe Freunde gefunden, mit denen ich auch jetzt, über ein Jahr später, noch regelmäßig in Kontakt bin. Außerdem habe ich mehr über Europarecht, über internationale Menschenrechte und das Recht internationaler Organisationen gelernt.

Meine Dozenten waren unter anderem ein Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und der Präsident des Europäischen Gerichtshofs höchstpersönlich. Außerdem bekam ich durch meine Auslandsuni die Gelegenheit, Institutionen wie das Europaparlament, den EuGH und den EGMR einmal selbst zu besichtigen. Und neben alldem blieb mir auch noch genug Zeit, ein bisschen Niederländisch zu lernen, neue Sportarten auszuprobieren, reichlich belgische Pommes und Schokolade zu essen und und und…

Sorgen und Ängste überwinden

Natürlich gibt es auch immer mal wieder Momente, in denen nicht alles wunderbar ist und in denen man sich Sorgen macht. Gerade, wenn man anfängt die Zeit im Ausland zu planen, häufen sich die Fragen: Wird meine Wunschuni mich überhaupt annehmen? Wie soll ich in einem fremden Land eine Wohnung finden? Werde ich nette Leute kennenlernen? Werde ich mit der Sprache zurechtkommen?

Aber hier gilt das alte Motto „Probieren geht über Studieren“ – einfach rein ins kalte Wasser und darauf vertrauen, dass sich alles finden wird. Auch, wenn man dann angekommen ist und sich ein wenig eingelebt hat, wird man sicherlich manchmal seine Heimat, Familie und Freunde vermissen. Aber Videochats und gegenseitige Besuche wirken da Wunder.

Und auch die Klausuren, die man vielleicht bestehen muss, zum Beispiel um sein ERASMUS-Stipendium nicht zu verlieren, sind letztendlich machbar. Abgesehen davon lernt man gerade durch diese kleineren und größeren Herausforderungen viel dazu und das Wissen, all das gemeistert zu haben, ermutigt einen später auch andere Abenteuer zuversichtlich anzugehen. // Stipendien gibt es für viele Zielgruppen.

Einfach mal trauen!

Man könnte in diesem Sinne bestimmt noch weitere Dinge ansprechen und ich könnte seitenweise aus meiner persönlichen Auslandserfahrung erzählen, aber das würde den Rahmen dieses Beitrags wohl sprengen. Abschließend bleibt mir eigentlich nur noch zu sagen, dass ich ein Auslandssemester wirklich jedem, der darüber nachdenkt, ans Herz legen kann. Es ist einfach eine ungemein bereichernde Zeit, die einem sicher einige Dinge vermittelt, die man im Hörsaal nicht so einfach lernen kann.

Porträt Tabea Nalik | Autorin IQB Career Services
Autorin
Tabea Nalik

Tabea Nalik studierte Jura an der Georg-August-Universität Göttingen mit Schwerpunkt im öffentlichen Recht. Während des Studiums arbeitete sie als studentische Hilfskraft am Institut für allgemeine Staatslehre und politische Wissenschaften der Uni Göttingen und absolvierte Praktika im deutschen Generalkonsulat in Atlanta und am Landgericht Göttingen. Im Anschluss an das erste Staatsexamen begann sie mit einer Promotion im Bereich der Demokratietheorie und des öffentlichen Rechts und arbeitet am Lehrstuhl für Staatstheorie und Öffentliches Recht, insbesondere Staats- und Europarecht an der BSP Business & Law School Berlin.