Berufsbild Strafverteidiger:in – eine facettenreiche Tätigkeit!

Gerade bei juristischen Laien herrschen wilde Vorstellungen über den Verteidigerberuf, die auf einer Skala von „alles Schurken“ bis „die letzte Bastion der Freiheit“ reichen. Wir haben Dr. Hendrik Pekárek gefragt, was den Beruf des Strafverteidigers ausmacht.

Strafverteidiger im realen Leben

Junge Juristen haben bisweilen ebenfalls verzerrte Vorstellungen von der Rolle des Strafverteidigers im deutschen Strafprozess, welches wohl vor allem durch John Grishams oder Ferdinand von Schirachs Bücher, amerikanische und britische Anwaltsserien, deutsches Reality-TV auf den privaten oder das Vorabendprogramm der öffentlich-rechtlichen Sender geprägt sind. Die tägliche Praxis eines Rechtsanwalts im Strafrecht hat damit nur selten etwas gemein – bisweilen kann sie jedoch spannender und dramatischer sein als jeder Hollywood-Film oder Thriller.

Strafverteidigung kann spannend und dramatisch sein – aber nicht so wie im Fernsehen.

Zugegeben, auch meine Leidenschaft für das Strafrecht wurde durch Bücher, Filme und Serien entfacht. Schon in der Oberstufe begann ich mich für den Beruf des Strafverteidigers zu interessieren, wenngleich ich damals ebenso von der Staatsanwaltschaft begeistert war. Als ich mich dann für das Jura-Studium an der Humboldt-Universität entschied, fokussierte ich mich von vornherein auf das Strafrecht und wählte den universitären Schwerpunkt „Deutsche und Internationale Strafrechtspflege“.

Während eines Auslandsjahres an der University of East Anglia beschäftigte ich mich zudem vertieft mit wirtschaftsrechtlichen Themen, die dort wesentlich praxis- und anwendungsbezogen unterrichtet wurden als Hierzulande.

Promotion und Universität

Nach dem ersten Examen begann ich als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Lehrstuhl der Humboldt-Universität. Zugleich arbeitete ich an meiner Doktorarbeit, verbrachte ein Semester als „Visiting Researcher“ an der Fordham Law School in New York City und war als AG-Leiter im Strafrecht tätig. Die Liebe zum Strafrecht trieb mich dann im Referendariat zur Berliner Strafrechtsboutique Ignor & Partner, wo ich die Anwalts- und Wahlstation verbrachte.

Während meiner Stationen hatte ich das große Glück, in kurzer Zeit einen Einblick ich die extreme Bandbreite der Strafverteidigungspraxis zu bekommen: Die Partner bezogen mich z. B. in Fälle ein, die fahrlässige Tötung, Betrug, Untreue und Insolvenzdelikte zum Gegenstand hatten und nahmen mich mit auf eine Tagung über Rechtspsychologie.

Hier hatte ich auch meine ersten Berührungspunkte mit dem internationalen Strafrecht: Ich arbeitete in laufenden Auslieferungsverfahren, Verfahren vor der Kommission zur Kontrolle von INTERPOLs Dateien und half an einer Beschwere zum EGMR mit.

Unmittelbar nach dem Referendariat nahm ich bei der Kanzlei eine Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Teilzeit auf, blieb aber zugleich bis zum Ablauf meines befristeten Arbeitsvertrages mit der Humboldt-Universität auch dort Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Diese Zeit mit einem Bein in der Praxis und einem Bein in der Uni habe ich zwar als eine zeitlich anspruchsvolle Zeit, aber zugleich auch bereichernd wahrgenommen.

Praktische Anwaltstätigkeit als Strafverteidiger

Der Übergang vom Referendariat über den wissenschaftlichen Mitarbeiter-Status zum Rechtsanwalt war fließend: Bereits als Referendar hielt ich in einigen transnationalen Mandaten den Mandantenkontakt. Für die Mandanten und mich änderte sich mit meiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft daher gefühlt lediglich meine E-Mail-Signatur. Meine sich im Referendariat abzeichnende Vorliebe für grenzübergreifende Fälle ist im Laufe der letzten Jahre zu einem Schwerpunkt meiner Beratungstätigkeit geworden, der etwa die Hälfte meiner Arbeitszeit in Anspruch nimmt.

Wer hat sich im Studium oder Referendariat schon mit den Feinheiten des Lebensmittelrechts, des Kartell- oder Vergaberechts, des Aktien- oder Wertpapierhandelsgesetzes, des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder des privaten Baurechts innerhalb einer Woche oder sogar eines Tages beschäftigen müssen?

Sowohl im Team mit meinen anderen Kollegen als auch in eigener Verantwortung berate ich aktuell vor allem von deutscher Strafverfolgung im Ausland Betroffene, Verfolgte in Auslieferungsverfahren vor deutschen Oberlandesgerichten und Betroffene von Ausschreibungen INTERPOLs oder im Schengener Informationssystem. Hier reizen mich vor allem der immer wieder spannende Einblick in fremde Rechtssysteme und die teilweise politisch oder politisch-ökonomischen Hintergründe der Fälle.

Daneben erstelle ich mit Kollegen oder allein Gutachten über das deutsche Straf- und Strafprozessrecht für ausländische Kollegen. Meine Kenntnisse der englischen Rechtsprache und der Common Law-Rechtssysteme, die ich im Studium im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten erlernen und vertiefen konnte, setze ich fast täglich ein.

Aktuelle Ausrichtung: internationales Strafrecht

Der Ausrichtung von Ignor & Partner entsprechend berate und vertrete ich neben dem trans- bzw. internationalen Strafrecht vor allem im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, dazu auch im Korruptions, IT- und Datenstrafrecht. Die Mandate der Kanzlei reichen in ihrer Vielfalt von global agierenden DAX-Konzernen zu kleinen Familienbetrieben von nebenan, von Vorstandsvorsitzenden, Aufsichtsräten oder Behördenleitern zu einfachen Mitarbeitern, Arbeitern, Schülern oder Rentnern. Auch die prozessualen Rollen, in die meine Kollegen und ich schlüpfen, variieren: klassische Strafverteidigung, Nebenklage- und Verletztenvertretung sowie Unternehmensverteidigung halten sich nahezu die Waage.

Hinzu kommen Felder der Vorfeldberatung zur Vermeidung strafrechtlicher Risiken, seien es die Übernahme von Ombudstätigkeiten, die strafrechtliche Compliance-Beratung oder die strafrechtliche Begleitung von Internal Investigations. Die Mandatsarbeit verlangt einem als Wirtschaftsstrafrechtler regelmäßig die zügige Einarbeitung in völlig neue Rechtsmaterien und schnelle Entscheidungen ab.

Wer hat sich im Studium oder Referendariat schon mit den Feinheiten des Lebensmittelrechts, des Kartell- oder Vergaberechts, des Aktien- oder Wertpapierhandelsgesetzes, des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder des privaten Baurechts innerhalb einer Woche oder sogar eines Tages beschäftigen müssen? Wer hat dort gelernt, woran ein lügender Zeuge zu erkennen, wie eine Bilanz zu lesen, worauf bei einer Durchsuchung zu achten ist oder wie Sprechscheine für den Besuch von inhaftierten Mandanten zu bekommen sind?

Soft Skills gefragt – besonders im Strafrecht

Oft sind in meinem Berufsalltag Skills gefragt, die in der Juristenausbildung viel zu kurz kommen, die Soft Skills: Organisationsgeschick, Gesprächsführung, Verhandlungsgeschick und Aussagepsychologie. Anders als meine Freunde, die Staatsanwälte oder Richter geworden sind, habe ich als Rechtsanwalt einen viel umfangreicheren und unmittelbaren Umgang mit den Rechtssuchenden und ihren Schicksalen. Ich sehe die Menschen nicht nur im Gerichtssaal, sondern begleite sie durch das ganze Verfahren, erläutere ihnen die Abläufe und muss ihnen schließlich den Verfahrensausgang vermitteln. Gerade in Fällen, in denen Mandanten in Untersuchungs- oder Auslieferungshaft sitzen, kann dies mitunter aber auch sehr belastend sein.

Arbeit im Team – Einblick in unterschiedliche Fachgebiete und Verteidigungsstrategien

Bereichert wird mein Alltag durch die großartigen Kolleginnen und Kollegen bei Ignor & Partner. Unser derzeit neunköpfiges Team an den Standorten Berlin und Frankfurt a. M. besteht aus einer ausgeglichenen Mischung älterer und jüngerer, weiblicher und männlicher Rechtsanwälte. Der Regelfall ist die Arbeit eines Partners mit einem Associate, wobei keine feste Zuordnung besteht, sondern die Kombinationen ständig wechseln.

Dies erlaubt mir als jungen Anwalt einen Einblick in die unterschiedlichen Stile und Fachgebiete der Partner und in eine größere Bandbreite an Fällen, die Zuarbeit als „Diener mehrerer Herren“ ist aber nicht immer einfach. Glücklicherweise ist der Umgang meist offen und direkt. Die Verteidigungs- oder Prozessstrategien werden im Team in der Regel auf Augenhöhe diskutiert und Kollegen haben – wenn nicht gerade eine Frist drängt – immer ein offenes Ohr für ein Rechtsgespräch.

Das Strafrecht erlaubt immer wieder spannende Einblicke in die Lebens- und Arbeitswelten anderer Menschen.

Und wo andere Kanzleien einen Jour Fixe haben, gehen wir gemeinsam Mittagessen oder ins Café, um dort gemeinsam über interessante Rechtsprobleme oder jüngere Ereignisse zu sprechen. Als eine wirkliche Bereicherung empfinde ich außerdem die enge Verbindung unser Kanzlei zur Wissenschaft. Der namensgebende Partner, Herr Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor, ist zugleich außerordentlicher Professor an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität. Zudem veröffentlicht oder referiert jeder Anwalt der Kanzlei regelmäßig zu strafrechtlichen Themen.

Der Beruf des Strafverteidigers: Sonnen und Schattenseiten

Kurzum: Die Vielseitigkeit der meines Berufes erscheint mir als dessen große Stärke. Und wenn man dann auch noch Fälle gewinnt, gibt es kaum einen besseren Job. Nur: Es ist systemimmanent, dass Strafverteidiger nicht immer nur gewinnen können.

Weil es im Strafrecht regelmäßig um den Ruf, das Vermögen oder sogar die Freiheit eines Menschen geht, sind Niederlagen schwer zu ertragen. Dies gilt umso mehr, wenn man von den eigenen Argumenten überzeugt war, die Beweismittel anders gewertet hat oder von der Unschuld des Mandanten überzeugt ist. In diesen Momenten verlangt einem der Verteidigerberuf eine gesteigerte Frustrationstoleranz ab, mit der ich bisweilen noch immer sehr hadere.

Die Arbeitszeiten insbesondere

Auch was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht, ist der Beruf des Rechtsanwalts nicht einfach. Der eigene und fremde Anspruch an den Job gerät oft in Spannung mit der Rolle und den Aufgaben als Ehegatte und junger Vater. Mit meiner Frau, die seit vielen Jahren als Rechtsanwältin in einer größeren wirtschaftsrechtlichen Kanzlei tätig ist, versuche ich mir die Kindererziehung- und Betreuung so gut wie möglich aufzuteilen.

Man kann nicht immer gewinnen, aber oft geht es um viel und deshalb sind Niederlagen nur schwer zu ertragen.

Die zeitlichen Konflikte zwischen KiTa-Öffnungszeiten und Regelarbeitszeit, zwischen Mandanten-, Haft- oder Gerichtsterminen und Kinderkrankheiten oder Sportveranstaltungen stellen einen jeden Tag erneut vor Herausforderungen. Mit den klassischen Arbeitszeiten einer Vollzeitstelle ist dies schlicht nicht zu schaffen.

Als ich eine zeitweilige Reduktion meiner Stelle vorschlug, um mich mehr meinem Sohn widmen und meine Promotion abschließen zu können, bedurfte dies anfänglich noch einiger Überzeugungsarbeit, letztlich unterstützte mich die Kanzlei aber mit einem maßgeschneiderten Teilzeitmodell und einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung.

Der Karriereweg in der deutschen Strafrechtspflege

Kritisch sehe ich auch die in der deutschen Strafrechtspflege noch immer typische Trennung zwischen den Karrierewegen am Gericht, der Staatsanwaltschaft oder in der Verteidigung. In der Praxis führt dies nach meiner Beobachtung zu unnötigen Polarisierungen, Schulterschlusseffekten und Schubladendenken.

Mangels des tatsächlichen Einblicks in die tägliche Arbeit der Staatsanwälte und Richter, kommt einem als Verteidiger so manche Vorgehensweise, Verfügung oder Prozesshandlung jedenfalls frag- oder willkürlich – bisweilen sogar böswillig – vor, obschon sie bei Kenntnis der Abläufe im Hintergrund vielleicht dem Zeitmangel, fehlenden Ressourcen, Unaufmerksamkeiten oder schlicht fehlender Rechtskenntnis einer überlasteten Justiz geschuldet ist.

Umgekehrt beobachte selbst ich als junger Anwalt bei erfahrenen Richtern und Staatsanwälten eine erstaunliche Unkenntnis der Grundzüge anwaltlicher oder auch betriebswirtschaftlicher Grundlagen. Eine größere berufliche Durchlässigkeit zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigerschaft würde meines Erachtens zu einer gesteigerten Professionalität und Qualität in allen drei Berufen beitragen.

Genervt bin ich auch von Polizisten oder Staatsanwälten, die einem im Gespräch direkt oder indirekt zu verstehen geben, die gewissenhafte und unnachgiebige Vertretung von Beschuldigten sei sittlich anstößig oder gar direkt mitteilen: „Ich könnte so etwas ja nicht!“. Den genannten Personen ist offenbar nicht bewusst, dass eine solche Auffassung nicht Beweis eines höheren moralischen Kompasses ist, sondern vielmehr Ausdruck eines fehlenden Verständnisses von Rechtsstaatlichkeit.

Das Berufsbild des Strafverteidigers — Ausblick

Trotz alledem habe ich meine Berufswahl bisher keinen Moment bereut. Die anwaltliche Tätigkeit im Strafrecht erlaubt immer wieder spannende Einblicke in neue Rechts- und Wissensgebiete sowie in die Lebens- und Arbeitswelten anderer Menschen. Langeweile oder Eintönigkeit ist – jedenfalls bei den Verteidigern, die ich kenne – unbekannt. Anders als in der Justiz, ist dies mit einem großen Maß an persönlicher Freiheit und betriebswirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten verbunden. All dies zusammen macht für mich den großen Reiz des Strafverteidigerberufs aus.


Dieser Beitrag erschien zuerst im Juracon Jahrbuch 2019

Dr. Hendrik Pekárek
Autor
Hendrik Pekárek

Hendrik Pekárek ist Rechtsanwalt und Datenschutzbeauftragter, Ignor & Partner GbR, Berlin und Frankfurt am Main

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