Die Staatenhaftung im Völkerrecht am Beispiel von informationstechnischen Gefährdungslagen

Baker McKenzie-Preis 2020: Interview mit Preisträgerin Dr. Sahar Moradi Karkaj

Im Mai 2021 hat Baker McKenzie zwei im Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt entstandene wirtschaftsrechtliche Arbeiten mit dem Baker McKenzie-Preis ausgezeichnet. Seit 1988 vergibt die Anwaltssozietät den mit 6.000 Euro dotierten Preis für herausragende Dissertationen oder Habilitationen.

Unser Autor Falk Schornstheimer sprach mit Dr. Sahar Moradi Karkaj, die den Preis für ihre Dissertation „Die Staatenhaftung im Völkerrecht am Beispiel von informationstechnischen Gefährdungslagen“ erhalten hat.

Frau Dr. Moradi Karkaj, Sie beschäftigen sich in Ihrer Dissertation mit Staatenhaftung in informationstechnischen Gefährdungslagen. Ein brandaktuelles, komplexes Thema – wie kamen Sie darauf?

Im Rahmen meiner wissenschaftlichen Hausarbeit befasste ich mich mit der Verantwortlichkeit von Staaten für Antiterrormaßnahmen auswärtiger Geheimdienste. Bereits in diesem Zusammenhang wurde deutlich, dass die Staaten ihren Schutzgewährleistungspflichten nicht zu Genüge Rechnung tragen oder tragen können und dass das „Outsourcen“ von Menschenrechtsverletzungen allgegenwärtig ist. Ähnlich verhält es sich in der virtuellen Welt. Immer wieder hört man von grenzüberschreitenden Konflikten aufgrund von (Cyber-)Spionage, der Manipulation von IT-Systemen oder der Beschädigung von Informationsinfrastrukturen. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit bietet nur bedingt Gewähr dafür, dass die Opfer solcher Informationsoperationen auch Entschädigungen erhalten. Eine Vielzahl von Informationsoperationen befindet sich in einer rechtlichen Grauzone. Hier kann nur eine Art Gefährdungshaftung für erlaubte Aktivitäten weiterführen – die Staatenhaftung.

Was fasziniert Sie an diesem rechtlichen Themenkomplex?

Mich fasziniert, dass die Teilbereiche des Völkerrechts – etwa das Umweltvölkerrecht, der Menschenrechtsschutz, das Investitionsschutzrecht und das WTO-Recht – bereits als eine Art Blaupause dienen, die man auf neuartige Gefährdungslagen anwenden kann. Die friedensstiftende Funktion des Völkerrechts kann so gerade bei neuartigen Gefährdungslagen in einer zunehmend vernetzten und interdependenten Welt Wirkung entfalten.

Ist der Wunsch zu promovieren von Anfang an da gewesen oder im Laufe des Studiums entstanden?

Das Studium der Rechtswissenschaften ist bekanntermaßen durch Vorgaben der „herrschenden Meinung“ geprägt. Dies bestärkte meinen Wunsch zu promovieren. Ich wollte die Möglichkeit nutzen, umfassend darzustellen, wie ich selbst ein rechtliches Problem verstehe und welche Lösungen ich aus dem Recht entwickeln kann – ohne das Korsett des tradierten Meinungsstreits.

Wie sind Sie schließlich zu Ihrem Dissertationsthema an der Goethe-Universität Frankfurt gekommen? Haben Ihr Doktorvater Prof. Dr. Stefan Kadelbach und seine Forschung Einfluss auf die Wahl gehabt oder waren der Standort und Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht der Goethe-Universität Entscheidungskriterien für Sie?

Mein Doktorvater, Prof. Dr. Kadelbach, weckte und förderte bereits während des Studiums meine Begeisterung für das internationale Recht. So durfte ich nicht nur durch die Teilnahme an Vorlesungen und Vorträgen von seinem Wissensschatz profitieren, sondern auch als Teil des Teams der Goethe-Universität unter seiner Ägide am Philip C. Jessup International Law Moot Court mitwirken sowie – auf seine Empfehlung hin – an Sommerakademien zum Europa- und Völkerrecht teilnehmen. Außerdem hat seine Forschung grundlegenden Einfluss auf mein Dissertationsthema.

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität bietet ein hervorragendes wissenschaftliches Umfeld. Sowohl die Professor:innen am Institut für Öffentliches Recht als auch renommierte Gastdozent:innen vermitteln sehr anschaulich völkerrechtliche Themenkomplexe während diverser Seminare und Kolloquien und regen Diskussionen zu aktuellen Themen mit internationalem Bezug an. Zudem ermöglicht der Fachbereich interessierten Student:innen die Teilnahme an internationalen Konferenzen und damit einen Austausch über Länder- und Disziplingrenzen hinweg. Das empfand ich fachlich und persönlich als sehr bereichernd.

Mit welchen Erwartungen sind Sie an die Dissertation herangegangen? Welche haben sich als eher falsch, welche als eher richtig herausgestellt?

Die Erwartung, dass mit der Fertigstellung des Exposés der Weg feststeht, erwies sich als eher falsch. So stellte ich fest, dass mein Forschungsgegenstand viel komplexer ist als anfangs gedacht. Bestätigt hat sich allerdings, dass meine Forschung zu einem tieferen Verständnis für die untersuchte Rechtsmaterie im Gesamtgefüge des internationalen Rechts führt und einen umfassenderen Blick auf grenzüberschreitende Konfliktlagen ermöglicht.

Was hat Ihnen zu Beginn der Dissertation besonders geholfen sich einzufinden?

Besonders hilfreich war der Austausch mit meinem Doktorvater, dessen Tür immer für mich offenstand. Prof. Dr. Kadelbach gab mir von Anfang an wichtige Anregungen und in den entscheidenden Momenten die richtigen Denkanstöße. Sehr essenziell war für mich außerdem, dass ich zu Beginn einen Arbeitsplan konzipierte und damit eine Struktur für meine Promotionszeit schuf – auch wenn ich den Plan immer wieder mal korrigieren musste.

Wie muss man sich die Arbeit an einer Doktorarbeit vorstellen? Gibt es bestimmte Phasen? Wie motiviert man sich auf diesem langen Weg?

Die Arbeit an einer Doktorarbeit ist ein langwieriges Unterfangen, das von Höhen und Tiefen geprägt ist. Ich habe mich zuweilen wie in einem Labyrinth aus Gedanken gefühlt: Manchmal nimmt man den falschen Weg und muss zurücklaufen, um die richtige Abzweigung zu finden. Der Ausblick auf das Ziel, also einen eigenen Beitrag zur Wissenschaft zu leisten, motiviert.

Auf dem langen Weg helfen Gespräche mit Doktorand:innen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Oft bekommt man von Doktorand:innen gerade aus anderen Bereichen des Rechts oder gar von fachfremden Doktorand:innen unerwartet weiterführende Impulse. Wesentlich waren für mich auch der Zuspruch und Rückhalt durch meine Familie und Freunde, die auch gelegentlich für Ablenkung sorgten und mir halfen, meinen Kopf frei zu bekommen.

Was hat Ihnen bei der Erstellung der Doktorarbeit besonders gefallen? Was waren Ihre „Highlights“?

Besonders gefallen hat mir die Bestätigung, dass die Rechtswissenschaften zu Unrecht als „trocken“ verschrien sind. Gerade mit Blick auf Informationsoperationen und deren rechtliche Beurteilung erkennt man, wie spannend juristische Sachverhalte sind und was für eine bedeutende Wirkung der rechtlichen Einkleidung von aktuellen Themen, die uns letztlich alle betreffen, zukommt. Als „Highlight“ empfand ich den Moment, in dem sich die Teilergebnisse meiner Forschung zu einem Gesamtkonzept zusammenfassen ließen und damit meine Ausgangsthese bestätigten.

Gab es Hürden, Hindernisse, die Sie besonders schwierig fanden?

Bei der Forschung, also der Recherche, stößt man auf viele weitere interessante Themen. Man läuft Gefahr, vom eigentlichen Thema abzukommen. Es erfordert Selbstdisziplin und Fokussierung, um auf dem Pfad zu bleiben.

Wie sieht Ihre weitere berufliche Karriereplanung nach Abschluss der Dissertation aus? Streben Sie eine akademische Laufbahn an oder zieht es Sie in die Anwaltschaft?

Ich strebe künftig eine Tätigkeit an, die zur Stärkung des Rechts in den internationalen Beziehungen beiträgt und den rechtlichen Herausforderungen durch die Globalisierung begegnet. Meine bisherige Berufserfahrung im Bereich der Rechtstaatlichkeitsförderung sowie der nationalen und internationalen Streitbeilegung hat in besonderer Weise Wissenschaft und Rechtsberatung miteinander verbunden. Diesen Weg möchte ich weitergehen.

Und zuletzt: Welchen Rat würden Sie angehenden Doktorand:innen und denen, die mit dem Gedanken an eine Dissertation spielen, geben?

Es sollte ein Thema sein, das begeistert. Zudem sollte man keine überhöhten Ansprüche an sich selbst stellen und sich trauen, erstmal etwas zu Papier zu bringen, das vielleicht nicht den eigenen Anforderungen entspricht. Denn im Laufe der Arbeit fügt sich alles zum großen Ganzen zusammen.

Falk Schornstheimer, Autor IQB Karrieremagazin
Autor
Falk Schornstheimer

Falk Schornstheimer ist seit vielen Jahren als selbstständiger Berater spezialisiert auf das Coaching und die Beratung von Anwaltskanzleien und Anwälten zur beruflichen Entwicklung sowie HR-Projekten tätig. Falk Schornstheimer ist regelmäßiger Autor im Karrieremagazin.

Über Baker McKenzie

Als eine der führenden deutschen Anwaltskanzleien berät Baker McKenzie nationale und internationale Unternehmen und Institutionen auf allen Gebieten des Wirtschaftsrechts. In Deutschland vertreten rund 200 Anwält:innen mit ausgewiesener fachlicher Expertise und internationaler Erfahrung die Interessen ihrer Mandant:innen an den Standorten Berlin, Düsseldorf, Frankfurt/Main und München. Baker McKenzie ist regelmäßig auf den Karrieremessen von IQB und Myjobfair vertreten.

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