Digitale Veränderungen im Rechtssystem – Eine Einführung in Legal Tech und neue Berufsfelder

Die digitale Transformation verändert die Art und Weise wie wir leben und arbeiten. Im juristischen Bereich wird diese Entwicklung unter dem Begriff Legal Tech diskutiert. Im Ergebnis werden die Veränderungen dazu führen, dass sich juristische Prozesse verbessern und der Rechtsmarkt insgesamt weiter wächst.

Die digitale Transformation verändert langsam aber sicher die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten. Diese Entwicklung begann bereits vor vielen Jahren und nimmt immer mehr Fahrt auf. Im juristischen Bereich wird diese Entwicklung seit einiger Zeit unter dem Begriff Legal Tech diskutiert.

Im Ergebnis werden die diesbezüglich bereits stattfindenden Veränderungen dazu führen, dass sich juristische Prozesse verbessern und der Rechtsmarkt wahrscheinlich insgesamt weiter wächst.

Zudem wird der Zugang zum Recht für die Rechtssuchenden dadurch im Ergebnis besser, einfacher, schneller und kostengünstiger werden. Diese Entwicklung hat aber auch Auswirkungen auf die Beschreibungen und Anforderungen von juristischen Jobs.

Wer morgen einen strategischen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Konkurrenten haben will, sollte sich heute mit der digitalen Transformation und damit mit Legal Tech beschäftigen.

Wenn man sich diesem Schlagwort als geschulter Rechtswissenschaftler mit dem juristischen Auslegungskanon annähert, kann der Anwendungsbereich schnell auf das Spannungsfeld zwischen Recht und Technologie abgesteckt werden. Legal Tech ist dabei aber kein Bestandteil des Informationstechnologierechts, sondern dient vielmehr als Oberbegriff für die Nutzbarmachung von Informationstechnologie für das Recht.

Legal Tech ist mittlerweile weltweit ein viel verwendeter Begriff – eine einheitliche Definition existiert dennoch nicht.

Laut Wikipedia bezeichnet Legal Technology, kurz Legal Tech, beispielsweise „IT-gestützte Technik, die juristische Arbeitsprozesse unterstützt oder automatisiert“. [1]

Das Problem an dieser und ähnlichen Definitionen ist, dass sie sich an gegenwärtigen Prozessen und somit am Status Quo orientieren. Dies führt von vornherein zu einer Selbstbeschränkung, die verhindert, dass gänzlich neue Arbeitsweisen und Abläufe in den Blick genommen werden können. Stattdessen sollte unter Legal Tech vielmehr die umfassende Nutzbarmachung von Technologie für die Befriedigung von verschiedensten rechtlichen Bedürfnissen verstanden werden.

Bei Legal Tech kann zur Präzisierung und als eine gedankliche Kategorisierung zwischen Legal Tech für Juristen und Legal Tech für nicht-juristische Endnutzer unterschieden werden. Bei Legal Tech für Juristen geht es sowohl um technologiebasierte Verbesserungen von bestehenden Arbeitsschritten aus dem beruflichen Alltag als auch um neue Arbeitsschritte, die vorher nicht möglich waren und einen Mehrwert generieren, der vorher nicht zur Verfügung stand. Demgegenüber werden unter Legal Tech für nicht-juristische Endnutzer neuartige Ideen verstanden, die technologiebasiert unmittelbar, teilweise unter Umgehung traditioneller Organe der Rechtspflege, direkt die rechtlichen Bedürfnisse der Rechtssuchenden befriedigen.

Die digitale Transformation führt unter anderem dazu, dass sich viele Kanzleien neu erfinden, interne Prozesse umgestalten und zudem auch neue Beratungsprodukte anbieten. Darüber hinaus drängen immer mehr Unternehmen auf den Rechtsmarkt, die keine Kanzleien sind und auch nicht wie solche aussehen, aber ebenfalls Dienstleistungen anbieten, die zumindest teilweise Substitute von klassischer anwaltlicher Rechtsberatung darstellen. Der Rechtsmarkt vergrößert sich somit und wächst immer mehr mit anderen Märkten zusammen. Die Grenzen verwischen.

Schließlich sind juristische Gesamtprozesse mittlerweile so umfangreich und komplex, dass es sinnvoll ist, diese in kleinere Einheiten zu zerlegen und diese Teilaspekte dann im Rahmen einer sinnvollen Arbeitsteilung gebündelt von Spezialisten bearbeiten zu lassen. Diese auch durch die digitale Transformation vorangetriebene Entwicklung führt insgesamt zu neuen Jobbeschreibungen und neuen Jobanforderungen.

Die klassischen Anwältinnen und Anwälte, die glauben, alles zu können, wird es auch in naher Zukunft noch geben. Und wer die Befähigung zum Richteramt beziehungsweise die Zulassung zur Anwaltschaft haben möchte, kommt in Deutschland auf absehbare Zeit auch nicht daran vorbei, zwei Staatsexamina zu absolvieren. Daneben können aber auch andere Karrierepfade eingeschlagen werden.

Der sog. Legal Engineer ist mittlerweile auch in Deutschland ein Begriff. Dieser Job umfasst allgemein gesprochen die Erstellung und Betreuung von Software für juristische Problemstellungen. Dies kann die seit Jahrzehnten bekannten regelbasierten Expertensysteme umfassen oder moderne datenbasierte Ansätze oder auch alles andere dazwischen und darüber hinaus. Im Ergebnis geht es immer um die zumindest teilweise Automatisierung bestimmter Prozesse oder Prozessabschnitte aus der juristischen Welt. Diese Jobs findet man bereits in einigen Kanzleien und Unternehmen, aber auch in Behörden und der Justiz, auch wenn diese Positionen dort oft noch anders benannt werden. Der Bedarf an entsprechend ausgebildeten und qualifizierten Legal Engineers besteht somit schon heute und wird sich in Zukunft nur noch verstärken.

Weitere Vorschläge für neue Jobbeschreibungen reichen vom sog. Legal Process Analyst bis zum Legal Risk Manager. Wie man diese Jobs am Ende auch nennen wird, die Jobbeschreibungen werden vielfältiger und entfernen sich bereits immer mehr vom Einheitsjuristen. Dies bietet große Chancen für all diejenigen, die nicht alles an Jura interessant finden, sondern sich vielmehr auf einzelne Aspekte konzentrieren wollen, um dort die eigenen Stärken gezielt auszuspielen.

Wenn Juristinnen und Juristen ihre Dienstleistungen mit den Instrumenten des 21. Jahrhunderts erbringen und unabhängig von der konkreten Jobbeschreibung die enormen Chancen der digitalen Transformation verwirklichen sollen, dann müssen diese auch entsprechend ausgebildet werden.

– Angemessene digitale Ausbildung

Eine angemessene Ausbildung bedeutet nicht, dass jede Juristin und jeder Jurist eine oder mehrere Programmiersprachen erlernen muss. Das Beherrschen einer Programmiersprache ist zwar durchaus hilfreich, aber bei weitem nicht zwingend. Es geht vielmehr darum, dass alle Juristinnen und Juristen neugierige und kreative Problemlöser der digitalen Welt werden, die verstanden haben, was ein Computer ist und was man damit anfangen kann.

Insbesondere müssen Juristinnen und Juristen aufhören, den Computer als bloßes Accessoire des Berufsstandes zu behandeln, sondern akzeptieren, dass dieser in jedem Job das Kernwerkzeug zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen darstellt und seine Funktionsweise und Einsatzmöglichkeiten verstanden werden müssen. Dies beginnt bei effizienter Textverarbeitung und geht beispielsweise über zielgerichtete Datenbank-Recherchen bis hin zu datengetriebener Entscheidungsfindung.

– Digitales Mindset

Vor diesem Hintergrund gehört zu den grundlegenden Jobanforderungen, neben einem soliden Verständnis der juristischen Welt sowie Grundkenntnissen in Informatik und Betriebswirtschaft, vor allem eine an den digitalen Möglichkeiten orientierte und damit zukunftstaugliche Denkweise. Das aktuelle Schlagwort ist „digitales Mindset“. Juristinnen und Juristen müssen verstehen, wie man juristische Prozesse durch den sinnvollen Einsatz von digitaler Technologie insgesamt verbessern kann. Zu diesem Verständnis gehört ausdrücklich auch die Fähigkeit zu erkennen, wo ein entsprechender Einsatz von digitalen Technologien Probleme verursachen kann, damit man die damit zusammenhängenden Risiken minimieren und beherrschen kann.

– Interdisziplinäres Arbeiten

Zudem müssen Juristinnen und Juristen viel mehr als zuvor in der Lage sein, in interdisziplinären Teams zu arbeiten und vor allem auch innerhalb dieser Teams zielgerichtet zu kommunizieren. Dies setzt voraus, die Sprache und die Herangehensweise der anderen Experten zu verstehen und sich darauf einzulassen, dass es Menschen gibt, die nicht in juristischen Kategorien denken.

Ausblick: Die Konkurrenz ist menschlich

Technologie ist ein Erfolgsfaktor. Chatbots, Vertragsgeneratoren und allgemein Computer werden die juristische Arbeit bei weitem nicht vollständig übernehmen, aber im Ergebnis auf lange Sicht doch grundlegend verändern. Juristinnen und Juristen werden trotzdem gefragte Experten bleiben und auch in Zukunft unter dem Strich nach wie vor eine Arbeit finden.

Der Taschenrechner hat schließlich auch nicht dazu geführt, dass alle Mathematiker arbeitslos geworden sind, sondern dazu, dass Mathematiker viel mehr Berechnungen in viel weniger Zeit und in einer viel höheren Qualität durchführen können. Mit den neuen Möglichkeiten sind parallel auch die Bedürfnisse gestiegen. Dasselbe wird in der Zukunft auch auf Juristinnen und Juristen zutreffen. Man darf nur keine Angst vor dem Taschenrechner haben, sondern muss wissen, wie man diesen gewinnbringend einsetzt.

Juristinnen und Juristen brauchen darum nicht den Computer zu fürchten, sondern vielmehr den menschlichen Konkurrenten, der weiß, wie man mit einem Computer umgeht. Oder anders ausgedrückt: Wer morgen einen strategischen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Konkurrenten haben will, sollte sich heute mit der digitalen Transformation und damit mit Legal Tech beschäftigen.

Dieser Artikel erschien zuerst im mylawguide 2020, dem Karrierehandbuch für Juristinnen und Juristen.

Nico Kuhlmann Portrait
Autor
Nico Kuhlmann

Nico Kuhlmann ist Associate bei Hogan Lovells in Hamburg. Er studierte Rechtswissenschaft sowie Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bayreuth. Seine Dissertation entsteht im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs für Geistiges Eigentum und Gemeinfreiheit und führte ihn unter anderem für ein Jahr nach Washington, D.C. an das John W. Kluge Center an der Library of Congress. Im Rahmen seines Referendariats absolvierte er Stationen bei Google, am Bundesverfassungsgericht sowie bei Hogan Lovells im Silicon Valley. Nico Kuhlmann treibt die digitale Transformation aktiv voran und berät führende Unternehmen aus dem Technologiebereich bei nationalen und internationalen Streitigkeiten. Er fokussiert sich dabei vor allem auf den Bereich des Gewerblichen Rechtsschutzes, insbesondere auf das Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht.

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