Refugee Law Clinic Leipzig: Ehrenamtliche Rechtsberatung im Asylrecht

Der Rechtsstaat ist für alle da – soweit die Theorie. In der Praxis aber gestaltet sich der Zugang zu seinen Schutzmechanismen für viele als schwierig. Die Rede ist von Geflüchteten, die in Deutschland Asyl beantragen und einerseits zunehmend restriktiven Regeln ausgesetzt sind, andererseits nur über unzureichende Beratungsangebote verfügen. Leipziger:innen im Umfeld der Universität bieten deshalb im Rahmen einer „Refugee Law Clinic“ unterstützend ehrenamtliche Rechtsberatung an. Einer der dort Engagierten berichtet.

RECHTSSTAATLICHER SCHUTZ

„Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“ Mit diesen Worten normiert Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz das „Rechtsstaatsprinzip“.

Als Kind zweier Jurist:innen bin ich mit dem Respekt vor den Errungenschaften des Rechtsstaates aufgewachsen, und als Studierender der Rechtswissenschaften wurden sie mir im Detail beigebracht: Der Rechtsstaat unterwerfe alles staatliche Handeln den Gesetzen, und sollte ein staatliches Organ in seinem Handeln gegen die Gesetze verstoßen, so müsse es sich der Kontrolle eines anderen Staatsorgans unterwerfen. Auf diese Weise stünden die rechtsstaatlichen Schutzmechanismen jedem Menschen offen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft und allen anderen Merkmalen, in die man Menschen gemeinhin einteilt.

THEORIE UND PRAXIS

Genauer definiert wird der Art. 20 Abs. 3 im Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gem. Art. 19 Abs. 4: „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.“ Im Laufe der Zeit wurde mir jedoch bewusst, dass die Errungenschaften des Rechtsstaates nur in der Theorie für alle gelten – in der Praxis bleibt der Zugang zu rechtsstaatlichen Mechanismen vielen Menschen verwehrt. Diese Erfahrung habe ich in der ehrenamtlichen Rechtsberatung im Asylrecht gemacht, die ich neben meinem Jurastudium in Leipzig betreibe.

ASYLVERFAHREN = SCHWIERIGES VERFAHREN

Das Asylverfahren ist allein kaum zu bewältigen. Geflüchtete sehen sich in Deutschland nämlich zweierlei Problemen ausgesetzt: Einerseits der zunehmenden Verschärfung des Asylrechts, andererseits den Schwierigkeiten dabei, die verbleibenden Rechte gegenüber Behörden und Gerichten geltend zu machen. Bereits 1993 wurde das Asylrecht im Zuge des „Asylkompromisses“ unter der Regierung Kohl massiv beschnitten. Die Berufung auf Asyl als Grundrecht wurde in den neuen Art. 16a Grundgesetz überführt, der Schutz auf grundrechtlicher Ebene durch die neue Drittstaatenregelung faktisch abgeschafft.

KEINE JURISTISCHE „WILLKOMMENSKULTUR“

Auch die Hochphase der deutschen „Willkommenskultur“ tat diesem Trend keinen Abbruch. Vielmehr etablierte man beispielsweise für Geflüchtete, deren Erfolgschancen durch den Asylantrag man als gering betrachtet, im März 2016 mit dem neuen § 30a Asylgesetz „Beschleunigte Verfahren“.

Die rechtsstaatlichen Schutzmechanismen stehen jedem Menschen offen – unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion und allen anderen Merkmalen, in die man Menschen gemeinhin einteilt.

Diese sind auf eine einzige Woche begrenzt, innerhalb derer Fluchterfahrungen verarbeitet werden müssen und eine Vorbereitung auf die entscheidende Anhörung vor dem Amt wie auch die Beauftragung eines Rechtsbeistands fast unmöglich sind. Zudem ist das Regelwerk kaum überschaubar. Um es zu erfassen, bedarf es umfassender Sprach- und Rechtskenntnisse. Das alles macht eine rechtliche und sprachmittelnde Begleitung des Verfahrens dringend erforderlich.

FEHLENDE BERATUNGSANGEBOTE IM ASYLVERFAHREN

Der Zugang zu einem Rechtsbeistand ist schwierig: Zwar gewährt das Europarecht grundsätzlich ein Recht auf unentgeltliche Beratung und Vertretung durch Rechtsanwält:innen während des Asylverfahrens. Nach deutschem Recht besteht dieser Anspruch jedoch nur unter engen Voraussetzungen, und viele Geflüchtete werden schlicht nicht über die Existenz dieser Möglichkeit informiert (vgl. dazu Art. 20, 21 RL 2013/32/EU).

Wir können nicht einfach wegsehen, wenn Menschen von ihren Schutzmechanismen faktisch ausgeschlossen werden.

Das Recht auf unentgeltliche Beratung und Vertretung während des Asylverfahrens ist durch den Staat demnach oft nicht gewährleistet, die eigenverantwortliche Beauftragung professioneller Anwält*innen wiederum kostet Geld, das viele nicht haben.

Rechtsschutzversicherungen bieten im Asylrecht häufig keinen Versicherungsschutz an, und auch Prozesskostenhilfe wird vielen nicht gewährt, da die Erfolgsaussichten ihrer Klagen als zu gering eingeschätzt werden. Zudem finden sich Anwält:innen, die sich mit Asylrecht beschäftigen, vergleichsweise selten – der hohe Arbeitsaufwand und die im Verhältnis dazu geringe Entlohnung schrecken viele ab.

ZIVILE INITIATIVEN

Staatliche Beratungsangebote bestehen beispielsweise in meinem Bundesland Sachsen nicht. Jedoch nutzen regional und bundesweit zivile Initiativen die Erlaubnis gem. § 6 Rechtsdienstleistungsgesetz, ehrenamtliche Rechtsberatung anzubieten. Eines von mehreren einschlägigen Konzepten ist das der „Refugee Law Clinics“.

DIE LEIPZIGER REFUGEE LAW CLINIC

Auch an meinem Studienstandort Leipzig werden Geflüchtete durch eine Refugee Law Clinic ehrenamtlich beraten. Wenngleich wir mit der Universität Leipzig kooperieren, sind wir als eingetragener Verein grundsätzlich unabhängig.

Unser Hauptziel ist es, Geflüchteten kompetente und vollständig unabhängige Rechtsberatung für das Asylverfahren zur Verfügung zu stellen, solange diese von staatlicher Seite nicht gewährleistet wird. Einmal pro Woche bieten wir dafür eine offene Beratungsstunde an, jeweils abwechselnd freitags im Leipziger Süden und dienstags im Leipziger Westen. Die ehrenamtlichen Berater:innen setzen sich aus angehenden Jurist:innen, aber auch Studierenden anderer Fachrichtungen und Nichtstudierenden zusammen.

DIE LEIPZIGER LAW CLINIC – UNSERE VERNETZUNG

Durch regelmäßige Treffen im Plenum, eine Schulung der Berater:innen, eine Begleitung durch Volljurist:innen sowie die Kooperation mit der Universität Leipzig wird die Qualität der Beratung gewährleistet. Vor Ort unterstützt wird die Rechtsberatung durch speziell trainierte Sprachmittler:innen. Auch zwischen den Beratungen werden die Fälle bearbeitet, es wird telefoniert und gemailt, mit Geflüchteten, Hilfsorganisationen und Behörden. Vernetzt ist die Law Clinic Leipzig zudem mit weiteren Hilfsorganisationen innerhalb und außerhalb Leipzigs.

Auch wenn es manchmal frustrierend ist – letztlich profitieren nicht nur die Hilfesuchenden von dem Angebot. Die hier gesammelten Erfahrungen sind für die Vorbereitung auf die spätere juristische Tätigkeit unbezahlbar. 

ASYLANTRAG: HOHER ANDRANG IN DER BERATUNG

In der Beratung herrscht in der Regel ein hoher Andrang. Während im Nebenraum die Menschen warten, stehen im Beratungsraum Tische, an denen Dokumente ausgebreitet, Fälle besprochen und Ratschläge erteilt werden. Dabei geht es um die unterschiedlichsten Themen: So fragt etwa ein Teenager nach den Möglichkeiten, seine Familie aus Afghanistan nach Deutschland nachziehen zu lassen. Oder es kommt eine Frau mit einem abgelehnten Asylantrag und einer abgewiesenen Klage und erkundigt sich nach den verbleibenden rechtlichen Möglichkeiten, um ihre Abschiebung nach Nigeria zu verhindern.

FEHLENDE SPRACHHILFEN

Oft kommen auch Menschen, obwohl ihre rechtliche Situation verhältnismäßig unspektakulär ist. Denn vielen ist die Teilnahme an Sprachkursen verwehrt, so dass sie beispielsweise den Brief des Verwaltungsgerichts, der nur den Eingang ihrer Klage bestätigt, schlichtweg nicht übersetzen können. Natürlich hilft man auch diesen Menschen gerne, allerdings binden solche Fälle auch Ressourcen, die ohnehin schon begrenzt sind. Dabei wäre das zu vermeiden, wenn die staatlichen Stellen die Menschen immer in ihrer Muttersprache informieren würden. Dies geschieht bei Bescheiden, Urteilen und ähnlich wichtigen Dokumenten, nicht jedoch im Rahmen alltäglicher Korrespondenz mit der Behörde oder der Geschäftsstelle des Gerichts.

ASYLRECHT – PROBLEMFALL FRISTEN

Hoch problematisch wiederum sind die oft kurzen Fristen, angesichts derer es kaum möglich ist, sich auf dem Rechtsweg zu wehren. Erhält man beispielsweise eine Abschiebungsanordnung wegen der Regeln der Dublin III-Verordnung, so verbleibt lediglich eine Woche, um den verfassungsmäßig garantierten Rechtsweg zu beschreiten. Innerhalb dieser kurzen Zeit ist es sehr schwierig, einen ehrenamtlichen oder professionellen Rechtsbeistand zu konsultieren, der den betroffenen Menschen als juristischen Laien über den genauen Inhalt der Anordnung aufklärt – erst recht, wenn die Beratung sprachmittelnde Begleitung erfordert.

PROBLEMFALL STRAFEN

Auch die Praxis der Verteilung von Strafbefehlen wegen unerlaubter Einreise nach § 95 Aufenthaltsgesetz stellt Geflüchtete vor große Schwierigkeiten. Wegen des Schutzes aus Art. 31 der Genfer Flüchtlingskonvention hoch umstritten, erleben wir sie dennoch regelmäßig in der Beratung. Den Geflüchteten wird dabei eine Geldstrafe von rund 300 € auferlegt, und das Urteil gilt ohne mündliche Hauptverhandlung als rechtskräftig, sofern nicht innerhalb von zwei Wochen Einspruch erhoben wird. Dies wagen jedoch viele nicht, gehen sie damit doch auch das Risiko ein, im Falle einer Niederlage vor Gericht zusätzlich noch die Verfahrenskosten tragen zu müssen. Wieder andere haben einfach das Pech, innerhalb der Frist keinen Zugang zu einer Rechtsberatung zu erhalten, und den Inhalt des Strafbefehls erst zu erfassen, wenn die Frist bereits abgelaufen ist.

UNSCHÄTZBARE PRAXISERFAHRUNG

Auch wenn solche Erfahrungen für Helfer*innen, vor allem aber für Geflüchtete äußerst frustrierend sind: Von der Beratung profitieren letztlich beide Seiten. Denn zum einen sind die Praxiserfahrungen in der Vorbereitung auf die spätere juristische Tätigkeit unbezahlbar. Man erlernt den Umgang mit Mandant*innen wie Behörden und vertieft seine Kenntnisse im Verwaltungsrecht. Und die Arbeit macht, trotz allem, einfach Spaß: Die Menschen, die sich über die angebotene Hilfe freuen, mit denen man auch mal lachen und scherzen kann, und die Kooperation mit einem Team von Berater:innen, in dem man sich gegenseitig unter die Arme greift, sind eine enorme Bereicherung.

Die Nachfrage ist auf beiden Seiten groß – sowohl bei den Ratsuchenden als auch auf Seiten derjenigen, die ihre Hilfe anbieten.

SICH EINBRINGEN

Zum anderen ist es nicht nur, aber doch gerade für Jurist*innen wichtig, mit anzupacken. Nach § 1 Bundesrechtsanwaltsordnung ausgebildet zu „Organen der Rechtspflege“, können wir nicht einfach wegsehen, wenn Menschen von ihren Schutzmechanismen faktisch ausgeschlossen werden. Zusätzliche Hilfe wird immer gebraucht, jeder Mensch kann sich in einer Law Clinic oder anderen derartigen Organisationen durch Beratung, Sprachmittlung oder auch Spenden einbringen. Und in Leipzig habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Strukturen äußerst offen für neue Mitglieder sind. Alle dürfen sich hier einbringen und mitentscheiden. Deshalb kann ich ein Engagement in einer ehrenamtlichen Rechtsberatung unter dem Strich nur empfehlen.

STAATLICHE VERPFLICHTUNG

Jedoch ist nicht nur die Zivilgesellschaft gefragt – auch der Staat ist in die Pflicht zu nehmen. Letztlich hat er es den Geflüchteten zu ermöglichen, ihre Asylverfahren unter professioneller Begleitung zu absolvieren. Kommt es zu einer Situation, die aus Sicht des Geflüchteten eine Klage erforderlich macht, muss der Staat sein Versprechen auf die Beschreitung des Rechtsweges nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz einlösen. Denn, noch einmal: Der Begriff des Rechtsstaats verlangt es, dass jeder Mensch innerhalb seines Einflussbereichs seine Rechte geltend machen kann und die Handlungen der Exekutive der Kontrolle der Judikative unterworfen werden. Und zwar nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis – ohne unpraktikabel kurze Fristen und mit der realen Chance auf juristischen Beistand.

WEITERE SCHRITTE

Auf dem weiten Weg dazu bietet es sich unbedingt an, Law Clinics finanziell ausreichend auszustatten. Langfristig geboten wäre eine staatlich finanzierte und unabhängige Organisation, die unsere Arbeit auf professioneller Basis übernimmt. Denn nur mit dem Zugang zu umfassender, professioneller Beratung können Geflüchtete die rechtlichen Optionen nutzen, die allen anderen zustehen, wenn sie auch nur einen Strafzettel erhalten. Nur wenn der Rechtsstaat allen Menschen faktisch gleichberechtigt die Durchsetzung ihrer Rechte ermöglicht, wird er seinen eigenen Ansprüchen gerecht.

Auch interessant: Die studentische pro-bono-Rechtsberatung Law&Legal e.V. mit Standorten in Bayreuth, Berlin, Frankfurt am Main, Halle, Hamburg, Heidelberg, Leipzig, München und Tübingen bietet Studierenden und finanziell Bedürftigen eine kostenlose Rechtsberatung.

Jonas Hartung, Autor bei IQB Career Services
Autor
Jonas Frederik Hartung

Unser Gastautor Jonas Frederik Hartung ist Student der Rechtswissenschaften und Ehrenamtlicher Rechtsberater der Refugee Law Clinic Leipzig e. V.